Wie aus der Friedensbewegung die "fünfte Kolonne Putins" wurde

Seite 2: Friedensvolksfront: Gegen Wiederbewaffnung und kalte Krieger

Das Verhältnis der Friedensbewegung zur US-Hegemonie muss in einem größeren historischen Bogen dargestellt werden. Im Zweiten Weltkrieg lösten die Vereinigten Staaten England als Hegemonialmacht ab. Eine scheinbar moralische Überlegenheit beflügelte diesen Ablösungsprozess: Schließlich hatten die USA nicht nur aufgrund des entscheidenden Kriegseintritts gegen den Nationalsozialismus eine weltweite Reputation erfahren, sondern auch aufgrund des New Deal, des rudimentär und schließlich durch Aufrüstung und Krieg durchgesetzten Sozialstaates.

Gleichzeitig vertraten die USA bezüglich der drei Kontinente eine Politik des selektiven Antikolonialismus, die hauptsächlich gegen die alte Kolonialmacht England gerichtet war. Nach dem Scheitern der US-amerikanischen Linkskeynesianer auf der Konferenz von Bretton Woods waren die Schienen für Dollar-Hegemonie und neuer auf die USA ausgerichteter Abhängigkeit der westlichen Hemisphäre gelegt.

Gleichzeitig wurde in dem rasch sich anbahnenden Kalten Krieg Westeuropa mit Hilfe des European Recovery Program, bekannt unter dem Namen Marshall-Plan, enger an die Vereinigten Staaten gebunden.

Der damalige stellvertretende Leiter des Außenministeriums, Dean Acheson, hatte auf die zu antizipierende Gefahr des "Überproduktionsproblems" nach Ende des Krieges hingewiesen und rief zur Suche nach neuen Märkten auf. Auch in Westdeutschland wurde ein solcher gefunden: Adenauer sorgte mit antikommunistischer und antipreußischer Haltung für die Westbindung der Bundesrepublik und die 1949 gegründete BRD erlebte ein beispielloses "Wirtschaftswunder", das aus dem Lohnverzicht der Aufbaujahre, der US-Hilfe und den demokratisch transformierten "Modernisierungsleistungen" des NS-Faschismus resultierte.

In dieser Zeit legte die US-Administration unter Präsident Truman das Fundament für eine neuartige Form des Rüstung-Keynesianismus, der sowohl für die Innen- als auch die Außenpolitik folgen haben sollte.

In einem wichtigen Strategiepapier des National Security Council, das als NSC-68-Papier bekannt werden sollte, wurde festgelegt, dass das Ziel der US-amerikanischen Wirtschaftspolitik ein möglichst hoher Beschäftigungsgrad und der Aufbau eines Wohlfahrtsstaates sei. Die benötigten finanziellen Mittel seien diesem Ziel – ähnlich wie in Kriegszeiten – nachzuordnen.

Es wurde darin festgelegt, dass bis zu 20 Prozent des Bruttosozialprodukts für Rüstungsausgaben vorgesehen sein könnten. Antikommunismus, Rüstung-Keynesianismus und der Aufbau Westdeutschlands als Absatzmarkt und Bollwerk gegen den Kommunismus gleichermaßen prägten diese Phase. Durch den Koreakrieg 1950 wurden die Befürworter einer Remilitarisierung Westdeutschlands in der öffentlichen Argumentation bestärkt.

Die gegen die Remilitarisierung gerichtete "Ohne mich"-Bewegung in der BRD, in der Kommunisten eine herausragende Rolle spielten, setzte antimilitaristische und neutralistische Argumente dagegen.

Der alte sozialistische Antimilitarismus – von Rosa Luxemburg über Franz Pfemfert bis zu Ernst Friedrich – war offensichtlich mit dem Terror und der Ideologie der Nazis verschwunden und fand keine Wiederbelebung. Auch in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR war linkssozialistischer Antimilitarismus Hindernis und wurde repressiv verfolgt.

Die westdeutsche "Ohne-mich"-Bewegung propagierte mit nationalistischen Parolen eine Wiedervereinigung Deutschlands, die sie durch die Westbindung und die Wiederaufrüstung gefährdet sah. Ihr Hauptanliegen war es, eine Wiederbewaffnung Deutschlands wenige Jahre nach der Niederlage des deutschen Griffs zur Weltmacht, abzuwenden.

