Wie die Pandemie Wissenschaft und Lehre bedroht

Seite 2: Journalisten, die Journalismus leugnen?

Einer der jüngsten Fälle mutmaßlich voreingenommener Berichterstattung betrifft den Regensburger Psychologen und Telepolis-Autor Christof Kuhbandner. Nachdem sich eine Teilnehmerin aus einem Seminar des Lehrstuhlinhabers für Pädagogische Psychologie VI der Universität Regensburg an den öffentlich-rechtlichen Deutschlandfunk wandte und sich eine weitere E-Mail kritisch mit einem Mitarbeiter der Jura-Fakultät, Martin Heuser, auseinandersetzte, nahm sich Bayern-Korrespondent Michael Watzke des Falls an.

Obgleich Watzke nach einem Mailaustausch ausführliche Stellungnahmen Kuhbandners vorlagen und er ein langes Interview mit dem Psychologen führte, blieb von dessen Erwiderung auf die Kritik wenig übrig. Vor allem die Erklärungen zu den didaktischen Hintergründen des Seminars ließ der Deutschlandfunk-Journalist außen vor. Das komplette Interview des Deutschlandfunks dokumentiert Telepolis hier.

In seinem Audio- und Textbeitrag stellte der Radiojournalist die Äußerungen Kuhbandners weitgehend als politische Kritik von Regierung und Robert-Koch-Institut dar, ordnet sie ein ("mehr oder weniger rhetorisch") und fügt an: "Dass eine überwältigende Mehrzahl von Wissenschaftlern das anders sieht, ficht den Psychologen nicht an." Der Beitrag, in dem es um zwei Wissenschaftler geht, steht unter der Überschrift "Wissenschaftler, die Corona leugnen".

Doch um die Leugnung von des Corona-Virus oder der Pandemie ging es im Austausch nicht. "Die Online-Überschrift habe ich nicht formuliert, sie bezieht sich meines Wissens auf den im Beitrag genannten Dr. Martin Heuser", schrieb Watzke auf Telepolis-Anfrage (hier die Fragen und Antworten1). Wie sich eine im Plural formulierte Aussage auf nur eine von zwei Personen beziehen kann, ließ der Journalist Watzke offen und sah offenbar auch keinen Korrekturbedarf.

Unklar bleibt zudem, wie relevant die Meinung einer Studentin ist. "Ich habe Rückmeldungen von mehreren Seminar-Teilnehmern, die das Verhalten von Prof. Kuhbandner kritisch sehen", schrieb Watzke. Kuhbandner hält dagegen, er habe seine Studierenden befragt und 14 Rückmeldungen bekommen, von denen neun fast ausschließlich positiv gewesen seien. Telepolis konnte einiger dieser Mails anonymisiert einsehen.

Watzkes Kritik an Kuhbandners Vergleich der Maskenpflicht an Schulen und dem sogenannten Milgram-Experiment stützt sich auf fünf Folien aus dem Seminar-Lehrmaterial – und lässt außen vor, dass drei folgende Folien das Milgram-Experiment fundamental methodisch hinterfragen. "Spätestens dann hätte eigentlich klar werden müssen, dass ein einfacher Übertrag auf das echte Leben fragwürdig ist", so Kuhbandner.

So erweckt der Beitrag des Deutschlandfunks den Eindruck, eine bestimmte Meinung darzustellen und Kuhbandner – presserechtlich durchaus bedenklich – Positionen zuschreiben zu wollen, die er nicht vertritt. Zu behaupten, dass Kuhbandner "Corona leugnet", käme der These gleich, der Deutschlandfunk und Michael Watzke leugneten Journalismus. Beide Aussagen sind unwahr.

Debatte um Folgen der Polarisierung

Ein Jahr nach Beginn der Pandemie beginnt immerhin eine Debatte über die Folgen der damit einhergehenden Polarisierung für Medizin, Forschung, Lehre sowie für den Journalismus. Im Medien-Portal Übermedien thematisierte Andrej Reisin schon Ende Mai vergangenen Jahres die "fehlende journalistische Distanz zu Christian Drosten" und führte die rasche und unkritische Übernahme von dessen Kritik an Streecks oben genannter Heinsberg-Studie als Beispiel an.

Reisin verwies auf ein zentrales Problem, frei formuliert: die Verdrängung von seriöser Erarbeitung und Präsentation von Wissen durch Ideologie. Keines der etablierten Medienhäuser habe sich im Fall des Drosten-Streeck-Disputs veranlasst gesehen, zu erklären, was "Preprint-Papers" sind, "wie der wissenschaftliche Diskurs funktioniert, warum Methodenkritik völlig normal und keine Studie allein deshalb schlecht ist". Weitgehend unkritisch seien die mitunter gleichen Akteure wenig später mit Drostens Fehleinschätzung zur Viruslast bei Kindern umgegangen.

Alleine der Journalist Jakob Simmanks hatte in der Zeit Drostens umstrittene und später in Teilen revidierte Studie einer ausführlichen Analyse unterzogen. Er blieb eine Ausnahme.

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