Wie ich Echelon erforscht habe
Geheimdienste arbeiten meist nicht völlig hinter unüberwindbaren Mauern
Nicky Hager war derjenige, der erstmals in Neuseeland das globale Lauschsystem Echelon aufgedeckt hatte. Mit seinen Berichten und seinem 1996 erschienenem Buch Secret Power hat er wesentlich die Diskussion über die Praktiken der Geheimdienste angestoßen, die zu den STOA-Berichten und schließlich der Forderung des Europäischen Parlaments nach einem Untersuchungsausschuß geführt haben. In seinem ersten Artikel berichtet er für Telepolis, wie er die Informationen über Echelon erlangt hat. In einem zweiten Artikel, den Telepolis demnächst veröffentlicht, rekapituliert er, wie sich die Informationen über Echelon verbreitet haben.
Viele Menschen haben gefragt, wie ich Informationen über Echelon herausbekommen habe. Das sind Erfahrungen, von denen ich glaube, dass es wichtig ist, sie öffentlich mitzuteilen. Der Ausgangspunkt meiner Forschung war das Herausfinden der Namen und Berufszeichnungen aller Angestellten des elektronischen Geheimdienstes von Neuseeland. Der Durchbruch kam, als ich erkannte, dass alle ihre Namen in den Personallisten der Behörden versteckt und über viele Seiten von Angestellten des Militärs verstreut waren. Da kaum jemand überhaupt von der Existenz der Organisation Kenntnis hatte, dachte man wahrscheinlich, dass die Namen niemals bemerkt würden.
Nachdem ich weitere Listen über das militärische Personal, die die Spione nicht aufführten, erhalten und die eine Liste von der anderen abgezogen hatte, besaß ich schließlich eine fast perfekte Liste von Hunderten von Menschen des Geheimdienstes und von vielen weiteren, die früher für ihn gearbeitet hatten. Ein Vergleich dieser Liste mit anderen Personallisten des öffentlichen Dienstes gewährte mir Einblick in die allgemeinen Berufsbezeichnungen all dieser Menschen. Durch die Kombination mit einigen anderen Informationen, die schon früher an die Öffentlichkeit gekommen waren, konnte ich Schritt für Schritt den gesamten, hochgeheimen Organisationsplan aus relativ öffentlich zugänglichen Quellen erschließen. Dann begann die Arbeit, die Menschen in den verschiedenen Bereichen zu finden, die zum Sprechen bereit waren.
Menschen entscheiden sich aus unterschiedlichen Gründen, Informationen weiter zu geben. Es gibt beispielsweise einfach die Erleichterung, mit jemandem zu sprechen, der über ihre Arbeit Bescheid weiß, nachdem sie jahrelang ihrem Ehemann oder ihrer Ehefrau verschweigen mussten, was sie jeden Tag gearbeitet hatten. Doch der Hauptgrund in diesem Fall war die Sorge der Angestellten, dass ein wichtiger Bereich der Regierungsaktivitäten zu lange Zeit vor dem Parlament und vor der Öffentlichkeit zu stark geheimgehalten worden war. Manche hatten eine starke Abneigung gegen Geheimdienstaktivitäten, die sie als unmoralisch oder nicht im Sinne der Interessen des Staates betrachteten. Ich suchte mir diejenigen aus, von denen ich glaubte, dass sie mit mir sprechen könnten, suchte Menschen aus allen Abteilungen, die ich untersuchen wollte, und begann dann vorsichtig mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Ich bin noch immer erstaunt, dass die meisten bereit waren, mit mir zu sprechen, woraus viele hundert Seiten Interviewaufzeichnungen über die Hightech-Lauschsysteme entstanden, mit denen sie gearbeitet hatten.
Als die Information einmal zu fließen begonnen hatte, setzte ein richtiger Strom ein. Innerhalb der Geheimdienste wurde bekannt, dass ich begonnen hatte, sie zu untersuchen. Neue Angestellte wurden vor mir durch Sicherheitsmitteilungen gewarnt, obgleich sie keine Vorstellung davon hatten, was ich bereits erfahren hatte oder dass ich ein Buch schreiben wollte. Doch genau dies schien die Bereitschaft noch zu verstärken, Geheimnisse mitzuteilen. Lange Zeit war ich immer dann aufgeregt, wenn ich mit meiner Hand in meinen Briefkasten griff, falls ich dort geheime Dokumente finden sollte, die jemand anonym hineingesteckt hatte.
Einige Informationen hatte ich erhalten, weil "high security" mehr mit Schein als mit der Wirklichkeit zu tun haben kann. Beispielsweise müssen sich die Geheimdienstchefs sicher gewundert haben, warum ich wiederholt die neuesten Ausgaben der internen Newsletter des Dienstes angefordert habe, da sie diese nur freigaben, wenn jedes bedeutungsvolle Wort schwarz durchgestrichen war. Diese Menschen sind die Hauptberater unserer Regierung in Sicherheitsfragen, aber sie haben niemals erkannt, dass ich, wenn ich die fotokopierten Newsletter gegen meine Schreibtischlampe hielt, mit einiger Anstrengung praktisch alles lesen konnte: all die Details über die neuen oder umstrukturierten Abteilungen, die Personalveränderungen, die Mitteilungen ins Ausland und so weiter, die unleserlich gemacht wurden.
Auch die höchste Geheimhaltung an der Waihopai-Station, dem geheimsten Lauschposten des Geheimdienstes, war mehr Schein als Wirklichkeit. Trotz der Elektrozäune, Sensoren und Stacheldrähte ging ich dort einige Male hin, während ich mein Buch schrieb, und konnte später sogar ein Aufnahmeteam für eine Dokumentationssendung im Fernsehen mit hinein nehmen. Dort filmten sie die Echelon-Ausrüstung im zentralen Operationsraum und sogar die Titel der Intelsat-Handbücher (International Satellite Organisation) auf den Schreibtischen, die belegten, dass der Lauschposten auch normale öffentliche Telekommunikationsnetze abhörte.
Obgleich es sehr geheime Informationen gab, die ich nur von den Insidern erfahren konnte, stammte ein Großteil der Informationen aus sorgfältiger Feldarbeit (beispielsweise durch das Beobachten der Veränderungen bei unterschiedlichen Echelon-Post auf der ganzen Welt, während die Telekommunikationstechnik sich veränderte) und aus Informationsschnipseln aus nicht geheimen Dokumenten und Nachrichten. Manche der Insider waren Freunde von Freunden von Freunden, die ich einfach dadurch herausfand, dass ich viel herumfragte. Man sollte nicht von der Voraussetzung ausgehen, dass geheime Organisationen undurchdringlich sind. Es gibt eine Menge wichtiger Forschungsarbeit über viele Themen in jedem Land, die nur darauf wartet, durchgeführt zu werden.
Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer