Wie wir in Deutschland 50 Millionen Elektroautos aufladen können

Der notwendige Ausbau der E-Mobilität braucht mehr Kraftwerkskapazitäten und robustere Netze. So können wir beides bewältigen

Nur wenige Themen sind aktuell so umstritten wie die Frage nach dem künftigen Antrieb unserer PKW-Flotte. Ende März habe ich mir in "Ist die Elektromobilität wirklich eine Mogelpackung?" ein paar Vorurteile gegenüber der Nachhaltigkeit von E-Autos angesehen. Die Kommentare waren entsprechend zahlreich, thematisieren aber oft einen Aspekt, der im Artikel gar nicht zum Tragen kam: Wie sollen wir in Deutschland überhaupt eine nennenswerte Anzahl von E-Autos aufladen?

Immerhin: Mit Stand 1. April 2021 fahren gut 370.000 reine E-Autos und 360.000 Plug-in-Hybride durch Deutschland, ohne dass wir nennenswert Stromausfälle verzeichnet hätten. Zum sich beruhigt zurücklehnen und sich auf die Schulter klopfen hat das Ganze allerdings einen kleinen Schönheitsfehler: Diese Fahrzeuge machen zusammen nur 1,5 Prozent des gesamten Pkw-Bestandes von 48 Millionen Fahrzeugen aus. Diese 48 Millionen Fahrzeuge legen im Jahr ca. 632 Milliarden Kilometer zurück, hochgerechnet auf 15 Jahre beträgt unsere innerdeutsche Fahrleistung damit ungefähr einem ganzen Lichtjahr.

Im Internet gibt es dazu nun eine beliebte Rechnung, laut der das elektrisch gar nicht zu bewerkstelligen wäre, sie geht so: Der Einfachheit halber wird angenommen, diese Strecke würde mit Diesel-Pkw und einem durchschnittlichen Verbrauch von sieben Litern auf 100 Kilometern zurückgelegt, womit wir bei einem Bedarf von 44 Milliarden Liter Diesel-Kraftstoff pro Jahr liegen.

Für diesen Kraftstoff wird dann der Heizwert berechnet, mit 9,7 kWh pro Liter liegen wir bei einer Energiemenge von 430 Terawattstunden, mit der wir aktuell jedes Jahr unsere Pkw-Flotte bewegen. Zur Einordnung: Im Jahr 2019 haben wir insgesamt nur wenig mehr Strom generiert, es waren 516 Terawattstunden. Müssten wir unsere Stromproduktion dann also fast verdoppeln, um 48 Millionen E-Autos aufzutanken?

Glücklicherweise liegt dieser Rechnung ein Denkfehler zugrunde, denn ein E-Auto benötigt aufgrund des viel besseren Wirkungsgrads weniger Energie pro Kilometer. Viel weniger. Mit der Energiemenge in sieben Litern Diesel kann ein VW ID.3 knapp 400 Kilometer weit fahren, also fast viermal so weit. Das liegt daran, dass Benzinmotoren ungefähr 75 Prozent der im Kraftstoff gebundenen Energie in überwiegend nutzlose Abwärme umwandeln, während beim Elektromotor 90 Prozent der verwendeten Energie in der Bewegung des Autos landen.

Stromkapazitäten nach und nach zubauen

Um die deutsche Jahresfahrleistung von 632 Milliarden Kilometern elektrisch zu bewerkstelligen, braucht man daher lange nicht so viel Strom, als wenn man einfach den Brennwert von Diesel umrechnet. Setze ich für 100 Kilometer Fahrt den Durchschnittsverbrauch von 19 kWh: https://www.spritmonitor.de/de/uebersicht/198-Tesla_Motors/1582-Model_3.html?powerunit=2 eines Tesla Model 3 an, beträgt die dafür benötigte Energiemenge 120 Terawattstunden oder 25 Prozent des heutigen nationalen Strombedarfs.

Ja, dieser Strom muss auch irgendwo erzeugt werden, aber da nicht von heute auf morgen alle Autos zugleich elektrifiziert werden, können wir diese Kapazitäten nach und nach zubauen. Zudem könnten wir auch darüber nachdenken, ob 48 Millionen Autos überhaupt so eine gute Idee sind und ob es nicht auch weniger tun. Gerade, wenn wir in unseren Städten die Straßen gerechter aufteilen und weniger Menschen auf den eigenen PKW angewiesen sind.

Für eine Energiewende weg von fossiler Energie hin zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaabkommens müssen wir ohnehin eine Menge klimaneutrale Stromquellen etablieren. Allein für das Beheizen unserer Häuser, für Warmwasser und Industrieprozesswärme wird ein zusätzlicher Bedarf von 1.300 Terawattstunden geschätzt, da fallen 120 Terawattstunden für den gesamten Autoverkehr nicht mehr wirklich ins Gewicht.

Zudem würden wir auch eine Menge Strom sparen, mit denen aktuell Raffinerien, Pipelines und Tankstellen betrieben werden, die Gesamtmenge wäre auch daher mit bewährten Mitteln erreichbar. Aber was passiert, wenn viele Menschen gleichzeitig laden wollen? Auch zu dieser Frage ist das Internet reich an Modellrechnungen, an dessen Ende eigentlich früher oder später alle im Dunkeln sitzen - außer den Leuten in den E-Autos natürlich, sofern die Batterie noch etwas hergibt.

Am berühmtesten ist wohl die von Harald Lesch in einer Folge "Terra X Lesch & Co" vom Juni 2019. Darin rechnet Prof. Lesch vor: "Also nehmen wir mal an, eine Million Fahrzeuge […] möchte nun schnell aufladen, weil die Leute sind nach Hause gekommen, wollen aber demnächst irgendwo hinfahren und durch die Nacht womöglich und 500 Kilometer und brauchen sie schnell. Also jedes Auto zieht 350 Kilowatt. Eine Million, das macht zusammen 350 Gigawatt, die dann bereitgestellt werden müssen."

Tja, jetzt gucken wir uns unsere Stromerzeugung an und das Maximum lag am 19.04.2021 bei knapp 70 Gigawatt. Es dürfte also selbst mit doppelt so viel Wind- und Solarkraft unmöglich sein, eine Million Autos gleichzeitig mit 350 Kilowatt aufzuladen.

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