William Higinbothams "Tennis for Two"

Computerspiel als Rüstungsabfall - die Anfänge

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Es ist ein Erbstreit in umgekehrter Reihenfolge. Wer hat der Computerspielindustrie die gewinnbringende Produktidee hinterlassen? Und wie eng sind die Verwandtschaftsbeziehungen? Väter gibt es mehrere, Onkel auch. William Higinbotham aber ist in jedem Fall der Großvater - und dafür eigentlich der ungeeignetste Kandidat.

Higinbotham mochte Spiele nie. In seiner Freizeit spielte er Akkordeon, ab und an Pinball. Doch dazu kam er so gut wie nie. Sein Physikstudium beendete der Amerikaner bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs an der Cornell University im Bundesstaat New York. Nach dem Studium wurde Higinbotham zum Radiation Laboratory am Massachusetts Institute of Technology (MIT) gerufen. Der Krieg hat ihn geprägt. Die Forschung im Bereich Radar-Technologie war enorm wichtig für den Krieg. Das im November 1940 gegründete Radiation Laboratory begann mit 40 Wissenschaftlern, gegen Kriegsende forschten dort 4000.

Higinbotham wechselte zum Manhattan Project. Den Charakter der Forschung an der Atombombe hatte Nobelpreisträger Niels Bohr 1939 vorausschauend beschrieben: "Das kann nur geschehen, wenn die gesamten Vereinigten Staaten in eine Fabrik verwandelt werden." Higinbotham wurde 1945 Leiter der Elektronikabteilung im Forschungszentrum Los Alamos. Die Zeitschaltkreise, welche die erste Atombombe durch ihre letzten Millisekunden brachte, sind sein Werk. Er war nicht stolz darauf. Von der ersten Testexplosion erzählte Higinbotham immer eine Geschichte: Das Forscherteam fuhr im Lastwagen zurück vom Beobachtungspunkt zum Labor. "Die ganze Fahrt über hat niemand von uns gesprochen. Es gab nichts zu sagen."

Für einen Spielerfinder war Higinbotham ein ernster Mensch. Nach 1945 kämpfte er zwei Jahre lang als erster Generalsekretär der "Federation of American Scientists" gegen die Verbreitung von Kernwaffen. Als er 1947 wieder in die Forschung wechselte, vermied Higinbotham bewusst jede Verbindung zur Rüstung. Er wurde Leiter der "Information Division" am "Brookhaven National Laboratory" (BNL). Das Zentrum für Grundlagenforschung wurde 1947 von der gemeinnützigen "Associated Universities" östlich von New York gegründet. Hier sollten Wissenschaftler an Geräten arbeiten können, deren Anschaffung für einzelne Institutionen zu teuer war. Der 1952 gebaute Teilchenbeschleuniger "Cosmotron" war der erste jenseits der Milliarden Volt Grenze. Für ihre Arbeit am Cosmotron erhielten 1957 zwei BNL-Wissenschaftler den Nobelpreis.

Die Aufgabe von Higinbothams Abteilung dabei war es, möglichst präzise Mess- und Analyseinstrumente bauen. Dafür verwendete Higinbotham die modernste Rechentechnologie der 50er Jahre - den Analogcomputer. Er unterscheidet sich grundsätzlich vom heutigen Digitalcomputer. Denn analog meint, dass für Rechenschritte entsprechende physikalische Prozesse verwendet werden. Zahlen etwa werden in bestimmte Spannungen umgewandelt, die mit speziellen Schaltelementen addiert oder multipliziert werden. Die elementare Schaltkreiskomponente eines analogen Computers ist der "operationalen Verstärker", der Spannungen addiert, subtrahiert und gar Differential- oder Integralrechnungen ausführt. Während des zweiten Weltkriegs wurden Analogcomputer enorm weiterentwickelt. Denn mit ihnen konnte zum Beispiel die Artillerie abhängig von Wind, Wetter und Entfernung auf Ziele eingestellt werden.

