Wie gefährlich ist Alkohol nun wirklich?
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Gibt es kein "gefahrloses Trinken"? Was die wissenschaftlichen Daten sagen und wie wir sie bewerten müssen.
Seit einer sowohl in wissenschaftlichen Kreisen wie in den Medien viel zitierten Studie aus der medizinischen Fachzeitschrift Lancet aus dem Jahr 2018 scheint festzustehen: Einen risikolosen Konsum von Alkohol gibt es nicht.
Auch der Gedanke, geringe Mengen Alkohols könnten die Gesundheit sogar fördern, wurde als Mythos abgetan: "Keine Menge des Alkoholkonsums verbessert die Gesundheit", lautete der Titel eines begleiteten Kommentars in der Fachzeitschrift.
Noch letztes Jahr strahlte Deutschlandfunk Kultur eine Diskussion mit dem Titel "Alkoholkonsum: Risikoloses Trinken gibt es nicht" aus. Nun war ich selbst in der ZDF-Sendung 13 Fragen zu Gast, als diese mehr Regulierung des beliebten Genussmittels thematisierte.
Dafür musste ich über 1.200 Bahnkilometer zurücklegen. Das Risiko dieser Reise war mit Sicherheit größer als null. Allein all die Koffer der Mitreisenden, die mir auf den Kopf hätten fallen können! Und doch lebe ich noch, um diesen Artikel zu schreiben.
Vom Suff zur Askese?
In einer SWR-Sendung vom 14. Mai dieses Jahres erklärte Hasso Spode, Professor für Historische Soziologie an der Universität Hannover und Kenner der Kulturgeschichte des Alkohols wie kaum ein anderer, dass sich der gesellschaftliche Blick auf die Substanz mit der Zeit verändere. Alle 20 bis 40 Jahre kippe die Stimmung vom "fröhlichen Suff" zum "schlechten Gewissen" oder, wissenschaftlicher formuliert, vom Hedonismus zum Asketismus.
Man kann aber hinterfragen, wie enthaltsam und entsagend dieser angebliche Asketismus wirklich ist. Traditionell zogen sich die religiös-spirituellen Asketen nämlich von allem Weltlich-Materiellen zurück, insbesondere dem eigenen Körper. Dieser wurde oft als Quelle von Sünde und Leiden gesehen. Auch aus Christentum und dann insbesondere dem Protestantismus ist uns dies bekannt.
Unsere heutige Kultur huldigt aber dem gesunden, schönen und idealerweise ewig jungen Körper. Das ist also gerade kein Entsagen, sondern im Gegenteil ein krampfhaftes Festhalten an dem, was sich permanent ändert, älter wird und schließlich stirbt.
Daher sollten wir meiner Meinung nach eher von einer Gesundheitskultur sprechen – die übrigens oft in sich widersprüchlich ist. Beispielsweise dort, wo sie einerseits vom Individuum gesunde Entscheidungen erwartet, dann in seiner Umgebung aber überall ungesunde Produkte anbietet.
Außerdem scheinen immer mehr Menschen krank zu sein, je mehr wir uns mit Gesundheit beschäftigen – sowohl bei psychischen Störungen als auch bei körperlichen Erkrankungen.
Die Gesundheitskultur erkennt man auch am Erfolg von Produkten, die uns für höhere Preise allerlei Gesundheitsvorteile versprechen. Häufig geschieht das allerdings ohne sichere wissenschaftliche Grundlage.
In der Wissenschaft entstanden neuen Disziplinen wie die "Health Psychology" und "Public Health". Gesundheit wird so zunehmend eine öffentliche Frage, mit der sich immer mehr staatliche Maßnahmen beschäftigen und zu der immer mehr Forscherinnen und Forscher arbeiten.
In diesen Bereich fällt die – übrigens von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung finanzierte – eingangs erwähnte bahnbrechende Studie im Lancet. So schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler denn auch: "Alkohol ist ein führender Risikofaktor für die globale Krankheitslast." Die Sterblichkeit und insbesondere Krebserkrankungen nähmen mit dem Alkoholkonsum zu.
Und weiter: "Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine Überarbeitung der weltweiten Maßnahmen zur Alkoholkontrolle nötig sein könnte. Diese sollten sich auf Bemühungen fokussieren, den allgemeinen Konsum in der Gesamtbevölkerung zu verringern."
In einer Antwort auf Kritik mehrerer Kolleginnen und Kollegen an ihrer Studie heißt es noch deutlicher: "Die Public Health Community hat eine große Pflicht, sich der massiven Krankheitslast im Zusammenhang mit Alkohol zu widmen."