Wie denken AfD-Wähler?

Seite 2: Anknüpfungspunkte für rechte Positionen im nichtrechten Geistesleben und Politikbetrieb

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Auch außerhalb des rechten Lagers wird die Notwendigkeit von politischer Führung betont.

Wolfgang Schäuble macht sich Gedanken über die "Führungs- und Orientierungselite, die sich der Wahl stellen muss":4

Die Menschen vertrauen nicht so sehr anonymen Institutionen, sondern in erster Linie Menschen. In veränderter und abgeschwächter Form bleibt das platonische Ideal des "Philosophenkönigs" also auch in einer gefestigten Demokratie bestehen. Je komplexer und komplizierter nun die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit wird, umso wichtiger wird dieser persönliche Vertrauensaspekt wieder. Die Frage etwa, ob die Renten langfristig sicher sind, kann kein normaler Bürger nachvollziehen. Er glaubt es nur, wenn er den Experten und Politikern, die ihm dies sagen, vertraut.

Wolfgang Schäuble

Einen Schritt weiter ging der frühere Ministerpräsident von Niedersachsen, Ernst Albrecht. Er lässt uns an seinen Sorgen darüber teilnehmen, dass "die Unvollkommenheit des Staates aus der Unvollkommenheit der Menschen resultiert, vor allem aus ihrer Unvernunft, ihrer Selbstsucht und ihrer Trägheit".5 Albrecht stellt die Demokratie als "ideale Staatsform" infrage.6

Politische Repräsentation

In Wahlen soll die Zustimmung der Bevölkerung eingeholt werden. Zugleich erweist sich das Gefälle an Kompetenzen und Vertrautheit mit der politischen Materie als konstitutiv für den Unterschied zwischen Wählern und Gewählten. Politische Repräsentation unterscheidet sich ums Ganze von der Vorstellung, die Repräsentanten seien Ausführungsorgane ihres Wählerkollektivs:7

Eine Wahl ist vielmehr eine Vertrauenserklärung der Wähler an die Gewählten und deren Fähigkeit, die "wahren" Interessen des Volkes richtig zu erkennen. Repräsentation ist also die Folge einer Aufgabenteilung. Der Volkssouverän zerlegt sich gleichsam in eine wählende Bürgerschaft und in ein die unmittelbaren, politischen Fragen entscheidendes Parlament

Waldemar Besson: Das Leitbild der modernen Demokratie

Dolf Sternberger geht für die real existierende politische Regierungsform von der Verbindung von Demokratie und Führung aus:8

Nimmt man Demokratie ernst, so kann Repräsentation nicht stattfinden. Dennoch lebt die Verbindung beider Prinzipien in der Verfassung.

Dolf Sternberger

Er kennt die "elitäre Führung" von Staat und Parteien: "Einige tausend Leute zählen zur politischen Klasse, gewiss nicht Millionen. … Es ist die Sonderung und Verknüpfung von Demokratie und Oligarchie, was sich hier immer wieder abzeichnet und was offenbar einem politisch-soziologischen Naturgesetz entspricht."

"Die Leute lechzen nach Klarheit und Führung"

Ein zentrales Moment politischer Führung ist es, bestimmte für gut befundene Entscheidungen durchzusetzen und Fakten zu schaffen, die erst durch ihr Wirklich- und Unumstößlichwerden im Nachhinein Akzeptanz finden.

"Normative Kraft des Faktischen" - von ihr sprach zuerst der österreichische Staatsrechtler Georg Jellinek (1851-1911). Die unpopulären Entscheidungen können Politikern viel Ärger bringen. Ob Wiederbewaffnung in den 1950er Jahren, Nachrüstung 1979, Euro oder EG-Osterweiterung in den 1990er Jahren: Eine Mehrheit in der Bevölkerung befürwortete diese zentralen politischen Entscheidungen jeweils nicht.

Aber gerade diese Entscheidungen waren es, die den sie tragenden Politikern das Prädikat der Führungsstärke einbrachten. Mit diesem Führungshandeln ist praktisch ausgesprochen, dass die subalternen unpolitischen Bürger ihre Welt nicht gestalten können, sondern eben: geführt werden sollen. "Wahre" Politiker achten auf die Meinungen der Bevölkerung, machen sich aber in von ihnen als entscheidend befundenen Fragen von diesen Meinungen nicht abhängig.

Politiker sind Pfadfinder und Wegweiser geworden. Viele vertraute Pfade führen nicht mehr zum Ziel. Doch Bürgerinnen und Bürger möchten sie weitergehen, eben weil sie so vertraut sind. Der Politiker aber muss den richtigen Weg weisen.

Gerhard Schröder

Zu den besseren Umfrageergebnissen für den damaligen bayerischen Kanzler-Kandidaten Stoiber sagte Merkel laut der Berliner Zeitung vom 7.1.2002: "Politische Führung besteht darin, Zukunft zu gestalten - nicht, sich nur allein an der Gegenwart zu orientieren."

