Wie Wachstum und Wahn Tesla antreiben

Seite 2: Das "Ökosystem" Tesla: ein kapitalistisches Eroberungsprogramm

Der marktwirtschaftlich profane Kern von Elon Musks "Secret Tesla Motors Master Plan"2, die Menschheit vor klimaschädlichen Emissionen mit einem E-Auto zu retten, ist die Unternehmensstrategie von Tesla, sich nicht darauf zu beschränken, mit einigen tausend Luxusfahrzeugen die Dollar-Millionen der Reichen und Schönen in Hollywood und anderswo abzugreifen.

Musk zielt mit seinem Einstieg in die Luxusklasse des Automarkts darauf, Zug um Zug sein Start-up zum Massenhersteller auf einem der geldschwersten Märkte der Welt zu entwickeln, den so potente Kapitale wie VW, Toyota und Co. bewirtschaften.

Damit hat er sich etwas vorgenommen. Denn mit dem Einstieg in diesen Markt einer Schlüsselindustrie ist es mit der Präsentation irgendeiner visionär-neuen Dienstleistung, für die man einen Haufen Rechnerkapazität, ein Büro und im Überfluss verfügbare Billiglöhner mobilisiert, nicht getan.

Das Oligopol von gerade mal einem Dutzend Konzernen, bereichert um einige ihrer chinesischen Geschöpfe, die zu eigenständigen Konkurrenten aufgewachsen sind, entwickelt mit seinem Kommando über ein Heer von Ingenieuren im Rhythmus von wenigen Jahren und ganz nach seinen Maßstäben immer neue und perfektere Gebrauchswerte, die die Produkte der Konkurrenz alt aussehen lassen.

Im selben Rhythmus erneuern sie mit ihrer Kapitalmacht die technologischen Potenzen, mit denen mit einem Minimum an bezahlter Arbeit an den Montagebändern ein Maximum an Automobilen in entsprechender Qualität produziert wird.

Die etablierten Konzerne, die den Weltmarkt bewirtschaften, definieren auf diese Weise nicht nur den Stand des industriellen Fortschritts, also der Arbeitsproduktivität, mit der überhaupt rentabel Fahrzeuge zu produzieren sind.

Sondern mit ihrem Bedarf an einer Vielzahl von Werkstoffen und Vorprodukten, die sie für die rentable Produktion des komplexesten Gebrauchswerts brauchen, der in die private Konsumtion der Gesellschaft eingeht, setzen sie auch noch die Maßstäbe für einige andere Kapitalsphären, die sich die Automobilunternehmen zu ihren globalen Lieferketten schmieden, damit sie möglichst exklusiv über die lohnendsten Produktionsmittel im Kampf um rentable Produktion verfügen.

Von der chemisch-metallurgischen Grundstoffversorgung über die elektronische Industrie bis zu global verstreuten und organisierten Komponentenherstellern fungieren ganze Abteilungen des Kapitals etlicher Nationen wesentlich als Zulieferer der Herren des globalen Automarkts.

Diese gemütlichen Verhältnisse der Schlüsselindustrie Automobil, die jedes Jahr die Welt mit rund 100 Millionen Fahrzeugen überschwemmt, will sich Elon Musk erobern, und dafür buchstabiert er mustergültig die Techniken eines kapitalistisch-industriellen Aufbruchs durch.

Erstens mit der Entwicklung eines revolutionär-innovativen Produkts, das in seinen Gebrauchseigenschaften einerseits einen technologischen Vorsprung mit Alleinstellungsmerkmal gegenüber den jahrzehntelang perfektionierten Verbrennermobilen erringt: Der Betrieb ist wegen des elektrischen Antriebs energetisch deutlich effizienter und lokal emissionsfrei.

Gemäß den technischen Anforderungen des elektrischen Antriebs wird das Fahrzeug von Grund auf neu konstruiert, um die schwere Batterie im Fahrzeugboden zu integrieren; eine neue IT-Architektur um einen potenten Zentralrechner herum erlaubt eine Weiterentwicklung des Automobils über den Lebenszyklus hinweg ("Over-the-Air-Update") und im Zusammenspiel mit Sensoren aller Art höhere Stufen der Fahrassistenz.

Zugleich ist dieser neu definierte Gebrauchswert in Reichweite und Fahrleistung den überkommenen Produkten ebenbürtig. Um dem fein ausdifferenzierten Geschmack des globalen Publikums, wie ihn das ausgreifende Profitinteresse der etablierten Autoindustrie geschaffen hat, und dessen verschieden großer Zahlungsfähigkeit zu entsprechen, stellt Tesla zweitens nach und nach eine ganze Modellpalette auf die Beine und kreiert mit ganz viel Propaganda und Verheißungen – siehe Musks Sprüche oben – auch noch einen moralischen Vorsprung seiner Produkte:

Tesla schafft sich ein Markenimage, das das grüne, um das Klima besorgte Umweltgewissen ausschlachtet und mit dem Leistungs- bzw. Technikfetischismus moderner Kunden versöhnt, die im eigenen Automobil ihre Erfolgspersönlichkeit repräsentiert wissen wollen.

Dieses vermeintliche Wunderwerk aus Technologie- und Werbekompetenz – fast peinlich, daran zu erinnern, aber vielleicht doch nötig angesichts der Musk-Legenden über die Tesla-Produkte – hat sich als Ware des Unternehmens zu bewähren.

Und dafür kommt es drittens unbedingt darauf an, dass die neu definierten Eigenschaften der Tesla-Modelle Roadster/S/X/3/Y exklusiver Besitzstand des Unternehmens Tesla, also sein Eigentum sind und bleiben.

