Windkraft-Mythenmacher: So wird Stimmung gegen Erneuerbare gemacht

Seite 2: Für 1,5 Grad: Windkraft-Ziele der Regierung müssen verdreifacht werden

Auf Nachfrage reagieren manche solcher Journalist:innen mit dem Argument: Fachdebatten sind den Fachmagazinen vorbehalten! Durch solches Verhalten bekommt die von uns sehr geschätzte Medienfreiheit beim Thema Windkraft ein "Geschmäckle".

Hochrechnungen zufolge kommen in Deutschland zwischen 10.000 bis 100.000 Vögel an Windkraftanlagen zu Tode. Daher ist es erstaunlich, dass die über 100 Millionen Vögel, die jährlich in Deutschland an Glas und Glasscheiben sterben, kein öffentliches Thema sind.

Auch zu den wesentlich massiveren Schäden durch Vogelschlag im Straßenverkehr und entlang von Bahn- und Hochspannungstrassen, zur Bedrohung der Vogelwelt durch Agrargifte und Naturzerstörung oder durch Katzen gibt es keine Debatte.

In der Umweltministerkonferenz 2020 wurden beispielsweise Uhu und Schwarzstorch von der Liste der Windkraft sensiblen Arten gestrichen. Weitergehende Hinweise auf Forschungsprojekte können z. B. auf der Webseite des Bundesamtes für Naturschutz nachgelesen werden.

Wahr ist, dass verbesserte Techniken im Einsatz bei neueren Windkraftanlagen zu Vermehrungen der Bestände bedrohter Vogelarten geführt haben. Die Faktenlage und die wissenschaftlichen Erkenntnisse führen eher dazu, dass Deutschland sich auf der EU-Ebene massiv dafür einsetzen sollte, dass die europäische Vogelschutz-Richtlinie gründlich überarbeitet wird.

Umweltschützer:innen warnen ohne fundierte Nachweise, dass zu befürchten sei, "vor jede Haustür" komme nun ein Windrad. Auch dies ist reine Panikmache.

Das Bundeswirtschaftsministerium setzt das Flächenziele für Windkraftanlagen an Land auf den Wert "zwei Prozent der Bundesfläche" an. Das ist keine besonders große Fläche und auch wahrscheinlich viel zu hoch angesetzt. Denn wenn man sich den Bruttostrombedarf ansieht (von der Bundesregierung sicherlich zu niedrig mit 715 Terrawattstunden pro Jahr angesetzt) und ihn mit dem Flächenverbrauch von Referenz-Windkraftanlagen in Beziehung setzt (ca. 350 m² pro Anlage), dann kommt man auf eine Fläche, die deutlich unter zwei Prozent liegt. Selbst wenn zur versiegelten Fläche noch die Flächen für Wege und Kranstellungen sowie die vom Rotor überstrichene Bodenfläche hinzu gerechnet werden.

Ergänzend verwundert es mich, dass sich Niemand in den Medien öffentlich darüber aufregt, wenn in Deutschland jedes Jahr Flächen für Gewerbe, Verkehr oder Wohnen von rund 100 km² versiegelt werden.

Der Bau neuer Windräder ist wie der der Solarkraft durch bürokratische Hemmnisse vor allem der Merkel-Regierungen gehemmt worden, der Zubau brach in den letzten Jahren ein. In Bayern sind 2020 zum Beispiel nur acht neue Windräder ans Netz gegangen, drei neue wurden genehmigt und null sind beantragt worden. In anderen Bundesländern ist die Lage nicht viel besser. Was läuft da falsch?

Rainer Doemen: Neben den rechtlichen Veränderungen, d. h. Anpassungen im Planungs-, Bau-, Genehmigungs-, Natur- und Artenschutzrecht müssen die seit Jahrzehnten bestehenden massiven Hemmnisse im Genehmigungsverfahren abgebaut werden.

Nur ein gemeinsamer Wille und gemeinsame Anstrengungen von Bund, Ländern und Gemeinden wird dazu führen, dass der tatsächlich gebotene massive Zubau von Windkraftanlagen an Land bis spätestens 2030 gelingen kann.

Der Gesetzgeber hat es versäumt zu regeln, wie viel Fläche für Windkraftanlagen "weggeplant" werden darf (ich verweise auf den seit 1997 wie eine "Windkraft-Verhinderungsvorschrift" wirkenden Paragraphen 35 im Baugesetzbuch). Gerichte haben seitdem den Gesetzgeber ersetzt. Die von Gerichten entwickelten Merkmale sind jedoch nicht geeignet wie eine "Betriebsanleitung" zur Genehmigung von Windkraft zu wirken; im Gegenteil.

