"Wie es die Christen treiben"

Bild-Ausschnitt: Erasmus porträtiert von Hans Holbein dem Jüngeren (1523) / gemeinfrei

Eine andere Weihnachtsbetrachtung des Erasmus von Rotterdam - Die Klage des Friedens (1517)

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Als öffentliche Leitkultur hat das Christentum ausgedient, wie unlängst auch der Papst konstatieren musste. Absehbar ist freilich, dass das real existierende Kirchentum in der Phase seiner Pulverisierung hierzulande unverdrossen der Militärapparatur zu Diensten (vgl. Der Militärbischof und der gerechte Krieg) stehen wird - wie seit 17 Jahrhunderten.

Die evangelische "Friedenssynode" 2019 hat - ganz im Sinne der nationalen Militärstrategen, aber im Gegensatz zur letzten Papstbotschaft von Hiroshima - unlängst nicht einmal eine kompromisslose Ächtung des Atombombenkomplexes ("Millionen Menschen erreichen schneller das Ewige Leben") zuwege gebracht.

So funktioniert Staatschristentum. Namentlich die deutschen Großkirchen haben in zwei Weltkriegen unter Beweis gestellt gestellt, dass die Weihnachtsbotschaft vom "Frieden auf Erde" für ihre Praxis rein gar nichts bedeutete. Eine fundierte Grundsatzkritik zur fortschreitenden Militarisierung der Politik können wir von den aus Staatsgeldern besoldeten Bischöfen heute noch immer nicht vernehmen.

Bereits im Jahr 1517 hat der Priester und Humanist Erasmus von Rotterdam das Drama des nur in den ersten drei Jahrhunderten pazifistisch ausgerichteten Christentums scharfsinnig entlarvt. Seine "Klage des Friedens" ist als Weihnachtslektüre im sogenannten christlichen Kulturkreis von unverminderter Aktualität.

Im Folgenden veröffentlichen wir einen Auszug des Textes von Erasmus von Rotterdam.

"Die Klage des Friedens" - Auszug (1517)

Ja, was bei den Heiden als schmählich galt, den Helm einem grauen Haupt aufzusetzen, das wird unter Christen für lobenswert gehalten. Ovid sagt: "Eine Schmach ist ein ergrauter Soldat." Es schämen sich nicht die Priester, denen Gott einst in jenem doch so blutigen und harten mosaischen Gesetz verbot, sich mit Blut zu beflecken. Es schämen sich nicht die Theologen, die zum christlichen Leben anleiten sollten, nicht die Lehrer der vollkommenen Religion. Die Bischöfe, die Kardinäle, die Stellvertreter Christi schämen sich nicht, Urheber und Anstifter dessen zu sein, was Christus über alles verabscheut hat.

Was hat die Mitra mit dem Helm zu tun, was der Krummstab mit dem Schwert, was das Evangelienbuch mit dem Schild? Wie reimt sich das zusammen, das Volk mit dem Friedensgruß zu segnen und die Welt zu den heftigsten Kämpfen aufzurufen? Mit Worten Frieden darzubieten und mit der Tat den Krieg zu entfesseln? Bringst du es fertig, mit demselben Munde Christum zu predigen und den Krieg zu preisen, in dieselbe Trompete in Gottes und in Satans Dienst zu stoßen?

In der heiligen Gemeinde, die Kapuze auf dem Haupte, stachelst du das einfache Volk zum Kriege auf, das doch aus deinem Munde die Lehren des Evangeliums zu hören erwartete. Du beanspruchst die Stellvertretung der Apostel und lehrst, was den Geboten der Apostel widerstreitet. Fürchtest du nicht, dass das Wort, das von den Botschaftern Christi gesagt ist: "wie lieblich sind die Füße der Boten, die da Frieden verkünden, Heil verheißen!" umgekehrt werden könnte: "wie abscheulich sind die Zungen der Priester, die zum Kriege hetzen, zum Unheil antreiben, Verderben heraufbeschwören!"

Bei den Römern in ihrer heidnischen Frömmigkeit war es Brauch, dass der, welcher die Würde des Pontifex Maximus übernahm, den Schwur ablegte, er werde seine Hände von allem Blut rein erhalten, indem er nicht einmal für erlittene Verletzung Rache nehme. Diesen Eid hat der heidnische Kaiser Titus Vespasianus gewissenhaft gehalten, und dafür wird er von einem heidnischen Schriftsteller gepriesen. Aber wie ist geradezu alle Scham aus dem Tun der Menschen ausgerottet!

