"Wir sind das parteigewordene schlechte Gewissen der SPD"
Sahra Wagenknecht über Machtkämpfe, Politikertypen und die SPD
Mit Sahra Wagenknecht hat Florian Rötzer im Saarland Ende Mai ausführlich gesprochen. Daraus ist das im Westendverlag erschienene Buch "Couragiert gegen den Strom: Über Goethe, die Macht und die Zukunft" entstanden, das umfassend vermittelt, welche Positionen von der Politik über die Wirtschaft, die Digitalisierung (Sahra Wagenknecht über die Digitalisierung) bis hin zur Kultur und Kunst die Spitzenpolitikerin der Linken einnimmt und wie sie dies begründet. Dabei ging es auch um die Machtkämpfe zwischen Sigmar Gabriel und Martin Schulz und um die schwierigen Beziehungen zwischen der Linken und der SPD.
Sie sprachen davon, dass es auch in der Führungsebene gewisse Rangeleien im Hintergrund gibt. Sind Ihre Genossen nicht mitunter neidisch, dass Sie als das schöne Gesicht der LINKEN meist ganz vorne stehen und immer wieder zu Talkshows und öffentlichen Auftritten eingeladen werden? Der Scheinwerfer der medialen und öffentlichen Aufmerksamkeit ist, was Ihre Partei betrifft, schon sehr stark auf Sie ausgerichtet.
Sahra Wagenknecht: Zwischen mir und meinem Co-Vorsitzenden Dietmar Bartsch gibt es eine sehr gute Zusammenarbeit, wir ergänzen uns, da spielen solche Rangeleien keine Rolle. Für andere gilt das nicht unbedingt. Aber das ist in jeder Partei so, dass Eitelkeiten und persönliche Rivalitäten eine Rolle spielen und manchmal sogar das Politische überlagern.
Natürlich gibt es Menschen, die vor allem deswegen in die Politik gegangen sind, weil sie im Rampenlicht stehen wollen. Wenn sie dann das Gefühl haben, dass immer jemand vor ihnen steht, stört sie das und dann werden manchmal aus wenig politischen Erwägungen Kleinkriege geführt. Aber, wie gesagt, das gibt es in jeder Partei. Das gehört wohl zur Politik. Wichtig ist nur, dass es nicht überhandnimmt.
Nehmen wir zum Beispiel Sigmar Gabriel und Martin Schulz. Gabriel war, obgleich er Schulz selbst nominiert hat, natürlich in seinem tiefsten Innern verletzt, dass sich nach seinem Rücktritt eine unglaubliche Erleichterung breitmachte und Schulz in allen Umfragen blitzartig nach oben ging. Gabriel konnte es deshalb auch schwer verbergen, dass es eine innere Befriedigung für ihn war, als die Begeisterung für Schulz abebbte und seine - Gabriels - Beliebtheitswerte stiegen, obwohl Schulz’ Abstieg nicht im Interesse der SPD sein kann.
Dass Gabriel den prestigeträchtigen Posten des Außenministers für sich reklamierte und Schulz die Rolle eines außerparlamentarischen Vortragsreisenden überließ, war auch nicht unbedingt im Sinne eines SPD-Wahlerfolgs. Gabriel veranstaltet auch gerne mal eine Pressekonferenz, während Schulz gerade eine Rede hält. Aber da in der Politik eben Menschen handeln, mit all ihren Schwächen und Eitelkeiten, ist das nichts Ungewöhnliches.
Das zeigt natürlich wieder einmal, dass reale Politik sehr stark von Persönlichkeiten abhängt. Gibt es aus Ihrer Sicht bestimmte Merkmale, die "erfolgreiche Politiker" auszeichnen? Also gewissermaßen einen Typus von Politiker, der gut ankommt?
Sahra Wagenknecht: Ich glaube, es gibt zwei Wege zum politischen Erfolg. Auf der einen Seite steht der erfolgreiche Netzwerker, der Verbindungen knüpft, Fäden spinnt, sich eine Machtbasis aufbaut und persönliche Beziehungen pflegt. Der Klassiker eines solchen Netzwerkers war Helmut Kohl. Er war vielleicht einer der erfolgreichsten Machtpolitiker, der natürlich auch davon lebte, dass er lange Zeit von seinen innerparteilichen Konkurrenten unterschätzt wurde. In der CDU hätte es damals einige gegeben, die ihm in Sachen Ausstrahlung und Charisma überlegen waren, aber er hat sie alle ausgebootet.