Beanstandete wurde in einer der führenden deutschen Zeitungen, nämlich von Theo Sommer in der Zeit vom 9.4.1993, der Mangel an politischer Führung:

Überall Affären, überall lahmende Führungsgarnituren, die den großen Problemen kleinkariert begegnen; und überall, als Reaktion darauf, eine verdrossene Abkehr vieler Bürger von der Politik. Allenthalben zählen die Parteien zu den rückständigen Einrichtungen der Gesellschaft. Schon reden und schreiben manche vom 'Tod der Parteiendemokratie': Das ist verfrüht. Noch ist die Chance der Reform nicht vertan. Die demokratischen Völker sind nicht unregierbar; es regiert sie nur keiner.

Theo Sommer

"Die Leute lechzen nach Klarheit und Führung", konstatierte er zuvor.9

Auch in ganz normalen Parteien gibt es Führerkult, wie die Berliner Zeitung am 24.3.2009 herausstellte: "Legendär ist der von Philipp Mißfelder inszenierte Auftritt Kohls auf dem Deutschlandtag der Jungen Union 2004 in Oldenburg. Eine Viertelstunde feiern die Delegierten ihn mit Sprechchören: 'Unser Idol heißt Helmut Kohl.'"

Der geteilte Mensch

Die skeptische Auffassung vom Menschen, er sei nun einmal von Natur aus unabänderlich geteilt in egoistische, aggressive und destruktive Neigungen und "gutes" Streben, kann an ähnlichen Auffassungen im Christentum anknüpfen. Sie sind kulturell so tief verankert, dass auch ein Atheist wie Freud diese Teilung der Menschennatur im Gegensatz zwischen "Es" und "Überich" reformuliert.

Im Unterschied zur Auffassung, der unmittelbare Mensch sei gut, erst die Gesellschaft verderbe ihn, erachtet der christliche Glauben den unmittelbaren Mensch als im Zustand der Sünde befangen. Allerdings findet die Skepsis gegenüber dem Menschen in der christlichen Religion Gegengewichte im Bezug Gottes auf das Individuum, in der Gnade und in der inhaltlich schwierig zu verstehenden Gottesebenbildlichkeit des Menschen.

Kulturelle Homogenität

Auch außerhalb des rechten Lagers wird der Wert kultureller Homogenität betont: "Für Karl W. Deutsch ist das Volk … eine Ansammlung von Individuen, die 'schnell und effektiv über Distanzen hinweg und über unterschiedliche Themen und Sachverhalte miteinander kommunizieren können' ... (Das) setzt in der Regel eine gemeinsame Sprache, Religion und Kultur voraus, einen 'Bestand an gemeinsamen Bedeutungen und Erinnerungen'".10

Der langjährige Direktor des Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Fritz Wilhelm Scharpf schrieb 1992: "Negative Bedingung der Integration ist die Abwesenheit tiefgehender ethnischer, linguistischer, religiöser, ideologischer oder ökonomischer Spaltungen... (so) daß auch Entscheidungen als legitim akzeptiert werden, die den eigenen Interessen oder Überzeugungen zuwiderlaufen." Die Geschichte westlicher Demokratien zeige die gesteigerte Wahrscheinlichkeit struktureller Minderheiten in Ländern mit sozio-kulturell heterogener Gesellschaft. Diese Wahrscheinlichkeit erhöhe sich noch bei räumlicher Konzentration solcher Minderheiten, konstatiert der Politikwissenschaftler Edgar Grande.11

Weltöffentlichkeit und internationale Zivilgesellschaft

Die von Manchen erhoffte Weltöffentlichkeit erscheint vielen Sozialwissenschaftlern als höchst unwahrscheinlich: Laut Grande sind ihre "Konturen derzeit noch höchst diffus, ihre Akteure nur sehr schwer zu kontrollieren; und die Konsens- und Kooperationskosten internationaler Zusammenarbeit sind in jedem Fall exorbitant hoch und die Ungewissheiten, die mit der Durchsetzung entsprechender Verträge verbunden sind, groß".12

Aus ihrer skeptischen Beurteilung der Möglichkeit einer "internationalen Zivilgesellschaft" folgern die linken Sozialwissenschaftler Görg und Hirsch, es bedürfe internationaler Absprachen, ihr Ziel müsse aber sein, die "Notwendigkeit übergreifender Entscheidungen und Regulierungen zu vermindern" und "die eigenständige politische Kompetenz lokaler und regionaler Einheiten zu Lasten von Staaten und internationalen Organisation zu stärken".13

Kosten-Nutzen-Bilanz

Die These: "Viele Ausländer kosten uns/Deutschland mehr als sie uns/Deutschland einbringen", ist keine Meinung, für die diejenigen, die sie vertreten, keinen Rückhalt in ökonomischen Untersuchungen finden:14

