Wir sind alle Astronauten
Buckminster Fuller in der Retrospektive.
Ausnahmen bestätigen bekanntermassen die Regel: "Trau keinem über dreißig - außer Bucky Fuller." Aber wer bitte ist Buckminster Fuller? Historisch betrachtet vor allem ein Inspirator des eher vergessenen, technophilen Strangs einer Gegenkultur, die im Nachhinein gerne auf Zurück-zur-Natur-Hippies und politische Revolte verkürzt wird. Er ist der Entwerfer von riesigen Kuppelbauten, die in seiner Vorstellung irgendwann auch halb Manhattan überspannen sollten, der Designer von aerodynamischen Autos, der Theoretiker einer neuen Geometrie und nicht zuletzt jemand, der interaktive Simulationen vorschlug, damit die Menschheit mit ihrer Situation auf dem Raumschiff Erde vernünftig umzugehen lernt. Das war Ende der 60er Jahre Grund genug für paranoide Regierungsstellen, Fuller der Aufwiegelung seiner Studenten zu verdächtigen und seine Büros vom CIA durchsuchen zu lassen.
Buckminster Fuller hatte sich tatsächlich den radikalen Neuentwurf eines als gefährlich unzulänglich erkannten Weltbilds zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Sein im Vergleich zum Rest der Welt frühes ökologisches Denken verband sich mit dem Glauben an den Segen von Technologie zu einer spezifischen Utopie für ein gutes Leben für alle. Kaum verwunderlich also, dass die Ideen Fullers in den post-ideologischen Neunzigern, die sich lieber mit Technologie als Politik beschäftigten, eine Renaissance erlebt haben. Claude Lichtenstein hat nun zusammen mit Joachim Krausse für das Museum für Gestaltung in Zürich eine Aussstellung zusammengetragen, die das Lebenswerk des 1983 verstorbenen Fuller umfassend beleuchtet.
Einer der letzten Universalisten
Für die Ausstellungsmacher dieser ebenfalls umfassenden und äusserst aufschlussreichen Retrospektive (für die man mindestens einen Tag Besuchszeit braucht) war Fuller einer der letzten Universalisten, die das 20. Jahrhundert noch hervorbringen konnte, die Liste seiner mehr als selbstbewussten Selbstbeschreibungen ist endlos: Marineoffizier, Antiakademiker, Experimental-Seminarist, Architekt, Kartograph, Choreograph, Visionär, "Verb" usw.. Auf den Punkt gebracht war Fuller aber vor allem eines: Designer in einem umfassenden, "ganzheitlichen" Sinn.
Fuller verstand sich dabei selbst als das Material, mit dem es zu experimentieren galt. Die erste Regel im Lebensexperiment war der radikale Ansatz, nur dem eigenen Begriffsvermögen zu folgen, und alle sozialen und theoretischen Konventionen so grundlegend wie möglich zu hinterfragen. "Versuchskaninchen Buckminster" machte sich also unbeliebt, trug die falschen Klamotten in guter Gesellschaft und pflegte zeitlebens die Distanz zu den Institutionen. Diese Haltung brachte ihm schließlich Lehraufträge an der avantgardistischen Kaderschmiede des Black Mountain College ein, wo Fuller zusammen mit seinen Studenten ungehindert seinen Grundlagenforschungen zu einer neuen Architektur nachgehen konnte.
Die Züricher Ausstellung versammelt neben einer Diashow, diversen Videosequenzen mit Dokumentaraufnahmen und zum Teil originalen Modellen Fullers vor allem Auszüge aus seinem bis dato kaum zugänglichen Dymaxion Chronofile. Fullers Chronofile, dessen erste Jahrzehnte noch zu massiven Büchern gebunden wurden, umfaßt als Logbuch eines Lebens seinen umfangreichen Briefwechsel genauso wie all die gesammelten, teils schnell hingekritzelten Notizen, Strukturen und Schemata, die nicht nur als technische Zeichnungen und geometrische Überlegungen daherkommen, sondern auch als kosmologische Betrachtungen und beinahe religiös anmutende Zeugnisse der Zusammenhänge zwischen Welt-Design und Mensch. Fullers praktische Arbeit orientierte sich fundamental daran "wie die Natur baut."
