Wie blutige Ölpolitik und Klimakriege die Zukunft verbrennen

Er ist eine Ikone der globalen Klimagerechtigkeitsbewegung. Der nigerianische Umweltschützer kämpft unermüdlich gegen die Verbrechen von Öl- und Gaskonzernen. Bild: podofgold

Umweltschützer Nnimmo Bassey über die Plünderung Afrikas, Unterdrückung von Protesten und die Verbrennung eines Kontinents für Profite (Teil 1)

Die fossilen Plünderungen und der Ölrausch von Konzernen in Afrika halten an: von Uganda bis nach Namibia. Proteste dagegen werden gewaltsam von repressiven Regierungen unterdrückt. Währenddessen wüten Dürren, Überschwemmungen und Zyklone auf dem Kontinent. „Letztlich lassen wir Afrika verbrennen“, sagt Nnimmo Bassey im Interview mit David Goeßmann von Telepolis.

Die fossile Brennstoffindustrie will im nächsten Jahrzehnt 250 Milliarden US-Dollar allein in Afrika investieren. Bis 2050 plant man 1,5 Billionen an Investitionen für die fossile Produktion auf dem Kontinent zu mobilisieren. Das Geld kommt von denselben Finanzunternehmen, die gleichzeitig vorgeben, klimaneutral zu werden. Bassey warnt vor den verheerenden Konsequenzen des Greenwashings und falscher Lösungen.

Nnimmo Bassey ist ein nigerianischer Dichter und Umweltschützer. Er ist Direktor der Organisation Health of Mother Earth Foundation. Von 1993 bis 2013 war er Leiter von Environmental Rights Action und von 2008 bis 2012 Vorsitzender von Friends of the Earth International. Er ist Träger des Alternativen Nobelpreises. Das Time Magazine wählte ihn 2009 zu einem der Heroes of the Environment („Helden der Umwelt“).

Sie kämpfen seit Langem schon vorwiegend im Niger-Delta gegen die Umweltverbrechen von Öl- und Gaskonzernen wie Shell und Chevron und setzen sich für echten Klimaschutz ein. Wie ist die Situation heute?
Nnimmo Bassey: Wir befinden uns in einer wirklich verzweifelten Situation, da die Verursacher der globalen Erwärmung weiter räuberisch über den Kontinent hinwegziehen. In Uganda arbeiten Ölfirmen mit allen Mitteln daran, Öl zu fördern und es in Piplines durch Tansania für den Export zu befördern.
Konzerne aus Kanada suchen im Okavango-Delta, in Botswana und Namibia nach Öl. Sie behaupten, dort die größten Ölvorkommen seit Langem gefunden zu haben. Mit der Förderung dieser Rohstoffe würden Millionen von Treibhausgasemissionen in die Atmosphäre gelangen.
Wir haben immer noch Konflikte in Nigeria und auf dem ganzen Kontinent. Die Lage ist wirklich ernst. Die Ursachen der globalen Erwärmung werden durch den Abbau und die Verbrennung fossiler Brennstoffe weiter verstärkt.
Interview von David Goeßmann mit dem renommierten Umweltschützer Nnimmo Bassey aus Nigeria.
Unternehmen und die Finanzindustrie versprechen aber doch, ihre Investitionen in Zukunft klimaneutral zu machen.
Nnimmo Bassey: Das ist eine weitere Lüge. Je mehr die Finanzinstitutionen betonen, dass sie die Finanzierung von fossilen Projekten einstellen oder sich aus der Finanzierung zurückziehen werden, desto mehr tun sie das Gegenteil. Die fossile Brennstoffindustrie plant, in den nächsten zehn Jahren bis zu 250 Milliarden US-Dollar in Afrika zu investieren.
Bis 2050 sollen etwa 1,4 Billionen US-Dollar in Projekte der fossilen Brennstoffunternehmen in Afrika investiert werden. Das wird nicht aus den Kassen dieser Unternehmen bezahlt, sondern von denselben Finanzinstituten ermöglicht werden, die sagen, dass sie kohlenstoffneutral werden wollen. Sie reden nur, und alle, die ihnen glauben, sind naiv und werden über den Tisch gezogen.

