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Seite 3: Der spanische Musterknabe Rajoy

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Der erzkonservative spanische Premier Rajoy gilt tatsächlich als einer der engsten Verbündeten Berlins, während seine Rechtsregierung Sozialkahlschlag und Demokratieabbau ins Extrem treibt - ohne das die Bundesregierung, die ansonsten jede Abweichung vom Sparregime in Südeuropa gnadenlos verfolgt, jemals interveniert hätte.

Aushebelung des Versammlungsrechts

Wie weit die Erosion bürgerlich-demokratischer Freiheitsreste vorangeschritten ist, kann gerade am Beispiel dieses deutschen Musterknaben studiert werden, wo drakonische Gesetzesänderungen mit der schweigenden Zustimmung Berlins de facto zur Abschaffung des Demonstrationsrechts und der Redefreiheit führten. Die New York Times schrieb von einem Rückschritt in die "dunklen Tage des Franco-Regimes".

Der Freitag fasste einige der absurd anmutenden Regelungen zusammen, mit denen offenbar die Entstehung künftiger Protestbewegungen verhindert werden soll:

Unangemeldete Versammlungen und Demonstrationen vor öffentlichen Gebäuden, seien es Krankenhäuser, Verwaltungen oder das spanische Parlament, werden von jetzt an mit bis zu 30.000 Euro geahndet. Protestaktionen innerhalb öffentlicher Gebäude kosten bis zu 600.000 Euro. Wer unautorisiert Bilder oder Videos von Sicherheitskräften verbreitet, muss ebenfalls mit Strafen von über einer halben Million Euro rechnen. … Störungen öffentlicher oder religiöser Veranstaltungen ziehen Geldbußen bis 600.000 Euro nach sich. Spontane Versammlungen auf öffentlichen Straßen oder Plätzen kosten 100 bis 600 Euro.

Trotz der astronomischen Bußgelder handele es sich nur um "Ordnungswidrigkeiten", was letztendlich auf die Ruinierung der betroffenen Demonstranten abzielt:

Der Rechtsweg im Vorfeld ist damit ausgeschlossen. Das Bußgeld kann höchstens im Nachhinein gerichtlich angefochten werden, sofern der Kläger dann noch liquide ist. Der Gesetzgeber hat die Polizeibeamten quasi mit richterlichen Kompetenzen ausgestattet: Sie fällen das Urteil welche verwaltungsrechtliche Sanktion verhängt wird.

Diese Aushebelung des Versammlungsrechts ist selbstverständlich eine Reaktion auf den Erfolg der Protestpartei Podemos. Es findet somit eine Arbeitsteilung zwischen Berlin und Madrid statt: Während Schäuble an Hellas ein abschreckendes Exempel statuiert, geht Rajoy innenpolitisch gegen die Protestpartei vor.

Die durch die Berliner Krisenpolitik forcierte autoritäre Transformation Europas ist somit keine düstere Zukunftsvision. Sie findet jetzt statt. Das deutsche Diktat des 13. Juli stellt einen offenen qualitativen Bruch dar, der diese autoritären Tendenzen massiv befördern wird.