In der Blockkonfrontation kamen diese Kräfte in der BRD in Verruf, als "fünfte Kolonne der Sowjetunion" zu fungieren. Tatsächlich begab sich die Bewegung in eine Frontstellung zur Adenauerregierung und zu den, West-Deutschland wieder aufrüstenden, USA.

Sie konnte sich auf eine weitverbreitete "Ohne-mich"-Stimmung in der Bevölkerung stützen und setzte auf den grassierenden Nationalismus und Patriotismus, um gegen die "Westbindung" zu mobilisieren.

Die Stalin-Note zur Wiedervereinigung und Neutralität Deutschlands von 1952 kann auch als Kommunikationsversuch mit den nationalistischen Teilen der BRD-Gesellschaft – über das Milieu der ohnehin sympathisierenden Kommunisten hinaus – verstanden werden.

Dabei wurde der Spagat unternommen, sowohl auf die Nazikontinuitäten der BRD zu verweisen und herauszustellen, dass etliche belastete Nazi-Schwerverbrecher gern gesehene antikommunistische Kombattanten im Kalten-Krieg des Westens wurden, also auch nationale Wiedervereinigungs- und Neutralitätswünsche der Deutschen zu bedienen.

Eine Renaissance antimilitaristischer Positionen nach den Erfahrungen des Krieges, aber auch Einsprengsel verletzter nationalistischer Gefühle der "Besiegten" und traditioneller Antiamerikanismus bildete die eigentümliche Melange, die die Bewegung gegen die Remilitarisierung in Westdeutschland auszeichnete. sechs Millionen Bundesbürger beteiligten sich an der Volksabstimmung gegen die Wiederbewaffnung 1951, hauptsächlich Arbeiter und kleine Angestellte.

Sie bildeten angeleitet durch Großorganisationen eine breite Friedensvolksfront, die die Eigentums- und soziale Frage zuweilen ausklammerte, um über ein sozialistisches Milieu hinaus wirksam sein zu können. Gleichzeitig waren die Friedensaktivisten auch an Streiks und sozialen Protesten beteiligt. SPD und Gewerkschaften konnten in den späten 1950er-Jahren die "Kampf dem Atomtod"-Bewegung unter ihre Kontrolle bringen und die Kommunisten marginalisieren.

Obwohl die KPD die Volksfrontlogik vehement vertrat, also stets auf breite Bündnisse setzte und von einem klaren antikapitalistischen Programm verzichtete, wurde sie 1956 verboten. 1960 wurde die wohl auch DDR gesponserte Deutsche Friedensunion (DFU) gegründet als Volksfrontbündnis von Kommunisten und Sozialisten, linken Christen, verschiedenen pazifistischen Organisationen und einigen bürgerlich-konservativen Einzelpersonen.

Der aus der SPD ausgeschlossene Gewerkschaftler und Linkssozialist Viktor Agartz trat bald wieder aus der Union aus, weil sie eine sozialistische Programmatik vermissen ließ.

Nicht nur die bundesrepublikanische, die gesamte internationale Friedensbewegung scheiterte in ihrem Kampf gegen die Wiederbewaffnung Westdeutschlands. Mehrheitlich setzte sich in der westdeutschen Bevölkerung eine pro-westliche Haltung durch, die sich in Konsumismus und Antikommunismus ausdrückte.

Die Verlockungen der Ware waren den Verheißungen einer entmilitarisierten Nation überlegen – der Marshall-Plan trug Früchte. Den USA gelang es, die kapitalistischen Industrieländer in einer Interessengemeinschaft zusammenzuschmieden. In diesem gut zwei Jahrzehnte währenden Zustand erfolgte sowohl in den USA als auch in Deutschland ein wirtschaftlicher Aufstieg, der einen entsprechenden sozialen Frieden im Inneren garantierte.

Eine Kommunikation mit der Opposition in den USA war in der westdeutschen "Ohne-mich-Bewegung" nicht angestrebt, sie konnte auch nicht recht gelingen. Denn auf der anderen Seite des Atlantiks herrschte Kommunistenhatz und -paranoia, und der Artikulation pazifistischer Anliegen wurde kaum Spielraum gewährt.

Zwar gab es Widerstand gegen die Wehrdienstpflichterfassung ("Draft Registration"), gegen die Atomwaffentests und die das zivile Leben stark tangierenden Zivilschutzpläne, aber diese formierten sich nicht zu einer breiteren Protestbewegung.

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