Wie ein US-Think-Tank sein antirussisches Feindbild konstruiert

Seite 2: Die infektiöse russische Korruption

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Für die fünf Länder wurde jeweils ein "footprint", ein ökonomischer Fußabdruck Russlands erstellt. Dieser sei besonders bedenklich, wenn er einen Anteil von zwölf Prozent übertreffe. Der russische Einfluss, dessen Markenzeichen ein oligarchischer Kapitalismus sei, destabilisiere die jungen Demokratien Osteuropas und störe die transatlantischen Beziehungen. Der Westen habe in der Wendezeit von 1989 bis 1991 die Überlegenheit seines ökonomischen Modells demonstriert.

Russland reagiere nun nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mit einem höchst korrupten Netzwerk aus Transaktionen und Beteiligungen. Der Aufstieg nationalistischer Kräfte und eine EU-skeptische Stimmung quer durch Europa habe den russischen Einfluss vergrößert. Fragile Regierungskoalitionen mit geschwächten Ökonomien seien für ihn besonders anfällig.2 So erodierten Transparenz, Gesetze und die Good-Governance-Praxis, kurzum: Der redliche westliche Kapitalismus wird von Russen, die systematisch Korruption anwenden, geschwächt und ausgenutzt. So werden liberale Demokratien mit offener Wirtschaftsform in autoritäre, russlandhörige Staaten verwandelt.

Um dies zu veranschaulichen, schrecken die Autoren nicht vor biologistischen Metaphern zurück, jenen verwandt, die im Deutschland der 30er Jahre zur Propagandasprache gehörten: Der bösartige russische Einfluss könne verglichen werden mit einem "Virus, der westliche Demokratien attackiert".3 Zunächst durchdringe er unauffällig das Land. Er erscheine harmlos und wie legale geschäftliche Transaktionen. Dann beginne der Virus, sich zielgerichtet in den lokalen Netzwerken zu verbreiten, heimlich den demokratischen Wirt vereinnahmend. Für Jahre, wenn nicht Jahrzehnte bleibe der Virus aufgrund seines intransparenten Designs unentdeckt oder unbeachtet. Während die demokratischen Institutionen noch normal funktionierten, beginne der Virus allmählich zu gedeihen und verbreite sich in der Apparatur des Wirts.

Dies sei in der Zeit von 2004 bis 2008 der Fall gewesen, als russischer Einfluss allmählich verschiedene Sektoren der Wirtschaft infiziert habe, dazu zählten Energie, Finanzen, Medien und Infrastruktur. Nach einer gewissen Zeit seien die Ökonomien und Institutionen der Wirtsländer derart geschwächt gewesen, dass ihre Verfolgungsbehörden, die Korruption und Monopolbildung bekämpfen sollten, völlig außerstande gewesen seien, sich des russischen Einflusses zu erwehren. Das habe dem Kreml erlaubt, Kontrolle über die Regierung auszuüben.

Selbst wenn die Wirtsdemokratie widerstehe, könne die Regierung zu Fall gebracht werden, indem man das Ausmaß von Korruption und Amtsmissbrauch entlarve. Das bedeute für den Kreml zwar einen kurzfristigen Rückschlag, doch auch davon profitiere er, weil das Vertrauen in die politischen Mainstream-Parteien und in das demokratische System schwinde. Das steigere wiederum die Popularität extremer Parteien, die anti-europäisch und anti-amerikanisch seien. Es stecke eine unleugbare Eleganz in dieser "Win-Win-Taktik" des Kremls, eine perfekte Strategie, um die Fundamente der Demokratie von innen heraus aufzulösen, das westliche Governance-Modell zu diskreditieren, um sein eigenes Modell zu erhöhen. Diese steilen Thesen wollen die Autoren u.a. an Lettland demonstrieren.