Letzteres hat er mit Frau Merkel gemeinsam, die das machtpolitische Handwerk selbstverständlich auch perfekt beherrscht. Sie hatte zunächst keine Machtbasis, sondern hat die Gelegenheit geschickt genutzt, als die CDU wegen der Spendenaffäre in einer Krise steckte und die meisten führenden CDU-Politiker als belastet galten. Ich gehe davon aus, dass die damals federführenden Männer in der CDU sie als bloße Übergangslösung gesehen haben. Aber sie hat sich dann ihre Machtbasis aufgebaut und mögliche Konkurrenten Schritt für Schritt weggedrängt. Mit einer ziemlichen Brutalität, die ihr wahrscheinlich die wenigsten zugetraut hätten.
Merkels Wirkung beruht ja - ähnlich wie bei Kohl - nicht darauf, dass sie eine brillante Rednerin wäre und bei ihren Auftritten die Menschen mitreißen würde. Ihre Beliebtheitswerte, die angesichts der äußerst mageren Bilanz ihrer Regierungszeit eher erstaunlich sind, beruhen vielmehr darauf, dass sie bescheiden und zurückhaltend wirkt, und man ihr - ich glaube, sogar zu Recht - nicht zutrauen würde, sich nach ihrer politischen Karriere an den erstbesten Konzern zu verkaufen, um Millionen zu scheffeln. Hauptsächlich scheint sie aber deshalb so unangefochten zu sein, weil sie das Glück hatte, immer schwache Herausforderer zu haben. Deshalb kommt sie mit ihrem "Sie kennen mich"-Wahlkampf immer wieder durch.
Der andere Typ Politiker ist der Charismatiker, der aufgrund seiner Ausstrahlung und seines Talents, mitreißende Reden zu halten, die Menschen erreicht und dank dieser öffentlichen Wirkung am Ende auch in der eigenen Partei unterstützt wird. Ganz ohne Netzwerken geht es da auch nicht, aber es spielt eine etwas geringere Rolle. Perfekt und kaum aufzuhalten sind natürlich die, die beides können. Ich selbst bin eine sehr schlechte Netzwerkerin, das ist wahrscheinlich meine große Schwäche in der Politik.
Die LINKE und die SPD
Sie sprachen bereits von Schulz, Gabriel und Merkel. Wenn von dieser Personenkonstellation die Rede ist, drängt sich die Frage auf, ob sich die SPD über die persönlichen Konkurrenzen hinweg so auf den Machterhalt konzentriert, dass sie keine echte Alternative zur Union schafft und deswegen scheitert?
Sahra Wagenknecht: Am Ende verlieren sie vermutlich sogar die Macht, weil Merkel sie nicht mehr braucht. Wenn Martin Schulz so weitermacht, bekommen wir eher Schwarz-Gelb oder Jamaica, also eine Koalition von Union, FDP und Grünen. Die SPD manövriert sich mit ihrer jahrelangen Politik gegen ihre eigenen Wähler ins Aus. Und dabei ist es nicht schwer zu sehen, was erfolgreicher wäre.
Schulz hatte am Anfang einen Aufschlag gemacht, der den Leuten wieder Hoffnung gegeben hat: Hoffnung auf einen Kurswechsel der SPD, zurück zu einer sozialdemokratischen Politik. Dazu gehörte, dass er die Agenda 2010 kritisiert und angekündigt hat, soziale Gerechtigkeit ins Zentrum seines Wahlkampfes zu stellen. Das genügte, um ihn in den Umfragen kometenhaft aufsteigen zu lassen. Aber es genügte natürlich nicht auf Dauer.
Es war ein Versprechen, und die Menschen gaben ihm zunächst Vertrauensvorschuss, dass er dieses Versprechen auch einlösen würde. Aber genau das hat er leider nicht getan. Stattdessen hat er in den folgenden Monaten die Hoffnung zerstört, dass er die SPD von ihrer Agenda-Politik wegführen könnte. Den traurigen Schlusspunkt dieser Desillusionierung bildete der SPD-Parteitag, auf dem ausgerechnet Gerhard Schröder, der den größten Sozialabbau seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu verantworten hat, bejubelt und ein Wahlprogramm beschlossen wurde, das so mutlos, zahm und angepasst daherkommt, dass selbst die Programmatik von 2013, als Steinbrück Kanzlerkandidat war, im Vergleich dazu fast rebellisch wirkt. Damals waren immerhin noch die Vermögenssteuer oder die Rücknahme der Rente ab 67 die Forderungen der SPD, jetzt wird bei der Rente der Status quo verteidigt und steuerpolitisch klar signalisiert, dass die Superreichen von der SPD jedenfalls nichts zu befürchten haben.