Higinbotham hingegen machte mit seinem Analogcomputer Öffentlichkeitsarbeit. Das Brookhaven National Laboratory war bei den Anwohnern nicht gerade beliebt. Von der meisten dort verwendeten Technologie wusste man gar nichts, von den drei Forschungsreaktoren immerhin, dass sie etwas mit Kernkraft zu tun hatte. Und Kernkraft erregt schon 1958 zumindest Misstrauen, vor allem vor der eigenen Haustür. So wurde am BNL ein Tag der offenen Tür beschlossen. Higinbotham brütete über der Präsentation seiner Abteilung und kam zum Schluss, neben Fotos von Messinstrumenten sei eine für jedermann sicht- und nachvollziehbare Anwendung derselben nötig. Die Sichtbarkeit war kein Problem. Was für Digitalcomputer der Monitor ist, ist für analoge das Oszilloskop. Ein Oszilloskop stellt Spannungsänderungen in einem elektrischen Stromkreis mittel einer Lichtspur dar. Die wird bei einem Analogcomputer nach dem selben Prinzip der Braunschen Röhre sichtbar wie auch noch bei heutigen Fernsehern das Bildsignal.

Die technische Infrastruktur für ein Computerspiel hatte Higinbotham also. Im fehlte allein ein Spielkonzept. Das war ebenso genial wie einfach: Da weder Speicher noch Rechenkraft verfügbar waren, um aus dem Computer einen Gegner oder Spielpartner zu machen, ließ Higinbotham das einfach durch einen anderen Spieler erledigen. Für seine Idee brauchte es lediglich einen beweglichen Punkt, einen waagerechten Strich und drei senkrechte Linien auf dem Oszilloskop. Mit anderen Worte: "Tennis for two".

Für die Skizze des Schaltplans für das elektrische Tennis brauchte Higinbotham zwei Stunden. Die Konstruktion brauchte dann allerdings drei Wochen. Die Arbeit lohnte sich. Am Tag der offenen Tür im Oktober standen die Besucher quer durch die Turnhalle Schlange, vorbei an Fotowänden und Texttafeln, um für ein paar Minuten auf dem schwarzweißen Tennisfeld auf gerade mal 12,5 Zentimetern Bildschirmdiagonale gegeneinander anzutreten. In der Hand hielten die Spieler einen Steuerkasten mit einem Knopf zum Ballschlagen und einem Knauf, mit dem der Abschlagswinkel bestimmt wurde. Der Ball hinterließ beim Fliegen eine gestrichelte Spur, er prallte sogar vom Netz ab.

Nach dem Erfolg beim Publikum entwickelte Higinbotham das Spiel für das folgende Jahr weiter. Der Bildschirm hatte nun 36 Zentimetern Diagonale und die Spieler konnten sowohl die Stärke jedes Schlages als auch die der Gravitation beliebig einstellen. Tennis auf dem Jupiter, auf dem Mars oder sonst wo war möglich. Das Spiel definierte viel stärker als zuvor seinen eigenen Raum, mit dem der Spieler in Interaktion trat. Dies machte sicher den enormen Reiz von "Tennis for Two" aus. Higinbotham kam nicht dazu, ihn zu steigern und seine Erfindung weiterzuentwickeln. Niemand sah in "Tennis for Two" mehr als eine kleine Attraktion für den Tag der offenen Tür. Für die folgenden Veranstaltungen entwarf Higinbotham mit Kollegen einen Raum, in dem kosmische Strahlung sichtbar wurde.