Das Haus als Serviceleistung
Konkret verdichtete sich dieser Ansatz zuerst zur Mission, leichte luftige Häuser für alle zu entwerfen. Fuller, der Zeit seines Lebens die Welt statistisch zu erfassen suchte, stellte 1928 fest, dass man in den kommenden 80 Jahren 2 000 000 000 neue Wohnungen für die Weltbevölkerung brauchen würde. In verschiedenen Phasen entwickelten sich immer neue Modelle für die industrielle Produktion preiswerter, am besten via Zeppelin oder Helikopter transportierbarer und schnell zu errichtender Familienbehausungen.
Mit dem symmetrisch sechsstrahligen Dymaxion House sorgte Fuller Anfang der 30er Jahre erstmals für Schlagzeilen wie "Pneumatic House, Built Like Tree, Proposed For Mechanical-Age Folk". Die einzelnen Stockwerke konzipierte Fuller als Decks, die über Kabel an einem dreifüssigen Mast aufgehängt sind. Eine flexible, stromlinienförmige und am Wind ausgerichtete transluzente Hülle schützt das Haus vor der Witterung. Das Dymaxion House war als Serviceleistung analog zu einem Telefonanschluss gedacht. Ein moderneres Konzept für eine mobile Gesellschaft lässt sich kaum denken.
Sein Design verdankt sich - in Fullers Perspektive analog zur menschlichen Zivilisation überhaupt - dabei den Erkenntnissen der Seefahrt:
"Wenn die Wasser-Leute aus Holz ihre Schiffe bauen, bauen sie spannend, mit Bögen und Dreiecken und mit äusserster Effizienz aller funktionalen Teile. Sie müssen immer mehr mit immer weniger tun, um in allen Stürmen steuerbar und flott zu bleiben, wozu man mit relativ wenig sehr viel tun muss."
Die Technologien der Schiffahrt standen auch für den bald folgenden, aerodynamischen Dymaxion Car Pate, dessen Prototypen damals, wo immer sie auftauchten, eine Sensation darstellten.
Das Dreieck als kosmisches Grundmodul
Wirklich berühmt wurde Fuller aber mit seinem Patent für geodätische Kuppeln, in denen die Utopien einer neuen, menschenfreundlichen Architektur und eines hierarchiefreien Zusammenlebens sichtbar zusammentrafen und zu Symbolen eines freundlichen Hippie-Futurismus wurden. Die Konstruktionsprinzipien dieser Geodesic Domes, wie etwa des inzwischen einem Brand zum Opfer gefallenen, amerikanischen Pavillons auf der Weltausstellung in Montreal 1967, gleichen denen der Schalen von Viren und anderen organischen Designs, deren Entdeckung durch Fullers Bauten beschleunigt wurde. Das Dreieck, das als Basis für viele der Fullerschen Konstruktionen diente, erkannte Fuller als kosmisches Grundmodul, dessen jeweilige Seiten mit geringstem Aufwand den ihr gegenüberliegenden Winkel stabilisieren:
"Da eine Struktur ein Muster-stabilisierender Komplex von Ereignissen ist, ist ein Dreieck eine Struktur. Struktur heisst: Dreieck. Es gibt keinen anderen solchen, mit geringstem Aufwand sechsfach kombinierten, aus einer Minimalfolge gebildeten kosmischen Fall wie diesen."
Fuller blickte aber nicht nur wie ein Designer, sondern auch wie ein Kybernetiker in die Welt, und kam zum Schluss, dass das Universum "das Aggregat der von der gesamten Menschheit bewusst gemachten und kommunizierten Erfahrung mit den nichtsimultanen, nichtidentischen und nur partiell sich überlappenden, immer komplementären, wägbaren und unwägbaren, jederzeit omnitransformierenden Ereignissequenzen" ist. Sinn macht der Kosmos nur, wenn man den Menschen als Beobachter in sein System hineindenkt.