Den gegenteiligen Weg ist übrigens Jeremy Corbyn, der Parteivorsitzende der Labour-Partei in Großbritannien, gegangen. Er hat Labour, die unter Tony Blair ja auch zu einer hoffnungslos neoliberalen Partei geworden war, die Politik für die Londoner City und die Oberschicht gemacht hat, wieder zu einem sozialdemokratischen Programm zurückgeführt und das trotz aller Angriffe und der Anfeindungen durchgehalten. Und er hat gezeigt, so kann man Wahlen gewinnen oder jedenfalls aus einer fast aussichtlosen Ausgangsposition heraus 40 Prozent holen.
Schulz hatte anfänglich eine gewisse Offenheit für mögliche Regierungsoptionen, auch gegenüber der LINKEN, beispielsweise im Saarland. Aber dann merkte er, dass ihm deswegen in den Medien der Wind ins Gesicht blies. Nach der Saarland-Wahl im März 2017, bei der die SPD eigentlich gar nicht schlecht abgeschnitten hatte, denn es war die einzige Landtagswahl 2017, bei der sie keine Stimmen verloren hat, ging eine richtige Kampagne los, dass Rot-Rot die Wähler verschrecke und, dass man, um Gottes Willen, nicht auf diesem Weg weitergehen dürfe.
Aber das, wozu man Schulz drängen wollte, war nur vordergründig die Absage an Rot-Rot. Viel wichtiger war die Absage an konsequente soziale Forderungen, bei denen ja klar gewesen wäre, dass sie sich weder mit der Union noch mit der FDP umsetzen lassen. Eine wieder sozialdemokratische SPD hätte eigentlich nur einen natürlichen Koalitionspartner, und das wäre die LINKE. Die Absage an rot-rot war daher auch die Absage an einen neuen Kurs in der SPD, an das Ziel, wieder sozialdemokratische Politik zu machen. Dazu hat Schulz sich treiben lassen, von der Union und von Interessengruppen aus der Wirtschaft, die genug Einfluss auf die Medien haben, um eine solche Kampagne zu initiieren. Man konnte zusehen, wie Schulz, erschrocken angesichts dieses enormen Drucks, seinen Kurs korrigierte. Aber damit verspielte er die Chancen, die er zunächst hatte.
Was die Rolle wichtiger Leitmedien angeht, gibt es da viele Parallelen zu Großbritannien. Corbyn wurde als rückwärtsgewandt beschimpft, als Unglück und Sargnagel für die Labour-Party. Ihm wurde eine katastrophale Niederlage vorausgesagt, übrigens auch von deutschen Sozialdemokraten. Man bekämpfte ihn. Aber anders als Schulz ist Corbyn nicht umgefallen, selbst dann nicht, als es eine regelrechte Medienhetze auf unterstem Niveau gegen ihn gab. Gerade das macht auch seine Glaubwürdigkeit aus, er war sein ganzes Leben lang glaubwürdig. Und das war letztlich der entscheidende Grund seines Erfolgs.
Wie Labour unter Blair hatte auch die SPD mit Gerhard Schröders Agenda 2010 ihre sozialdemokratische Seele verkauft. Seither macht sie Politik gegen ihre klassischen Wählergruppen, gegen Arbeitnehmer, Rentner, Arbeitslose. Und seither laufen ihr verständlicherweise Wähler und Mitglieder weg. Die, die von ihrer Politik profitiert haben, Spitzenverdiener, die Inhaber großer Unternehmen oder schwerer Aktienpakete, die wählen sie ohnehin nicht.
Ich erinnere mich noch an diese traurige Rede von Frank-Walter Steinmeier vor einer Tagung der Arbeitgeberverbände und Wirtschaftsbosse, wo er die Anwesenden fast schon kläglich fragte: Wieso seid ihr eigentlich so gegen uns, wir haben doch die Steuergesetze in eurem Interesse verändert, wir haben so viel für Euch getan wie keine andere Partei. Das war ungewollt ehrlich, aber gerade deshalb so traurig.
Natürlich, wenn die SPD sich wieder stärker sozial ausrichten, wenn sie etwa zur Politik Willy Brandts zurückkehren würde, dann würde sie von den Mächtigen und Superreichen bekämpft. Das war bei Brandt seinerzeit ja genauso. Aber es scheint so, als sei bei denen, die heute in der SPD das Sagen haben, die Bereitschaft, so einen Kampf durchzustehen, völlig verloren gegangen. An der Basis gibt es sicherlich noch viele engagierte Sozialdemokraten, aber sie haben anscheinend wenig Einfluss auf die Politik der SPD-Führung.
Eine Veränderung der Politik würde wohl vernehmlich eine Annäherung an die LINKE bedeuten. In der SPD scheint es aber eine Abgrenzungshysterie zur LINKEN zu geben. Das hat man eben im Saarland wieder einmal sehen können. Schon bei der geringsten Andeutung einer Annäherung entwickelt die SPD Panik. Was ist aus Ihrer Sicht der Grund dafür?