1958, als Higinbotham die Idee des Computerspiels in die Turnhalle des Brookhaven National Laboratory baute und es in den USA gerade mal 2550 Computer gab, wurde andernorts der Weg in die Zukunft geebnet. Jack St.Clair Kilby von Texas Instruments erfand den ersten integrierten Schaltkreis. Seymour Cray baute den CDC 1604 - den erste ausschließlich aus Transistoren konstruierten Computer - für Control Data. Erste Schritte auf dem Erfolgsweg zum heutigen digitalen Computer. Seine Stärke ist die Einfachheit. Statt Prozesse mühsam in Analogien nachzubilden, beruhen all ihre Operationen auf dem Erkennen ob hohe oder niedrige Spannung besteht - alle Probleme bestehen letztlich aus Nullen und Einsen. Aus vielen Nullen und Einsen, wodurch enorme Komplexität möglich ist. Computergeschwindigkeit wird in Megahertz gemessen, also in Millionen Zustandsänderungen oder Takten pro Sekunde. Ein Computer mit einer Taktfrequenz von 300 Megahertz kann dreihundert Millionen Arbeitsschritte in jeder Sekunde durchführen.

Davon war Higinbotham weit entfernt. Und doch hatte er etwas Elementares erkannt: Spieldesign entscheidet. Der Grovater hat nie viel von seiner Erfindung gehalten. "Klar machte es Spaß und natürlich sahen wir da Potential. Aber es war für unsere wissenschaftliche Arbeit nicht wichtig", sagte er 1982 rückblickend. Er, der acht Patente anmeldete, ließ seine größte Erfindung nicht schützen. Dass Higinbothams Großvater des Computerspiels ist, rückte erst 1982 wieder ins öffentliche Bewusstsein. Nintendo rief ihn damals als Zeugen vor Gericht. Man wehrte sich gegen Lizenzforderungen des amerikanischen Videospielherstellers Magnavox, der ein Patent auf das Heimvideospiel besaß. Higinbothams Erfindung sollte die Unzulässigkeit dieses Patents belegen. Da sich die Prozessparteien außergerichtlich einigten, wurde Higinbothams nie als Vater anerkannt. Erst 1982 rief der Herausgeber des US-Spielmagazins "Creative Computing" David Ahl Higinbotham zum Erfinder des Computerspiels aus. Er hatte 1958 als Grumman-Stipendiat eine Reise zum Tag der offenen Tür am Brookhaven National Laboratory gewonnen und die Partie "Tennis for Two" dort auf immer in Erinnerung behalten.

Higinbotham selbst kämpfte nie um den Titel. Er hatte genug als Aktivist gegen die Verbreitung von Atomwaffen zu tun. Sein Sohn, William B. Higinbotham erinnert sich: "Er hat mir einmal gesagt, dass er lieber als für seinen Kampf gegen Atomwaffen als Tennis for Two in Erinnerung behallten werden will." Ab 1968 arbeitete Higinbotham in der "Technical Support Organization" (TCO) der Atomenergiebehörde. Die TCO ist für die sichere Lagerung von Atommüll verantwortlich. Am 10. November 1995 starb William Higinbotham mit 84 Jahren. Die "Federation of American Scientists" benannte ihm zu Ehren ihren Sitz in Washington in Higinbotham Hall um. Es hätte Higinbotham wohl mehr gefreut als ein Patent für das erste Videospiel. Einmal sagte er: "Stellen sie sich vor, ich hätte das Patent 1958 angemeldet. Laut Arbeitsvertrag gehören alle Patente der Wissenschaftler am BNL der US-Regierung. Dann müssten also heute alle Hersteller von Computerspielen Geld an die Regierung zahlen. Also."

Bücher

Ira Flatow: "They All Laughed". New York, 1992. S. 215ff.
Steven L. Kent: "The First Quarter : A 25-year History of Video Games". Bothel, 2000.
Steven Poole: "Trigger Happy". London, 2000. S.29ff

Zeitschriften

David H. Ahl: Editorial. In: "Video & Arcade Games", Nr. 1 / 1983
Marshal Rosenthal: Dead Scientists: Dr. William Higinbotham. in: Discovery Channel online

Internet

John Anderson: Tennis Programming
Ralph Baer: Who did it first?
Department of Energy, Office of Scientific and Technical Information: Video Games – Did They Begin at Brookhaven?
William Hunter: The Dot Eaters - Classic Video Game History
William Linn: Lecture on Low Bit Games