Wie die irakische Demokratie von der Nato verletzt wird
Die Missachtung eines Beschlusses des irakischen Parlaments zum Rückzug aller ausländischen Truppen ist ein Exempel zur Realität der vielstrapazierten "westlichen Werte"
Es gehört eigentlich zu den Essentials der vielstrapazierten "westlichen Werte", dass Regierungen, die Beschlüsse des Parlaments missachten, als undemokratisch gelten und zur Ordnung gerufen werden müssen. Zumindest, wenn sie wie in Venezuela als politisch missliebig gelten. Dann darf sich ein Parlamentspräsident sogar im Ausland als Präsident Venezuelas gerieren, obwohl er im eigenen Land nichts zu sagen hat.
Doch es gibt auch Regierungen, die im Name der westlichen Werte regelrecht unter Druck gesetzt werden, die Beschlüsse ihres Parlaments zu ignorieren. Besonders dann, wenn es beschließt, dass sämtliche ausländische Truppen und Militärs das Land verlassen sollen. Genau das hat das irakische Parlament mit einer Mehrheit - allerdings in Abwesenheit der meisten sunnitischen und kurdischen Abgeordneten - Anfang Januar dieses Jahres beschlossen.
Damit dieser Beschluss nicht wie eine folgenlose Akklamation erscheint, wurde die Regierung ganz konkret aufgefordert, die Forderung nach Nato-Militärunterstützung im Kampf gegen den IS zurückzuziehen und den Truppenanzug konkret einzuleiten. Kurz danach hat die Bundeswehr den geplanten turnusmäßigen Wechsel der Soldaten ausgesetzt. Die Lage sei sehr dynamisch und könne sich ständig ändern, wurde ein Bundeswehrsprecher Anfang Januar zitiert.
Parlamentsbeschluss wird ignoriert
Einen Monat später ist von einem Rückzug der Bundeswehr und der Natomilitärs keine Rede mehr. Im Gegenteil. Die Nato übernimmt, wie die Verteidigungsminister am 12. Februar beschlossen haben, "Teile der Ausbildungsaktivitäten" der US-geführten Anti-IS-Koalition. Das also meinte der Bundeswehrsprecher mit der dynamischen Lage, die sich schnell ändern kann. Was sich allerdings nicht geändert hat, ist der Beschluss des irakischen Parlaments, dass sich die ausländischen Truppen aus dem Land zurückziehen sollen und dass die Regierung keinerlei ausländische Militärhilfe mehr annimmt.
In den vergangenen vier Wochen gab es vielmehr von Seiten der Nato einen massiven Druck auf die irakische Regierung, den Parlamentsbeschluss zu ignorieren (Truppenabzug: USA drohen Irak erneut). Weil die Regierung so schnell nicht dazu bereit war, klangen die Forderungen bald wie Befehle. Man stehe bereit zu einen weiteren Militäreinsatz in den Land, warte aber auf die Zustimmung der Regierung, hieß es da drängend. Dass man die Regierung so drängte, den Beschluss des eigenen Parlaments zu ignorieren, wurde nicht einmal verschleiert.
Es wurde von Seiten der Nato nicht einmal versucht, das Parlament dazu zu bewegen, den Beschluss doch noch einmal zu überdenken und zurückzunehmen. Dann hätte es formal demokratisch ausgesehen. Vielmehr wurde der Parlamentsbeschluss als lästige Geste betrachtet, die die Nato-Aktivitäten schon zu lange behinderte, und die Regierung aufgerufen, den möglichst schnell wegzuwischen.
Dass das von Institutionen veranstaltet wird, die ständig von Demokratie und Nationbuilding sprechen, führt bei den Menschen im Irak, die noch was von den sogenannten westlichen Werten erwarten, zu Frustration und Zynismus. Die verschiedenen Potentaten, die sich auf ihre Rolle als künftige Diktatoren vorbereiten, können sich schon mal überzeugen, dass ihnen die westlichen Staaten und die Nato die Missachtung von Demokratie und Freiheitsrechten solange durchgehen lassen, solange sie für diese nützlich sind und sie Politik in ihren Sinne machen.
Diese Erfahrung musste auch der irakische Diktator Saddam Hussein machen, der als westlicher Vorposten gegen den islamischen Iran gut war, bis er zu unberechenbar wurde. Sein Sturz und vor allem die Besatzungspolitik im Anschluss schufen erst die Grundlagen dafür, dass sich einerseits der iranische Einfluss im Irak massiv ausbreitete und andererseits auch der IS erstarkte.
Schlag gegen irakische Protestbewegung
In den letzten Monaten hatte sich vor allem im Irak eine Protestbewegung von jungen Menschen entwickelt, die die bleiernen Jahre der Saddam-Diktatur nicht mehr erlebt hatten. Sie wandten sich gegen den erstarkenden iranischen Einfluss im Land und sie formieren sich unter einer diffusen Verteidigung eines bürgerlichen, säkularen irakischen Staates. Diese Bewegung kann natürlich jederzeit in eine neue nationalistische autoritäre Herrschaft umkippen, wie das Beispiel Al Sisi in Ägypten zeigt. Doch es gibt auch die Möglichkeit, dass sich die Bewegung radikalisiert und soziale Umwälzungen auf die Agenda setzt.
Die Tötung des iranischen Islamistengenerals Soleimani auf irakischen Boden hat die Protestbewegung zeitweise behindern, aber nicht stoppen können. Der Beschluss der Nato gegen den Willen des Parlaments weiterhin im Irak zu operieren, ist ein weiterer Rückschlag für diese Bewegung. Sie hat das erklärte Ziel, nicht Spielball im geopolitischen Konflikt zwischen dem Iran und seinen Gegnern sein zu wollen. Hierin liegt aber der Grund, warum es der Nato so wichtig ist, auch gegen den Willen des irakischen Parlaments in dem Land zu bleiben.
.