"Wir sind ein Präzedenzfall, alle könnten als kriminelle Vereinigungen verfolgt werden"
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Auch im wenig beachteten Galicien hat Spanien "Terroristen" aufgespürt, die nun vor dem Nationalen Gerichtshof abgeurteilt werden sollen
Dass Spanien überall Terroristen sieht, ist wahrlich kein Geheimnis, auch wenn das Land mit seinen oft an den Haaren herbeigezogenen Anschuldigungen gerne vor die Wand fährt, wie sich gerade vergangene Woche in Katalonien gezeigt hat.
Ab Montag werden nun 12 Galicier vor Gericht gezerrt, die allerdings nicht das Glück haben, von einem ordentlichen Gericht in ihrer Heimat angeklagt zu werden, sondern vom Sondergericht "Nationaler Gerichtshof" in Madrid. Der ist bekannt für harte Urteile, die Politiker, Aktivisten und sogar Sänger zu langen Haftstrafen verdammen. Vor internationalen Gerichtshöfen brechen diese Urteile gerne zusammen. Spanien musste kürzlich ein Urteil gegen "Terroristen" kassieren, da der Europäische Gerichthof für Menschenrechte festgestellt hatte, dass sie vor dem Sondergericht kein "faires Verfahren" hatten.
Ihre sechseinhalb Jahre Haftstrafe hatten sie zwischenzeitlich aber vollständig abgesessen. Auch vor Galicien macht diese Repression nicht halt. Über die Vorgänge, für die gegen 12 Galicier nun Haftstrafen von bis zu 12 Jahren gefordert werden, sprach Telepolis mit Joam Péres, dem ebenfalls angeklagten Mitglied des Exekutivkomitees von "Causa Galiza".
"Es werden politische Ansichten angeklagt"
Am Montag beginnt am Nationalen Gerichtshof in Madrid der Prozess gegen 12 Galicier. Was wirft man Ihnen vor und welche Strafen werden gefordert?
Joam Péres: Das Ganze geht auf zwei Operationen der Guardia Civil zurück: eine im Jahr 2015 gegen Causa Galiza und eine weitere 2017 gegen die Anti-Repressionsorganisation Ceivar (Befreien). Die Vorwürfe wurden seither immer wieder verändert. Den ersten neun Verhafteten von Causa Galiza wurde vorgeworfen, wir seien Mitglieder einer Terrororganisation. Dann wurde das Verfahren mit Ceivar-Verfahren und den drei Ceivar-Mitgliedern zusammengelegt.
Der Terrorismus-Vorwurf fiel weg und uns wurde nur noch Terrorismusverherrlichung vorgeworfen. Im vergangenen Jahr wurde plötzlich die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung hinzugefügt, womit die Strafanträge wieder deutlich nach oben gingen.
Die Staatsanwaltschaft fordert gegen 12 Angeklagte vier bis zwölf Jahre Haft, insgesamt 102. Als Führungsmitglied von Causa Galiza wird für mich die Höchststrafe gefordert. Dazu kommt insgesamt eine Geldstrafe von fast 350.000 Euro. Zudem werden ein Amtsverbot und die Aberkennung des passiven Wahlrechts für die Angeklagten gefordert.
Das Verfahren wird an einem Sondergericht geführt, das nach dem Tod Francos einfach umbenannt wurde. Am Nationalen Gerichtshof gibt es keine juristischen Garantien. Dort werden politische Ansichten angeklagt, um gegen jede Dissidenz vorzugehen.
Das ist alles undurchsichtig. Zunächst hieß, sie seien Mitglieder einer Organisation mit dem Namen "Resistencia Galega" (Widerstand Galiciens). Dann fiel diese Anschuldigung weg und plötzlich taucht eine kriminelle Vereinigung auf. Wie erklärt sich das?
Joam Péres: Das erklärt sich aus dem rein politischen Hintergrund. Das hat mit kriminellen Vorgängen nichts zu tun, zumal sowohl Causa Galiza als auch Ceivar stets offen und transparent gearbeitet haben. Das zeigte sich auch, wie die Verhaftungen durch schwer bewaffnete Guardia Civils bei den Verhaftungen in Szene gesetzt wurden. Das ging einher mit einer Medienkampagne, wo wir als politischer Arm einer angeblichen Terrororganisation dargestellt wurden.
Da Behauptungen der Zivilgarden wurden ohne Prüfung übernommen und wir wurden natürlich nicht gehört. Dass man es mit einem juristischen Ungeheuer zu tun hat, zeigt sich über einen Vorgang sehr deutlich. Causa Galiza wurde als politische Organisation ein Jahr später vom gleichen Gericht wieder legalisiert, das uns zuvor zu Terroristen erklärt und die Organisation bis dahin verboten hatte. Zunächst löst sich die Anklage auf, doch plötzlich zieht die Staatsanwaltschaft dann 2019 eine Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung aus dem Hut.