Das Ifo-Institut und das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Sozialrecht haben die Nutzen-Kosten-Bilanz der Migration detailliert aufgeschlüsselt. Im Durchschnitt belasten Zuwanderer, die weniger als 10 Jahre in Deutschland leben, pro Kopf und Jahr den deutschen Steuerzahler mit netto 2.300 Euro. Lebt ein Zuwanderer bereits 10-25 Jahre in Deutschland, kostet er den Steuerzahler pro Jahr 1.300 Euro. Erst wenn der Migrant 25 Jahre und länger in Deutschland gelebt hat, kippt die Bilanz ins Positive. Dann zahlt der Zuwanderer pro Kopf und Jahr 800 Euro mehr ins Fiskalsystem ein, als er bekommt. Wenn man alle Aufenthaltsdauern summiert, dann kostet uns jeder Zuwanderer pro Kopf und Jahr 700 Euro. … Die meisten Migranten haben nicht die benötigten Qualifikationen für den deutschen Arbeitsmarkt. Sie werden zweimal so häufig arbeitslos wie Deutsche und leben dreimal so häufig von Sozialhilfe. Wenn sie beschäftigt sind, dann in aller Regel in eher unterqualifizierten, schlechter bezahlten Arbeiten mit geringeren Steuerzahlungen

Herwig Birg, Interview in Weltwoche Nr.3, 2009

Skepis gegenüber massenhafter Einwanderung

Massive Skepsis gegenüber massenhafter Einwanderung kam in Deutschland nie allein von rechten Schmuddelkindern, sondern auch aus SPD und CDU:

Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt: (SPD)15

Man kann aus Deutschland mit immerhin einer tausendjährigen Geschichte seit Otto I. nicht nachträglich einen Schmelztiegel machen. Weder aus Frankreich, noch aus England, noch aus Deutschland dürfen Sie Einwanderungsländer machen. Das ertragen diese Gesellschaften nicht… Schauen Sie sich die Lage in diesen beiden Kunststaaten an, die in den Pariser Vorortverträgen 1919 geschaffen worden sind… Aus Deutschland ein Einwandererland zu machen, ist absurd…

Helmut Schmidt

Otto Schily, ehemaliger Bundesinnenminister (SPD), 1998:16

Die Grenze der Belastbarkeit Deutschlands durch Zuwanderung ist überschritten.

Otto Schily

"Bundeskanzler Helmut Kohl hat darauf hingewiesen, daß der Zuzugsstopp für ausländische Arbeitnehmer nicht genüge. Darüber hinaus muß nach den Worten des Kanzlers ein erheblicher Teil der rund zwei Millionen in der Bundesrepublik lebenden Türken in ihre Heimat zurückkehren", so eine AP-Meldung vom 26.1.1983.

Die Welt berichtet am 17.3.1983: "Kohl und Strauß waren sich darin einig, daß der Ausländeranteil in den nächsten zehn Jahren halbiert werden soll … und daß es keine Ausländergettos und keine "Subkultur" geben dürfe."

Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), bei einer DGB-Veranstaltung in Hamburg, November 1981:

Wir können nicht mehr Ausländer verdauen, das gibt Mord und Totschlag.

Helmut Schmidt

Gerhard Schröder wird von der Bild am Sonntag am 20.7.1997 mit den Worten zitiert: "Wir dürfen nicht mehr so zaghaft sein bei ertappten ausländischen Straftätern. Wer unser Gastrecht mißbraucht, für den gibt es nur eins: Raus, und zwar schnell."

Schlussbemerkung

Gewiss sind die genannten Äußerungen bei denjenigen, die sich so äußerten, in ein Geflecht von Positionen integriert, das dafür sorgt, dass diese Statements nicht derart im Zentrum der Aufmerksamkeit und der praktischen Perspektive stehen, wie dies bei Wählern der AfD der Fall sein dürfte.

Vielleicht lässt sich die Lage mit einem Vergleich zwischen bestimmten inhaltlichen Positionen und chemischen Elementen verdeutlichen: Ein und dasselbe chemische Element kommt in verschiedenen chemischen Verbindungen vor. Ein inhaltliches Statement finden wir bei Vertretern der vorherrschenden Politik und Sozialwissenschaft sowie bei "Rechten".

Unterschiedlich ist das Gewicht des Elements oder des Statements in der jeweiligen Vernetzung der Positionen. Bei Vertretern der vorherrschenden Politik und Sozialwissenschaft sind diese Positionen mit anderen Positionen verbunden oder durch sie gehemmt oder begrenzt. Es gibt sozusagen Gegengewichte.

Bei den Mitbürgern, die die eingangs genannten rechten Positionen vertreten, treten diese Statements gleichsam ohne die sie ausbalancierenden und einschränkenden anderen Mit- und Gegenspieler auf.