Bei den Christen feuern die Gott geweihten Priester und die noch größere Frömmigkeit beanspruchenden Mönche den Sinn der Fürsten und der Völker zu Blutbad und Gemetzel an! Die Posaune des Evangeliums machen sie zur Posaune des Mars; aller Würde vergessend, rennen sie auf und ab; nichts ist, was sie nicht ausführten oder in den Kauf nähmen, sobald es gilt, zum Kriege zu hetzen. Fürsten, die sich sonst ruhig verhalten hätten, werden zum Kriege entflammt, ausgerechnet durch die, deren Autorität die unruhigen Elemente besänftigen sollte.

Ja, das Unerhörteste: sie führen selbst Kriege, und zwar um Dinge, die sogar die heidnischen Philosophen verachtet haben, und die zu verachten apostolischen Männern noch viel näher läge. Erst wenige Jahre ist es her, seit die Welt, von einer verhängnisvollen Krankheit ergriffen, unter die Waffen stürzte, und die Verkündiger des Evangeliums, die Minoriten und Predigermönche, von den heiligen Kanzeln das Feldgeschrei anstimmten und aus eigenem Antrieb die schon zur Wut Gereizten zu noch größerer Leidenschaft entzündeten.

Bei den Briten hetzten sie gegen die Franzosen, bei den Franzosen gegen die Briten, alle schürten zum Kriege, niemand rief zum Frieden auf außer dem einen und andern, den es fast den Kopf kostete, wenn er von mir nur ein Wort sagte. Da liefen die heiligen Marspriester hin und her; ihrer Würde und ihres Berufes völlig vergessend, wandten sie alle Mühe daran, die allgemeine Weltkrankheit noch zu verschlimmern, reizten bald den römischen Pontifex Julius, bald die Könige, mit dem Krieg vorwärts zu machen, gerade als ob diese noch nicht genügend von selbst schon die Besinnung verloren hätten.

Wir aber beschönigen diesen offenkundigen Wahnsinn mit allerlei volltönenden Namen. Bald sind es die altererbten väterlichen Gesetze, bald die Schriften frommer Menschen, bald die Bibelworte, die wir schamlos, um nicht zu sagen gottlos verdrehen. Schon ist es beinahe dahin gekommen, dass es für dumm und gottlos gilt, gegen den Krieg auch nur zu mucken und das zu loben, was aus Christi Mund vornehmlich Lob empfangen hat. Man kommt in den Geruch, dem Volk schlecht zu raten und den Fürsten einen üblen Dienst zu leisten, wenn man zu der allein heilsamen Sache rät und von der heillosesten abrät.

Da laufen die Geistlichen den Heerlagern nach, da rücken die Bischöfe ins Feld, lassen ihre Kirche im Stich und werden Sachwalter der Göttin Bellona. Ja, der Krieg bringt selbst Priester, Bischöfe, Kardinäle hervor; da wird der Ehrentitel Legat für diese Nachfolger der Apostel als ihrer Würde entsprechend angesehen. Was Wunder, wenn die, welche Mars erzeugt hat, auch nur von Mars wissen wollen!

Um das Übel noch viel ungeheuerlicher zu machen, verdecken sie diese Gottlosigkeit mit dem Schein der Frömmigkeit: als Feldzeichen tragen sie das Kreuz. Der gottlose Soldat, der für eine Handvoll Geld zur Schlachtbank, zum blutigen Gemetzel geführt wird, trägt das Kreuzzeichen voran, und zum Symbol des Krieges wird, was allein Kriegsfeindschaft lehren sollte. Was hast du mit dem Kreuze zu schaffen, du gottloser Soldat?

In solcher Gesinnung, zu solchem Tun, stießen sonst Drachen, Tiger und Wölfe zusammen; hier aber haben wir es mit dem Sinnbild dessen zu tun, der nicht kämpfend, sondern sterbend gesiegt hat, der gekommen ist, Leben zu erhalten, nicht zu verderben. Dieses Zeichen sollte dir sagen, mit welchen Feinden du es zu tun hast, wenn du wirklich ein Christ bist, und auf welche Weise du zu siegen vermagst. Du trägst das Zeichen des Heils, indem du zum Verderben des Bruders ausziehst, und mit dem Kreuzeszeichen versehen vernichtest du den, der durch das Kreuz gerettet ist.

