"Windräder der Schande". Wie sich die AfD im Märchenwald verrannt hat
Weidel im Kampf gegen Windräder. Parteichefin forderte deren Abriss. Was hinter den wilden Thesen steckt und was Wissenschaftler dazu sagen.
Je näher die vorgezogene Wahl zum Bundestag rückt, desto schriller wird der Ton im Wahlkampf, vorwiegend bei der AfD. Hier sorgen nun Aussagen der Kanzlerkandidatin Alice Weidel zum Thema Windkraft für Empörung. Und während sie tapfer in den Kampf gegen die Flügel der Windkraftanlagen zieht, liefert eine neue wissenschaftliche Großstudie Antworten auf die Fragen. Warum macht die AfD das? Und: Wie kann man dem Widerstand gegen Windkraft begegnen?
Beim Parteitag der Rechten im sächsischen Riesa jedenfalls hatte Weidel unter großem Jubel der Teilnehmer zunächst angekündigt, alle Windkraftwerke in Deutschland niederzureißen, sollte ihre Partei an die Macht kommen. "Und ich kann ihnen sagen, wenn wir am Ruder sind, wir reißen alle Windkraftwerke nieder. Nieder mit diesen Windmühlen der Schande", rief die Politikerin auf der Bühne.
Besonders im Fokus ihrer Kritik stand dabei der Reinhardswald in Hessen, der die Gebrüder Grimm einst zu ihren berühmten Märchen inspirierte. Dort soll bis Ende 2026 ein Windpark mit 18 Anlagen entstehen, wogegen sich Weidel vehement aussprach: "In Hessen holzt die CDU-Regierung den Märchenwald der Brüder Grimm für Windräder ab."
Später relativiert Weidel
Zwar ruderte die AfD-Chefin später zurück und betonte, sich nur auf den Reinhardswald bezogen zu haben. Grundsätzlich schloss sie die Windkraft als Energiequelle nicht aus – allerdings nur ohne Subventionen.
Ihr Co-Parteichef Tino Chrupalla erklärte ebenfalls später, Weidel habe sich vor allem auf Anlagen bezogen, für die Wälder abgeholzt werden müssten. Eine komplette Abschaffung der Windenergie, wie vom Thüringer AfD-Chef Björn Höcke gefordert, schien er nicht zu unterstützen.
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Dennoch wirft die radikale Rhetorik der AfD-Spitzenkandidatin viele Fragen auf, was eine mögliche Regierungsbeteiligung der Rechtspopulisten für die Energiewende bedeuten würde.
Scharfe Kritik an Weidels Aussagen kommt aus der Windkraft-Branche. Stefan Dohler, Präsident des Bundesverbands der deutschen Energie- und Wasserwirtschaft und zugleich Vorstandsvorsitzender der EWE AG, sieht in der Position der AfD eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Wütende Repliken aus der Branche
"Purer Populismus, der die Fakten negiert", nennt er die Argumentation, es gebe keinen Klimawandel und deshalb benötige man keine erneuerbaren Energien. Schon heute liege der Anteil erneuerbarer Energien bei knapp 60 Prozent im deutschen Stromsystem, betont Dohler.
Auch der Bundesverband Windenergie Offshore warnt davor, die Bedeutung erneuerbarer Energien und Klimaschutztechnik für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu unterschätzen.
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Wenn andere Länder hier die Marktführer würden, stehe eine Vielzahl an Arbeitsplätzen auf dem Spiel. Dass die AfD einen wirtschaftlichen Abstieg Deutschlands in Kauf nehmen würde, kritisiert auch Verbands-Geschäftsführer Stefan Thimm.
Einen fundierten Blick auf die vielfältigen Auswirkungen der Windenergie liefert indes eine aktuelle Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH). Ein internationales Forscherteam hat dafür über 400 wissenschaftliche Arbeiten ausgewertet und 14 verschiedene Effekte auf Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft und Recht identifiziert.
Experte mahnt zu Kompromissen
Im Interview erklärt Russell McKenna, Experte für Energiesystemanalyse an der ETH, dass es bei allen Energietechnologien Kompromisse gebe und es unvernünftig sei, sich nur auf die Nachteile einer Technologie zu konzentrieren.
Als größte Herausforderung für den Ausbau der Windkraft sieht McKenna die fehlende Akzeptanz in der Bevölkerung. "Die Akzeptanz von Windkraftanlagen in der Bevölkerung ist generell hoch, beispielsweise befürworten 60 Prozent der Schweizer Bevölkerung Windkraftanlagen im zukünftigen Strommix, aber auf lokaler Ebene gibt es oft Widerstand", erklärt der Wissenschaftler.
Betroffene Gemeinden beteiligen
Als Lösungsansatz schlägt er vor, die betroffenen Gemeinden finanziell an den Projekten zu beteiligen oder durch die Schaffung von Arbeitsplätzen einen Mehrwert für die Region zu generieren. Auch der Tourismus könne von attraktiven Windpark-Standorten profitieren. Diese Aussagen beziehen sich auf die Lage in der Schweiz; sie können aber ebenso auf Deutschland bezogen werden.
So betont McKenna etwa, dass in der Bevölkerung noch viel Aufklärungsarbeit über die jeweiligen Vor- und Nachteile der Windenergie geleistet werden müsse: "Es ist wichtig, dass alle Beteiligten, einschließlich der Öffentlichkeit, das "Gesamtbild" vor Augen haben, wenn sie zwischen verschiedenen Energietechnologien abwägen." Mythen und Vorurteile, wie angebliche gesundheitliche Gefahren durch Infraschall, ließen sich durch wissenschaftliche Fakten entkräften.
Windkraft auch nicht glorifizieren
Die Studienergebnisse könnten laut McKenna auch als Grundlage für politische Entscheidungsträger dienen, um die wichtigsten Herausforderungen beim Ausbau der Windkraft anzugehen.
Er betont jedoch, als Wissenschaftler die Windenergie nicht über andere Technologien stellen zu wollen: "Alle diese Technologien haben Vor- und Nachteile in einer Vielzahl von Wirkungskategorien. Leider neigt die Diskussion über die Energiewende dazu, sich auf bestimmte Vor- oder Nachteile zu konzentrieren und andere zu ignorieren."
Die radikalen Forderungen der AfD zu einem kompletten Stopp oder Rückbau der Windkraft erscheinen angesichts der von Experten dargelegten Fakten mehr als fragwürdig. Ein Ausstieg aus dieser Technologie, die bereits heute einen bedeutenden Anteil an der deutschen Stromerzeugung hat, wäre fatal für die Energiewende und den Wirtschaftsstandort.