Gibt es "Resistencia Galega" überhaupt? Auch auf Wikipedia wird angeführt, dass herausragende Persönlichkeiten wie der Politologieprofessor und Schriftsteller Carlos Taibo bezweifen, dass es sie gibt. Gibt es Kommuniqués oder Bekennerschreiben zu Anschlägen? Was soll das für eine kriminelle Vereinigung sein, der Sie angeblich angehört haben?
Joam Péres: Wir kennen kein einziges Kommuniqué einer "Resistencia Galega". Ich würde sagen, die Organisation gibt es nicht. Es gibt zwar immer einmal wieder Angriffe, wie auf Banken, aber offensichtlich keine Organisation, wie es die baskische ETA zum Beispiel war. Die kriminelle Vereinigung, die angeblich den Terrorismus verherrlicht, sollen die beiden Organisationen sein, deren Mitglieder nun vor dem Sondergericht angeklagt werden.
Gravierende Lage in Bezug auf die politische Pluralität
Sie verherrlichen sich also selbst?
Joam Péres: Das ist alles ungeheuerlich. Und wenn das nicht so dramatische Konsequenzen hätte, würde man darüber lachen. Das läuft ja darauf hinaus, dass die beiden Organisationen über ein Konstrukt verboten werden sollen, was die politische Landschaft verändern würde. Sollten wir zu einer kriminellen Vereinigung gestempelt werden, dann haben wir einen Präzedenzfall. Dann können alle Organisation, die für das Selbstbestimmungsrecht oder gegen Repression auftreten, darüber kriminalisiert werden.
Die Lage, in Bezug auf die politische Pluralität, ist gravierend. Wir sprechen von der Auslöschung einer politische Option über das Strafrecht, indem man Mitglieder einer Organisationen zu Mitglieder einer inexistenten Terrororganisation oder kriminellen Vereinigung macht, von der man nicht weiß, welche das sein soll, oder sie illegalen Aktivitäten beschuldigt, die niemand kennt.
Welche politische Arbeit leistet Cauza Galiza und Ceivar?
Joam Péres: Und gibt es seit 2007, Ceivar schon seit 2003. Wir haben zunächst als Plattform für das Selbstbestimmungsrecht und die nationale Souveränität von Galicien gearbeitet. Daraus wurde 2014 eine Organisation, die für die Unabhängigkeit eintritt. Ein Jahr darauf begann die Kriminalisierung. Wir arbeiten wie jede andere legale politische Organisation. Wir rufen zu Demonstrationen auf, machen Veranstaltungen und Schulungen, um das Bewusstsein der Menschen zu schärfen.
Ceivar arbeitet gegen die Repression. Menschen, die für ihre politische Arbeit verprügelt, mit Geldstrafen oder mit Haftstrafen überzogen werden, unterstützt Ceivar und macht Öffentlichkeitsarbeit dazu. Ich betone noch einmal, dass beide Organisationen stets offen gearbeitet und ihre Aktionen auch stets angemeldet haben, wie es im spanischen Staat vorgeschrieben ist. Wir haben den legalen Rahmen nie verlassen. Es ist erstaunlich, dass als Indizien für Terrorismusverherrlichung gegen uns zum Beispiel auftaucht, dass wir an die Revolution in Galicien von 1846 erinnert haben.
Der gesamte Vorgang erinnert stark an das, was man aus dem Baskenland kennt. Hier wurden einfach Organisationen in einen Sack mit der Untergrundorganisation ETA gesteckt, verboten und Menschen wegen unhaltbarer Anschuldigungen inhaftiert, nur weil sie ebenfalls für ein freies, sozialistisches und vereintes Baskenland eingetreten sind. Werden in Spanien politische Einstellungen verfolgt?
Joam Péres: Wir haben hier den für erhebliche Demokratiedefizite im spanischen Staat. Der hat große Probleme mit den Nationen, die diesen Staat bilden. Und wenn es um die Vorstellung geht, dass sie auch unabhängig werden könnten…Da der Staat unfähig ist, politische Probleme mit demokratischen Mitteln anzugehen, wird Repression eingesetzt. Wir haben das in Katalonien beim Referendum oder danach bei den Verurteilungen der Politiker und Aktivisten gesehen, wir sehen das seit Jahrzehnten im Baskenland.
In Galicien kommt das Modell ebenfalls zur Anwendung. Das Selbstbestimmungsrecht wird nicht, wie zum Beispiel im Fall Schottlands anerkannt. Spanien definiert sich als einziges und unteilbares Land. Jeder, der andere demokratische Vorstellungen darüber hinaus entwickelt, wird kriminalisiert. Früher wurde den Basken immer gesagt, es könne über alles gesprochen werden, wenn es keine Gewalt mehr gäbe. Nun ist offensichtlich, dass das gelogen war.