Wie aus der Friedensbewegung die "fünfte Kolonne Putins" wurde
Seite 3: Antiimperialismus und Revolte gegen die alte Welt
Erst mit dem Vietnamkrieg wurde dieser soziale Friede der rüstungskeynesianischen Nachkriegsphase aufgekündigt. Zum ersten Mal entstand eine globale Protest- und Revoltbewegung, die sich nicht nur als Anti-Kriegsbewegung oder gar Friedensbewegung verstand. Im Vietnamkrieg verspielten die USA ihren aus dem Zweiten Weltkrieg resultierenden Bonus, als Befreier auftreten zu können.
Dass im Namen der "Demokratie" doppelt so viel Tonnage über dem kleinen und armen Land Vietnam abgeladen wurde, wie auf alle Achsenmächte im Zweiten Weltkrieg zusammen, nährte die weltweite Revolte, die die Systemfrage stellte.
Die Protestbewegung gegen den Krieg in Vietnam hatte in den USA 1969/70 ihren Höhepunkt und ließ die seit 1960 immer größer werdende "Ostermarschbewegung", die sie als lammfromm erachtete, rechts liegen. In Zeiten westdeutscher Vollbeschäftigung und angesichts der Ahnung der meisten Bundesbürger, dies "Amerika" zu verdanken, hielten sich die Proteste auf eine kritische bis radikale Minderheit beschränkt.
Die Wachstumsgemeinschaft der "Pax Americana" sorgte in den 1960er- und 1970er-Jahren noch dafür, dass die westdeutschen Proteste gegen den Vietnamkrieg in Zeiten der Vollbeschäftigung marginal blieben, das Bild der Rosinenbomber schickenden und Marshallpläne garantierenden Wohlfahrtsspenderin USA, das bei normalen, affirmativen Bundesbürgern vorherrschend war, überstrahlte selbst einen bürgerlichen, konservativen bis faschistisch geprägten Antiamerikanismus.
Dagegen artikulierte die radikale kleine Minderheit der 68er einen dezidierten linksradikalen Antiimperialismus, der sich für die anderen, subversiven USA interessierte, die subversiven Praktiken der US-Bewegung aufnahm (sit-ins, go-ins) und ihren Schwerpunkt auf die Kritik der Bündnispolitik der Bundesregierung mit den in Vietnam intervenierenden USA verlegte, wie auch die Springer-Kampane zeigte.
Besonderes Gewicht hatten die Unterstützungsaktionen zur Desertation von US-GIs. Die wachsende Anzahl von Deserteuren und Aussteigern offenbarte die schwindende Kraft des Patriotismus. Sowohl in den USA wie in Europa wurde die bisherige keynesianisch-fordistische Produktions- und Lebensweise, die in Hinblick auf den Globalen Süden eine imperialistische Seite erkennen ließ, in Frage gestellt.
Der Feminismus zeigte, dass sich Frauen nicht mehr länger in der Küche einsperren lassen wollten. Schwarze rebellierten gegen eine rassistisch hierarchisierte Gesellschaft und viele Jungarbeiter nahmen die Vollbeschäftigung als eine das Leben vergewaltigende "Fabrikgesellschaft" wahr.
Diese Haltung war nicht bloß in den USA oder in Westeuropa vorherrschend, sondern umfasste eine globale Bewegung, die sämtliche Länder und Staatenblöcke von unten unter Druck setzte.
Für die USA hatte der Vietnamkrieg allerdings die weitreichendsten Folgen. In dieser Zeit vollzog sich nämlich der Niedergang der USA als Hegemonialmacht. Das Haushaltsdefizit der USA wurde aufgrund des sich hinziehenden Vietnamkriegs immer größer und gleichzeitig begannen immer mehr Länder ihre Dollars zum in Bretton Woods festgelegten Kurs gegen Gold aus dem US-amerikanischen Staatsschatz einzutauschen.
1971 hob Präsident Nixon so auch den Goldstandard des US-Dollars auf und beendete damit das System von Bretton Woods, aber auch die bisherige Pax Americana. Die USA hatten schlagartig an ökonomischer Macht gegenüber Westeuropa und Japan eingebüßt.
Um dem gegenzusteuern erfolgte unter Präsident James Carter ab 1977 ein Rückgriff auf keynesianische Ankurbelung der Wirtschaft durch staatliche Investition. Eine Hochzinspolitik sollte wieder ausländisches Kapital in die USA locken und war von einem Militärkeynesianismus begleitet, der unter der Reagan-Regierung weiter ausgebaut wurde.
Der von dort ausgehende Neoliberalismus war eine aggressive Strategie, bisherige, die Verwertung hemmende Arrangements mit den arbeitenden Klassen zu überwinden und den Staat kapitalfreundlich umzubauen.
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