Tausend Naturschützer:innen wurden getötet, weil fossile Konzerne Profite machen wollen

Seit dem Klimagipfel in Paris sind über tausend Umweltschützer im Kampf gegen die Interessen der Mächtigen getötet worden. Sie kämpfen gegen die Verbrechen der Ölkonzerne in Nigeria an der Seite des Ogoni-Stamms. Was steckt hinter den Morden und den Unruhen im Niger-Delta.
Nnimmo Bassey: Immer mehr Naturschützer:innen werden getötet, weil sie sich gegen Großkonzerne und repressive Regierungen stellen, die Hand in Hand mit transnationalen Konzernen und anderen Unternehmen arbeiten, die weder transparent sind noch rechenschaftspflichtig sein wollen.
Im Niger-Delta wurden vor 26 Jahren Ken Saro-Wiwa und acht Ogoni-Anführer hingerichtet. So ist der 26. Jahrestag dieser Exekution genau in die Mitte der 26. COP, dem Klimagipfel in Glasgow gefallen. Und 26 Jahre nach der Hinrichtung gab es dort letztes Jahr noch immer keine Anzeichen, dass die Regierungen den Einfluss der fossilen Brennstoffindustrie begrenzen wollen, nicht einmal den auf die Klimaverhandlungen.
Wir haben also weiter einen sehr steilen Aufstieg vor uns. Denn diejenigen, die für Menschenrechtsverletzungen und für das Verschwinden-lassen von Menschen verantwortlich sind, und diejenigen, die Militärs in den Ländern benutzen, um die Bevölkerung zu unterwerfen und zu unterdrücken, haben weiter das Steuer bei der Klimadiskussion in ihren Händen.
Solange sich nicht wirklich etwas daran ändert, wird es sehr schwierig bleiben, Fortschritte zu erwirken.
Was sind die Auswirkungen der globalen Klimaerwärmung im globalen Süden. Wir haben große Dürren in Afrika erlebt, in Madagaskar standen eine Million Menschen vor dem Hungertod. Wie fühlen sich 1,2 Grad Celsius im Süden an?
Nnimmo Bassey: Der Temperaturanstieg in Afrika liegt etwa 50 Prozent über dem globalen Durchschnitt. 1,2 Grad im globalen Durchschnitt bedeuten also für Afrika etwas mehr. Die Temperatur ist in Afrika bereits höher gestiegen, als im Paris-Abkommen als ideale Grenze festgesetzt wurde.
Wenn die Staatengemeinschaft also von 1,5 oder deutlich unter 2 Grad spricht, dann heißt das in Wirklichkeit: Afrika wird weit darüber hinausschießen. Und das bedeutet: Man lässt Afrika verbrennen. Aber niemanden scheint das zu interessieren.
Im Moment stehen wir in Afrika vor großen Herausforderungen, wie Sie schon sagten: Nahrungsmittelknappheit in Madagaskar. Überall auf dem Kontinent kämpfen die Menschen gegen Küstenerosion und Landverlusten.
Die neuesten Daten sprechen von 2 Metern, die pro Jahr verloren gehen, an den Küsten. Das ist dramatisch, wir verlieren Gebäude, wir verlieren Infrastruktur. Wir haben Probleme mit voranschreitender Wüstenbildung in Gegenden wie Nordnigeria.
Anstatt unsere Wälder zu schützen, findet massives Abholzen statt, ein sich verschlimmerndes Problem. Fossile Brennstoffindustrien betreiben riesige Gasöfen, die Kohlendioxid, Methan, Stickstoff und Natriumschwefeloxide in die Atmosphäre freisetzen, auch das verschärft die Situation weiter.
Und die Folgen zwingen die Menschen zur Migration. Es gibt viele Klimaflüchtlinge aus Afrika. Durch den Wasserstress im Norden Nigerias und an anderen Orten entzünden sich gewalttätige Konflikte, die nur oberflächlich betrachtet religiöser Natur sind, in Wirklichkeit aber Klimakonflikte sind. Das führt zu vielen weiteren Problemen.

Kohlenstoffmärkte und hohle Versprechen der reichen Länder werden uns nicht retten