Das geltende Verfahren ist aus Sicht der Windkraft-Branche verbesserungsfähig. Ziel sollte es sein, dass Antragsteller auf Errichtung von Windkraftanlagen an Land über die sehr lange Zeitdauer der Genehmigungsverfahren die Chance erhalten, die am besten geeigneten Windkraftanlagen an dem jeweiligen Standort zu realisieren. Dies setzt voraus, dass zwischenzeitliche Verbesserungen von Windkraftanlagen in Qualität und Technik im Vergleich zum beantragten Typ vom Antragsteller ausgewählt und ohne ein neu zu startendes Genehmigungsverfahren realisiert werden dürfen.

Mit Fachplanern und Windkraft-Unternehmen haben wir dazu eine Tabelle mit relevanten Verbesserungsmaßnahmen entwickelt, deren Vor- und Nachteile aufgeführt. Anschließend sandten wir unsere Empfehlungen dem Bundeswirtschaftsministerium mit der Bitte um Prüfung und Umsetzung einer sog. "Typenoffene Genehmigung".

Beispielhaft haben wir Hemmnisse in der Projektgruppe Windkraft der SolAHRtal-Initiative erarbeitet. Folgende Hemmnisse wurden bei der Verwirklichung von Windkraftprojekten identifiziert:

  • Die Betreiber des Radioteleskop Effelsberg wenden sich gegen den Ausbau von Windkraft in einem sehr großen Radius. Bis heute fehlt eine unabhängige wissenschaftliche Überprüfung der Einwände. Windhöffige Regionen in Kilometer weiter Entfernung dürfen daher nicht für den Ausbau von Windkraft genutzt werden. Gleiches gilt für den Kreis Euskirchen.
  • Die Generaldirektion Kulturelles Erbe war wegen personeller Wechsel und ständiger Nachforderungen von Unterlagen ein stetes Hemmnis in Raumordnungsverfahren.
  • Die Genehmigungspraxis der Unteren Naturschutzbehörde (UNB) zeichnete sich aus durch Verzögerungen und überhöhte Anforderungen.

Diese Hemmnisse werden nicht nur im Landkreis Ahrweiler aufgetreten sein. Hier gilt es, zielorientiert, gemeinsam und sehr zeitnah mit Vertretern aus Landkreisen, Städten und Gemeinden sowie den Ländern unter Einbeziehung von Fachplanern und Windkraft-Unternehmen bestehende Hemmnisse zu identifizieren und abzubauen.

Kann der Habeck-Plan überhaupt in der Form, wie er vorliegt, die Bremsen lösen, um die notwendige Energiewende in nur wenigen Jahren zu gewährleisten? Neue Studien zeigen uns ja, dass die 1,5-Grad-Schwelle demnächst schon überschritten wird und daher die Industriestaaten bis 2030, spätestens bis 2035 komplett dekarbonisiert sein müssen, um überhaupt noch unter 2 Grad Celsius bleiben zu können. Ist der Windrad-Plan des Wirtschafts- und Klimaministers ausreichend, um dem zu entsprechen?

Rainer Doemen: Deutschland hat völkerrechtlich verbindlich mit seiner Unterzeichnung des Pariser Klimaschutzabkommen bestätigt, dass wir nicht mehr als das unserem Staat zustehende, anerkannte Treibhausgas-Budget verbrauchen dürfen. Bemessen an den viel zu hohen Treibhausgas-Emissionen pro Kopf müssen wir sofort entschlossen handeln. Nur so wird es uns gelingen, die beschlossene Erderwärmungsgrenze von 1,5 Grad Celsius nicht zu überschreiten.

Der Bau neuer Windkraftanlagen und auch Sonnenkraftwerken wurde durch bürokratische Hemmnisse vor allem der Merkel-Regierungen gehemmt. Damit Deutschland die verbindliche 1,5-Grad-Grenze von Paris noch einhalten kann, benötigen wir ehrlicherweise bis spätestens 2030 einen Zubau an Photovoltaik 650 GW-Leistung und Windenergie von 510 GW-Leistung.

Die Bundesregierung plant hingegen bis 2030 lediglich einen Zubau an von 200 GW-Leistung und Windkraft an Land von 140 GW-Leistung.

Wir brauchen daher eine starke Steigerung der Ziele und des Zubaus von Windrädern und Solaranalgen.

Rainer Doemen ist Vorstandsmitglied des Solarenergie-Förderverein Deutschland e. V., Ratsmitglied des Bündnis Bürgerenergie e.V., Projektleiter des Solarverein Goldene Meile e.V., (Mit)Initiator der SolAHRtal-Initiative und Impulsgeber des Runden Tisch Erneuerbare Energien. Er ist zudem Beigeordneter der Stadt Remagen und Ausschussmitglied des Landkreises Ahrweiler auf Kreisebene für Abfallwirtschaft, Umwelt-, Natur- und Klimaschutz.