Was soll man dazu sagen, dass man direkt vom Geheimnis jener verehrungswürdigen heiligen Handlung - auch sie verpflanzt man ins Feld -, in der vornehmlich die christliche Gemeinschaft dargestellt wird, an die vorderste Front stürmt, und dem Bruder das mörderische Eisen in den Leib stößt! Bei dieser scheußlichsten Prozedur, an der alle Höllengeister ihre helle Freude haben, machen sie Christus zum Zuschauer - wenn er sich wirklich herbeilässt, dabei zu sein.

Der Gipfel des Widersinns aber ist das: in beiden Hauptquartieren, an beiden Fronten leuchtet das Kreuzeszeichen, wird der Dienst der heiligen Messe versehen. Merkt man diese Ungeheuerlichkeit nicht? Das Kreuz kämpft wider das Kreuz, Christus zieht wider Christus zu Felde. Sonst ist dieses Zeichen der Schrecken der Feinde Christi; warum bekämpft man nun, was man sonst verehrt? Ein Kreuz an und für sich verleiht dem Menschen noch keine Würde; es muss das eine wahre Kreuz sein.

Wie soll der Soldat bei solchen Gottesdiensten das Vaterunser beten? Du unflätiger Mund erkühnst dich, ihn Vater zu nennen, während du deinen Bruder zu erwürgen trachtest?

"Geheiligt werde dein Name" - während er doch nicht schlimmer entheiligt werden kann als durch diese gegenseitigen Raufereien. "Dein Reich komme" - so betest du, während du durch Blutvergießen nur dein eigenes Reich aufrichten möchtest. "Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel" - aber er will Frieden und du rüstest zum Kriege.

Das tägliche Brot erbittest du von dem Vater unser aller - und verbrennst die Saaten deiner Brüder, weil du lieber durch ihre Zerstörung mit geschädigt sein willst, als dass du ihnen einen Vorteil gönnst. Wie darfst du die Bitte: "Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldnern" in den Mund nehmen, da du zum Brudermord drängst? Du bittest, dass er dich nicht in Versuchung führe, während du dich selbst in Versuchung begibst und den Bruder mit hineinziehst.

Plato sagt, der Krieg, den Griechen gegen Griechen führen, dürfe nicht Krieg, sondern müsse Aufruhr genannt werden. Sie aber nennen das gar einen heiligen Krieg, den ein Christ wider einen Christen aus einem x-beliebigen Grunde mit solchen Soldaten und solchen Waffen führt. Die Gesetze der Heiden bestimmten, dass in einen Sack eingenäht und im Fluss ertränkt würde, wer sein Schwert in Bruderblut getaucht habe.

Aber sind die, welche Christus mit uns verbunden hat, etwa weniger Brüder als die, mit denen wir blutsverwandt sind? Und doch belohnt man diesen Brudermord. Für den, der Krieg führt, gibt es nur zwei traurige Möglichkeiten: siegt er, so ist er ein Brudermörder; kommt er um, so ist er nicht minder des Brudermordes schuldig, weil er ihn versucht hat.

Nichtsdestoweniger verabscheuen sie die Türken als Gottlose und Unchristen, als ob sie selbst, wenn sie solches tun, Christen wären, und als ob sie den Türken ein angenehmeres Schauspiel bereiten könnten, als wenn sie sich gegenseitig niederschießen.

Man behauptet, dass die Türken den Dämonen opfern; aber wenn diesen Christen kein Opfer größere Freude macht, als wenn ein Christ den anderen abschlachtet - tust du denn etwas Besseres als sie? Denn gerade dann haben die unreinen Geister an dem zweifachen Opfer ihre Freude, wenn gleicherweise der Schlächter und der Geschlachtete ihr Opfer wird. Wenn einer Gesinnungsgenosse der Türken und Freund der Dämonen ist, dann mag er solche Opfer fleißig darbringen.

Der Text in der Übersetzung von D. Rudolf Liechtenhahn ist hier folgender Buchveröffentlichung aus dem Ökumenischen Institut für Friedenstheologie entnommen:

"Die Seelen rüsten". Zur Kritik der staatskirchlichen Militärseelsorge. Herausgegeben von Rainer Schmid, Thomas Nauerth, Matthias-W. Engelke und Peter Bürger. (edition pace 8.) Norderstedt 2019.