Umgekehrt ergibt sich aus dieser Überlegung die Notwendigkeit, das Universum in unsere Denkwelt miteinzubeziehen, und am besten mit dem Universum anzufangen, wenn es darum geht, die Welt zu verstehen. 1951 prägte Fuller im Laufe eines Vortrags den Begriff vom Spaceship Earth, und brachte damit die Idee eines im Hinblick auf unsere Ressourcen geschlossenen Systems plastisch nachvollziehbar auf den Punkt: We are all astronauts.
Die Weltsimulation
Mit dem 1965 konzipierten World Game versuchte Fuller schließlich, der Menschheit dieses systemische Bewußtsein mittels eines interaktiven Spiels nahezubringen. Das World Game, das auf Großrechnern laufen sollte, stellte die zentrale Frage: How do we make the world work? Das Ziel bestand darin, die gesamte Weltbevölkerung am Wohlstand der Industrienationen teilhaben zu lassen, unter der Bedingung, dass kein Individuum physisch oder ökonomisch auf Kosten eines anderen bevorteilt werden sollte. Utopia sollte aus den Schlussfolgerungen der verschiedensten Testläufe in einem kybernetischen System abgeleitet werden, das mit allen zur Verfügung stehenden Informationen über den Status Quo gefüttert werden würde und dessen Parameter sich unter anderem durch die vorgenommenen Eingriffe ständig verändern. Wer zum Krieg als Lösungsmittel greift, hat verloren.
Die verschiedenen Phasen des Spiels, in denen Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Politik ihre Lösungsansätze durchspielen sollten, wurden von Fuller als Teil der täglichen World News gedacht, die über Satelliten übertragen werden sollten. Die Menschheit beobachtet in diesem Szenario also eine kybernetische Simulation ihrer selbst. Das World Game war Teil eines Instrumentariums zur fundamentalen Umwälzung von Begrifflichkeiten, die uns vertraut und selbstverständlich geworden sind, und daher unhinterfragt bleiben, womöglich gar unhintergehbar zu sein scheinen. Warum, fragte Fuller etwa eine Versammlung von Wissenschaftlern, erklären Sie Ihren Kindern immer noch, die Sonne gehe auf und unter? (Für Menschen, die erkannt haben, dass sie auf einem Planeten leben, sollten auch Begriffe wie oben und unten keinen Sinn mehr machen; der Wind schliesslich wird nicht geblasen, er wird gesaugt.)
Bei allen revolutionären Ansätzen Fullers, wie etwa seiner Forderung, dass Eigentum nur dann zu rechtfertigen sei, wenn es auch sinnvoll genutzt werde, war er weit davon entfernt, eine Ideologie zu entwerfen, um seiner hin und wieder gigantomanisch erscheinenden Mission für eine funktionierende Welt eine Richtung zu geben. Ganz im Gegenteil zu den grossen Ideologien des 20. Jahrhunderts erklärte er, man solle nicht versuchen, den Menschen zu verändern, sondern seine Umwelt. Die Figur des pragmatischen Designers, wie der kleine Mann mit der runden Brille sie verkörperte, verstand sich als Gegenentwurf zum Technokraten und zum Spezialisten. Vor allem im Alter setzte Fuller daher auf die noch nicht von Spezialisierung verdorbenen Kinder als Designernachwuchs. Der Katalog zur Ausstellung schliesst daher mit Fullers Kinderbuch "Goldlöckchen und die drei Bären" ab, das Fullers gesamtes Wissen auf 21 Seiten zusammenfasst. Auch hier war er am Ende radikaler als eine ganze Generation langhaariger Konsumgegner: Trau keinem über 13, ausser Bucky Fuller.
R. Buckminster Fuller. Your Private Sky. Museum für Gestaltung, Zürich (noch bis zum 12.9.1999) Zeppelin-Museum Friedrichshafen (7.10.1999 - 10.1.2000) weitere Stationen: Kunsthalle Tirol, Design Museum London, Stiftung Bauhaus Dessau Der Katalog ist im Verlag Lars Müller, Baden erschienen.