Sie sind dagegen, die Krise mit Kohlenstoffmärkten zu lösen. Es gibt Leute, auch unter Umweltschützern, die glauben, dass die Bepreisung von Kohle, Öl und Gas deren Nutzung reduzieren könnte. Warum glauben Sie, dass das der falsche Weg ist, um das Problem anzugehen, und zu einem falschen Ergebnis führt? Was sind die Alternativen?
Nnimmo Bassey: Es gibt die Überzeugung, dass Menschen erst in einer Sache aktiv werden, wenn man einen Preis dafür festlegt. Und so versucht man, den Preis für Kohlenstoff so festzulegen, dass es attraktiv und profitabel ist, weniger Kohlenstoff auszustoßen. Das wird dann von denen bezahlt, die weiter emittieren wollen.
Das Klima basiert aber nicht auf Mathematik, die Natur funktioniert nicht nach Berechnung. Man kann also nicht einfach sagen: "Weil hier jemand für Kohlenstoff bezahlt hat, wird er das Richtige tun."
Man versucht etwa Wälder durch das sogenannte REED-Schutzprojekt als Kohlenstoffspeicher zu nutzen: Man weist einen Wald als zu förderndes Projekt aus, so dass er nicht abgeholzt wird. Doch dann wird einfach ein anderer Wald gerodet. Das funktioniert also nicht wirklich.
Die Welt muss endlich begreifen, dass es an der Zeit ist, echte Maßnahmen zu ergreifen und die Emissionen an der Quelle zu stoppen. Und das bedeutet, die fossilen Brennstoffe im Boden zu belassen und nicht nur Kohlenstoff, Bäume, Wale, Elefanten oder sonst was auf Märkten anzubieten und zu glauben, dass die Märkte sich dann schon um den Kohlenstoff kümmern werden.
Dazu kommt, das man auf Kohlenstoffabscheidung und -speicherung setzt oder andere Möglichkeiten, Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu absorbieren. Eine davon ist die sogenannte Ozeandüngung, bei der man große Mengen von Eisenspänen im Meer verteilt. Das soll zu einer Algenblüte führen, die Kohlenstoff bindet.
Solche Vorschläge sind aber nur Ideen, an sich nicht schlecht, sie werden in der Natur aber nicht so funktionieren. Denn ein Teil der Algen wird von Fischen gefressen, die dann sterben und den Kohlenstoff wieder freisetzen. Und ein Teil der Algen wird nie auf den Meeresgrund gelangen.
Eine andere Idee ist, Wolken weiß zu machen, um mehr Sonnenstrahlung in den Weltraum zu reflektieren. Oder man will Bäume gentechnisch so verändern, dass sie weiße Blätter entwickeln und den sogenannten Albedo-Effekt der Erde verstärken, also Sonne zurückstrahlen.
All diese künstlichen Maßnahmen zur Klimasteuerung müssen planetar durchgeführt werden, und zwar permanent, denn sobald sie gestoppt oder durch irgendetwas unterbrochen werden, geht die Wirkung verloren, was große Probleme erzeugt.
Der Kohlenstoffhandel und die Kohlenstoffkompensation ermöglichen also Experimente, die nicht bewiesen und teuer sind und außerdem den reichen, mächtigen Staaten noch mehr Macht verleihen, während die schwachen Länder großen Risiken ausgesetzt werden. Denn niemand wird das Klima manipulieren und sich dann selbst benachteiligen. Das Risiko werden also am Ende diejenigen tragen, die weder mit der Verschmutzung der Atmosphäre zu tun haben, noch diese Instrumente in die Atmosphäre gebracht haben.
Einige dieser Ideen stammen zudem von Leuten, die einfach gerne Experimente durchführen. Man kann diese Art von Experimenten jedoch nicht in kleinem Maßstab durchführen. Wenn sie erst einmal den globalen Maßstab erreicht haben, hat das massive Auswirkungen auf die Menschen auf der ganzen Welt. Das können wir uns wirklich nicht leisten.
Deshalb fordern wir echte Klimaschutzmaßnahmen, die Senkung der Emissionen, die Änderung unseres Lebensstils, die Abkehr von der modernen industriellen Landwirtschaft, welche Wälder zerstört und zu Monokulturen führt, die Unterstützung von Kleinbauern, die Förderung einer umfassenden Ökologie, die uns gesunde Böden, gesunde Lebensmittel und gesunde Bauern beschert – und darüber hinaus noch den Planeten abkühlt.
Mit sehr einfachen Dingen können wir die Erderwärmung in den Griff bekommen, zum Beispiel durch die Reduzierung unseres Mülls, die Reduzierung des übermäßigen Konsums und das Arbeiten und Leben innerhalb der globalen Grenzen.
Wir hören immer wieder Versprechungen von Regierungen – vorwiegend aus den Industrieländern –, den Planeten zu retten. Wie schätzen Sie das ein?
Nnimmo Bassey: Vor dem Klimagipfel in Kopenhagen 2009 wurde über verbindliche Emissionsreduzierungen gesprochen, also darüber, dass die Industrieländer verpflichtet sind, ihre Emissionen auf ein bestimmtes Niveau zu senken, und zwar auf eine Art und Weise, die überprüfbar ist.
Aber seit Kopenhagen und seit dem Pariser Abkommen ist alles freiwillig, so dass alle versprechen können, was ihnen gerade so passt. Es gibt auch keine Möglichkeit, sie für das, was sie versprochen haben, zur Rechenschaft zu ziehen. Einige Staaten versprechen seit Glasgow jetzt, die Entwaldung bis 2030 zu beenden, ein Versprechen, das sie schon vor einigen Jahren gegeben haben.
Es sind die immer gleichen, hohlen Wohlfühl-Ankündigungen. Sie sind mehr oder weniger heiße Luft, sie enthalten nichts Substantielles, keine ernstgemeinten Maßnahmen.