Willkommen in der Postdemokratie
Seite 4: Das Regime der Angst
Die neue deutsche Härte, die von der Zeit bejubelt wurde, findet sich auch in einer Reaktion der FAZ auf die Kritik an dem brutalen deutschen Dominanzstreben. Deutschland dürfe sich bei seinem dritten Anlauf zur Erringung der europäischen Hegemonie nicht "einschüchtern" lassen, warnte das konservative Leitmedium. Insbesondere nicht von Gegenkräften, die die "deutsche Geschichte als Munition" einsetzen:
Man soll also die Kirche im Dorf lassen und das (gespielte?) Erschrecken vor den "neuen" Deutschen einstellen. Vielleicht wird die Währungsunion künftig tatsächlich stärker als bisher, weil alle wissen, was Sache und, dass die Zeit für Spielereien abgelaufen ist. Dann hätte die deutsche Verhandlungsführung ihren Zweck erfüllt.
Abermals wir hier letztendlich ausgesprochen, dass es Berlin um ein Exempel ging, das an Hellas zu statuieren war, um die Zeit der demokratischen "Spielereien" in der deutschen Währungsunion zu beenden.
Überwachen und Strafen - auf diesen Nenner brachte der österreichische Standard die deutsche Ideologie, die mit einem "populistischen und nationalistischen Wahn" in Deutschland einhergehe, "der seinesgleichen sucht". Berlin wolle einen "neuen Politikstil" etablieren, ein "Regime der Angst in ganz Europa: Wer ausschert, der wird niedergemacht".
Das Regime der Angst zielt auf autoritäre Disziplinierung ab - die Zeit, als die Eliten noch versuchten, im Konsens zu regieren, ist vorbei. Der neue Regierungsstil setzt auf Zwang statt Konsens, das ist sein antidemokratischer Kern.
Uns selbstverständlich ist es die schwere Systemkrise (Die Krise kurz erklärt), in der sich der Kapitalismus befindet, die diese autoritäre Wende nun auch in den Zentren des kapitalistischen Weltsystems voll einsetzen lässt. Die Zeit der Gratifikationen, mit denen "Konsens" erkauft wurde, ist endgültig vorbei, weil die eskalierende Krisendynamik die ökonomischen Möglichkeiten eines Regierens im Konsens zusendest erodieren lässt.
Damit entpuppt sich die kapitalistische Demokratie als eine bloße Schönwetterveranstaltung, die nur in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität den Lohnabhängigen die Illusion von Wahlfreiheit lässt. Das antidemokratische Ressentiment wächst in Krisenzeiten ja gerade in der Mitte der Gesellschaft heran, etwa in den deutschen Redaktionsstuben, wie die obigen Beispiele illustrieren.
Deswegen sind Analogien zu den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, als das kapitalistische Weltsystem seine bis dato schwerste Systemkrise erlebte, durchaus zutreffend. Nationaler Wahn und Demokratieverachtung der "Eliten" greifen derzeit ebenso rasch in Europa um sich, wie es nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 der Fall war.
Endlose Kapitalvermehrung
In Krisenzeiten wird auch ersichtlich, wo die Grenzen der Demokratie im Kapitalismus liegen: bei den "Sachzwängen" des Kapitals. Das Kapital und die "freien Märkte" stehen selbst in der gegenwärtigen Systemkrise niemals zur Diskussion oder Disposition, weil sie in der herrschenden Ideologie den Charakter von natürlichen Gesetzmäßigkeiten annehmen, die aus unabänderlichen Wesenseigenschafen des Menschen oder der Natur entspringen.
In der kapitalistischen Demokratie werden somit auch in Zeiten der Prosperität nur verschiedene Wege erörtert, den kapitalistischen Selbstzweck der uferlosen Kapitalverwertung (Wachstum!) zu optimieren. Dieser irrationale Selbstzweck der endlosen Geldvermehrung ist axiomatisch allen politischen Entscheidungen und öffentlichen Debatten als eine Art Tabu vorausgesetzt, das tief in die öffentliche Diskurslogik eingebrannt wurde.
Der Bürger darf somit darüber abstimmen, wie das fetischisierte Wirtschaftswachstum angekurbelt, wie weitere "Arbeitsplätze" geschaffen werden sollen, aber es ist schlicht unmöglich, im Mainstream über Alternativen jenseits von Markt und Kapital selbst in der gegenwärtigen Systemkrise auch nur zu diskutieren - schon eher wird die ehemals Heilige Kuh der kapitalistisch verstümmelten Pseudodemokratie geopfert, als dass die Herrschaft der "Märkte" auch nur in Zweifel gezogen würde.