Sahra Wagenknecht: Wir sind das parteigewordene schlechte Gewissen der SPD, denn wir stehen für die Ziele, von denen die meisten SPD-Mitglieder und auch die Funktionäre wissen, dass das früher ihre Ziele waren. Deswegen sind die Diskussionen so absurd. Wenn die LINKE die Wiederherstellung des Sozialstaates, das Zurückdrängen schlecht bezahlter, unsicherer Jobs oder einen höheren Mindestlohn verlangt, sind das alles klassisch sozialdemokratische Forderungen, die die SPD einmal vertreten und in ihrem Programm hatte. Das wissen sowohl die Mitglieder, als auch die Funktionäre der SPD.
Wenn jetzt führende SPD-Politiker behaupten, wegen unserer "Maximalpositionen" sei keine Koalition möglich, dann zeigt das den weiten Weg, den diese Partei hinter sich hat. Übrigens auch außenpolitisch. "Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen" war das Credo Willy Brandts. Noch im Berliner Parteiprogramm der SPD von 1989 war die Forderung nach Ersetzung der NATO durch eine neue europäische Friedensordnung unter Einschluss Russlands enthalten. Einer deutschen Beteiligung an Angriffskriegen hätte die SPD über viele Jahrzehnte nicht zugestimmt, selbst bei der CDU war das ja lange Konsens. Heute sind es angebliche Ausschlussgründe, wegen denen die LINKE nicht "regierungsfähig" sein soll.
Von Tucholsky stammt das Gleichnis von dem Hund, der aggressiv wird, sobald er das Geheul freier Wölfen hört, weil er es nicht aushält, dass der wilde Artgenosse ihn an seine eigene nicht-domestizierte Vergangenheit erinnert und ihm das ganze Elend seiner unfreien, angeleinten Existenz vor Augen führt. Er reagiert gerade deshalb so wütend, weil er um die Verwandtschaft weiß. Dieses Gleichnis passt sehr gut auf das gespaltene Verhältnis der SPD zur Linken.
Eigentlich sollten Wahlen ja dazu dienen, das ist die schöne Theorie, dass man den Bürgern eine Wahl zwischen unterschiedlichen Regierungsoptionen gibt - und zwar nicht nur zwischen Farben, sondern zwischen realen, klar unterschiedenen Regierungsprogrammen. Zu den Zeiten von Strauß und Brandt war noch klar, dass diese beiden Politiker zwei völlig unterschiedliche Regierungsprogramme vertraten. Man hatte eine Wahl. Heute wählen die Leute und wissen, es geht im Großen und Ganzen doch weiter wie bisher.
Die letzten zwanzig Jahre hatten wir verschiedene Koalitionen im Bundestag, aber im Kern war es immer die gleiche Politik. Alle haben gleichermaßen soziale Leistungen abgebaut, die Ungleichheit vergrößert und einer Zunahme von Niedriglohnjobs und Armut zugeschaut oder sie sogar aktiv befördert. In dieser Hinsicht gibt es keine wesentlichen Unterschiede.
Man hat immer den Eindruck, dass innerhalb der SPD das Verhältnis zur LINKEN und auch zu Ihnen stark von Irrationalität geprägt ist und, dass es eine emotionale Aversion gibt. Geht es hier mehr um persönliche Gründe, beispielsweise zwischen Gerhard Schröder und Ihrem Mann Oskar Lafontaine?
Sahra Wagenknecht: Bei den Aversionen gegen Oskar Lafontaine spielt natürlich eine Rolle, dass er zwar als Parteivorsitzender 1998 Schröder den Vortritt bei der Kanzlerkandidatur überlassen hat, aber 2005 auch dafür gesorgt hat, dass Schröder abgewählt wurde. Wenn Oskar Lafontaine nicht erneut kandidiert hätte, hätte Merkel die Wahl ziemlich sicher nicht gewonnen. Es war ja äußerst knapp und die alte PDS wäre vermutlich nicht in den Bundestag gekommen. Schröder hegt mit Sicherheit einen lebenslangen Groll deshalb.
Andere allerdings haben eigentlich keine persönlichen Gründe. Als sich das Verhältnis zur SPD etwas entspannt hatte, vor einem guten Jahr, habe ich mit verschiedenen Sozialdemokraten zusammengesessen. Es gibt durchaus Leute bei der SPD, mit denen man ein normales Gespräch führen kann, und bei denen man das Gefühl hat, da gibt es eine Offenheit. Aber es gibt auch andere.
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