Wie aus der Friedensbewegung die "fünfte Kolonne Putins" wurde

Seite 4: Friedensbewegung als nationale "Erweckungsbewegung"?

Die Friedensbewegung als Ein-Punkt-Bewegung tauchte nach einer Zeit der Entspannung im sogenannten zweiten Kalten Krieg wieder auf. Sie entstand verzögert, nachdem bereits ab 1977 die DKP und andere linke Organisationen jedes Jahr immerhin Zehntausende nach Bonn mobilisierten – als Reaktion auf den Nato-Nachrüstungsbeschluss von 1979.

Im Herbst 1981 kamen 300.000 Friedensdemonstranten nach Bonn. Im Juni 1982 500.000 und im Herbst 83 dann jeweils dreimal 300.000 nach Bonn, Hamburg und Stuttgart. Breite und professionelle Netzwerke sorgten für einen langanhaltende Bewegungszyklus.

Im Gegensatz zu der kurzen Revolte von 1968 war ihr keine Rebellion gegen eine ganze Welt mit ihren Verkehrsformen eingeschrieben, sondern die Friedensbewegung transportiere immer auch Realismus, Konformismus und intellektuell-akademisches Gegenexpertentum mit Regierungsambitionen.

Die soziale Basis dieser Bewegung unterschied sich fundamental von der alten Bewegung der "Ohne-michs". Anfang der 1980er-Jahre setzte sich die Friedensbewegung aus der neuen Mittelschicht zusammen.

Diese war ein Kind der Sozialdemokratie, der es nach 1969 in der sozialliberalen Koalition gelungen war, einen hegemonialen Block zu formieren, in dem der "Bildungs- und Reformmittelstand" eine wichtige Stütze war. Genau von diesen ursprünglich sozialliberalen Klienten wurden dann Bedürfnisse artikuliert, die in der Partei der Grünen ihren Ausdruck fanden: Ökologie, Frieden, alternativer Konsum.

Die Friedensbewegung blendete nicht nur Klassenfragen aus, wesentliche Teile von ihr zelebrierte darüber hinaus ein Gemeinschaftsgefühl in der Selbststilisierung als Opfer eines zukünftigen Atomschlages.

Damit brachten sie allerdings auch praktisch ein Gefühl auf die Straße, das in der kritischen zeitgenössischen Philosophie beispielsweise von Günther Anders artikuliert wurde. Sie bestand in der Lehre, dass im Atomzeitalter Bombe und Nihilismus eins sind. Ein prinzipieller sozialistischer oder klassenkämpferischer Antimilitarismus, wie er in Deutschland bei expressionistischen KünstlerInnen und allerhand SozialistInnen während der Weimarer Republik vorherrschte, wurde nur in Rändern der Bewegung wiederbelebt.

Allerdings erschien dieser Antimilitarismus aus der Zeit leidenschaftlicher und nationalistisch mobilisierter Massenheere und als sozialistische Strategie, die Arbeiter auf ihre Klasse und nicht auf die Nation zu verpflichten, unter dem Schatten der Nuklearbombe als anachronistisch; tatsächlich wäre ein Krieg zwischen den USA und der UdSSR nicht in erster Linie zu einem Klassen-, sondern zu einem Menschheitsproblem geworden.

Die Militanz der autonomen Jugend- und Hausbesetzerbewegung nach 80/81, die ihren Weg zu den Orten der Friedensbewegung suchen wollte, wurde mehrheitlich von den älteren bürgerlichen "Friedensfreunden" verdammt. Dennoch war die 1980er-Jahre-Friedensbewegung dominiert von linken Vorstellungen und Gedanken, selbst späthippieske Agitationsformen wie "Petting statt Pershing" verweisen auf den kulturrevolutionären Nach-68er-Spirit.

Mit "Schwerter zu Pflugscharen" übernahmen die kirchlichen Teile der westdeutschen Friedensbewegung eine christlich unterlegte Parole aus den staatsunabhängigen Abrüstungsinitiativen in der DDR. Für diese Haltung der westdeutschen Friedensbewegung steht wohl niemand so paradigmatisch wie die Friedensaktivistin und Grünen-Mitbegründerin Petra Kelly.

Einige Friedensbewegte wollte die Rolle Deutschlands als neben Großbritannien tragender Pfeiler in der Nato nicht erkennen, vielmehr wurde zuweilen ein Bild gezeichnet, wonach Deutschland Geisel der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges und gefährdetes Schlachtfeld der Ost-West-Konfrontation sei.

In manchen Diskussionen um das angestrebte und erhoffte Ende der Jalta-Ordnung entpuppten sich Teile der Friedensbewegung als nationalistische Bewegung des Mittelstandes, die auf eine neue Stellung Deutschlands auf Weltebene – auch als Handelsmacht und mittlere Großmacht in Konkurrenz zu den USA – setzte.

Ein generalisierender Antiamerikanismus, der dort jegliche Klassenauseinandersetzungen und emanzipatorischen Potenziale bestritt, prägte einige Friedensbewegungsdiskussionen. Tatsächlich herrschte auch eine Akzeptanz gegenüber Nationalpazifisten wie Alfred Mechtersheimer vor, der mit der Friedensfrage gleich die "deutsche Frage" verbanden.

Ob die Polemik von einzelnen Kritikern wie dem Kolumnisten Wolfgang Pohrt, bei der Friedensbewegung handele es sich um eine "deutsch-nationale Erweckungsbewegung", auf die ganze Bewegung zutrifft, sei dahingestellt, es gab immer viele AktivistInnen der Friedensbewegung, die sich antifaschistisch positionierten, die alten Nazis der Bundesrepublik attackierten und weit entfernt waren von allen "deutsch-nationalen" Gelüsten.

Pohrts Polemik gegen die angeblich deutschtümelnden Pazifisten kam auf jeden Fall bei den atlantizistischen Antikommunisten recht gut an, die den "Antiamerikanismus"-Vorwurf ins Arsenal ihrer antilinken Agitation aufnahmen.

Im Vergleich zu der 1968er-Bewegung mag die 1980er-Jahre-Friedensbewegung national fixierter gewesen sein, auch wenn aus dem Umfeld von Parteikommunisten der DKP, SEW oder dem Kommunistischen Bund auf das "andere Amerika" verwiesen wurde, sowie auf den neoliberalen Umbau des Welfare-Staates in den Vereinigten Staaten, der in einem neoliberalen Paket aus Abbau des Wohlfahrtsstaates und Ausweitung der Rüstung bestand.

Die starke sogenannte Freeze-Bewegung, die von einer ähnlichen sozialen Zusammensetzung geprägt war, wurde von einigen kritischen Geistern durchaus wahrgenommen und Kontakte gepflegt. Diese Friedensaktivisten in den USA mobilisierten gegen die noch unter Carter festgelegte allgemeine Meldepflicht für den Wehrdienst und fokussierte sich dann auf Reagans Politik, die die Ausdehnung des Verteidigungshaushaltes mit aggressiver antikommunistischer Rhetorik verband.

Die deutsche Friedensbewegung unterlag den Wechselfällen der Auf- und Abrüstung des Kalten Kriegs, mit dem Abrüstung beinhaltenden INF-Vertrag 1987 verloren Ostermärsche und Friedensdemonstrationen an Bedeutung.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.