Tesla unternimmt alles, was Geheimhaltung und die segensreichen Errungenschaften des von den Welthandelsnationen weltweit durchgesetzten Eigentums- und Patentrechts hergeben, um die etablierten Konkurrenten vom eigenen Vorsprung nach Möglichkeit auszuschließen – so viel zu Musks "Rettung der Menschheit" vor dem Klimawandel mit Innovationen...3 Schließlich ist das erst einmal die entscheidende Sonderstellung, deretwegen sich die Ware verkauft, und zwar nicht zu irgendeinem Preis.

Den Marktpreis für diese und jene Automobilklasse definieren die großen Konzerne mit ihrer überlegenen Produktivität und Produktmasse; und da muss es sich Musk bzw. Tesla kraft seiner finanziellen Potenz leisten (siehe dazu Teil 2 des Artikels), auf die alles entscheidende kapitalistische Qualität des lohnenden Verkaufs durch rentable Produktion der Ware Automobil eine ganze Zeit lang zu verzichten.

Jahrelang verkauft Tesla Autos zum vorgegebenen Marktpreis für Luxuskarossen, rücksichtslos gegen die eigenen weit höheren Produktionskosten, wie sie anfallen, wenn ein Start-up mehr oder weniger in Kleinserie aus am Weltmarkt gekauften Komponenten Automobile zusammenschraubt.4

Was Musk sich da leisten muss, kann er sich dank der ungeheuren Finanzkraft, die hinter seinem Start-up steht, auch leisten. Sie erlaubt ihm sogar die Mobilisierung von noch mehr Vorschuss bei ausbleibenden nennenswerten Geldrückflüssen für die Aneignung von Entwicklung und Produktion der strategischen Teile der Ware als Sphäre des zukünftigen eigenen Geschäfts, vergrößert also die "Fertigungstiefe".

Tesla baut mit einem Ladenetz systematisch die notwendigen Bedingungen des Konsums aus, den das Unternehmen den Kunden eine Zeit lang als Gratisdienstleistung anbietet, und schließt das Handelskapital von Profiten durch den exklusiven Verkauf der Ware über das Internet aus5:

Musk will das ganze Erlebnis [!] um Tesla kontrollieren. Vom Design der Batteriepacks zum Programmieren der Software über die Herstellung der Fahrzeuge, den Bau der Komponenten, das Management der Infrastruktur und den Verkauf der Produkte ...

Weiterhin erschließt sich das "Full Stack"-Start-up Tesla neue Geschäftsfelder Zug um Zug zu einem ganzen "Ökosystem" – wie heutzutage die marktwirtschaftliche Übergriffigkeit moderner Kapitale auf mehrere Branchen verniedlicht wird – bevor es mit seinem Autogeschäft überhaupt Profit gemacht hat.

Tesla eignet sich fremdes produktives Eigentum an, übernimmt nämlich das Energieunternehmen Solar City und macht damit Produktion und Verbrauch erneuerbarer Energie mit und ohne Automobil zu seinem Geschäft.

Denn darum geht es: Tesla dockt komplett affirmativ an die global durchgesetzten Schönheiten des fossil angetriebenen Individualverkehrs an, dessentwegen Land und Leute zu sog. "Auto(fahrer)nationen" zugerichtet worden sind, um mit seinem ach so "innovativen" Warensystem, mit dem es ein Alleinstellungsmerkmal am Automarkt hat(te), die etablierte Konkurrenz mit ihren überkommenen Produkten zu überholen und den Weltmarkt für sich als Quelle der Bereicherung zu erobern.

Die Tesla-Produkte und das Geschäft mit deren Verbrauch sollen als Waren massenhaft einschlagen und Tesla zum "Global Player" auf diesem Weltmarkt aufsteigen lassen.

Dieses Vorhaben ist ein kapitalistisches Eroberungsprogramm größeren Kalibers, denn der 4-Billionen-Dollar-Markt, auf dem sich dieses Programm austobt, ist eben schon ganz ohne den kalifornischen Newcomer von Übernahmen und Fusionen,6 von Rabattschlachten und Weltmarktführeransprüchen, denen die erreichten Marktanteile immerzu zu klein sind, geprägt. Auf diesem Markt geht es wesentlich um Verdrängung bis Vernichtung der Konkurrenten, deren Geschäftsfelder und -anteile man übernehmen will.

Mit Tesla, dem Aufbau eines halben Dutzends Gigafabriken auf der grünen Wiese und dem daran geknüpften Wachstumsanspruch, ist ein weiterer Konkurrent in der Welt, der diesen marktwirtschaftlichen Kampf mit Millionen zusätzlicher Fahrzeuge anheizt, um ihn für sich zu entscheiden – indem er die produktiven Potenzen sachlicher wie menschlicher Art bei den Konkurrenten ihrer kapitalistischen Überflüssigkeit überführt.

Dass daraus mehr wird als ein weiterer Fall eines meteoritengleich verglühenden Nischenherstellers, der mit dem Einbau von ein paar tausend 18650er-Laptop-Zellen in das Chassis eines englischen Sportwagenbauers beginnt, liegt ganz außerhalb dieses "genialen" Projekts. Tesla ist Objekt gewichtiger politökonomischer Interessen:

Zum einen der langfristig angelegten Standortpolitik der führenden Weltmacht im Speziellen und aller großen Autonationen im Allgemeinen, zum anderen der finanzkapitalistischen Spekulation, die als gewissermaßen unbegrenzte Finanzquelle Elon Musk bzw. seinem Unternehmen als entscheidendes Mittel der Behauptung auf dem Markt die nötige Kapitalgröße erschließt.

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