"Wir sind hier, um die Unabhängigkeit zu erklären"
Mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten im Veneto haben sich bei einer nicht-offiziellen Abstimmung für die Abspaltung der Region von Italien entschieden, die Initiatoren sehen sich an der Spitze einer "digitalen Revolution"
Gefeiert wurde der Erfolg wie angekündigt auf der Piazza dei Signori in Treviso gestern Abend. Angeblich haben 2.360.235 Menschen beteiligt, 73% der Wahlberechtigten. Das sind nicht ganz die Zahlen, die angeblich auf der Krim erzielt wurden, aber immerhin. 89 Prozent oder 2.102.969 haben mit Ja gestimmt, 257.276 mit Nein.
Das Ergebnis ist mithin klar, die große Mehrheit will die Ablösung von Italien. Verkündet wird pathetisch: "Die blutigen Bestie des italienischen Staates wird von allen seinen Untertanen überall gehasst." Man sieht sich im Veneto als Avantgarde, andere Regionen werden folgen, um sich aus dem "bürokratischen Monster der westlichen Welt" zu befreien. Anderen Regionen werde man die digitale Plattform für die Abstimmung zur Verfügung stellen. Ausgerufen wird die "digitale Revolution", die niemand aufhalten könne, weil "der Wille des Volkes Gesetz ist". Gianluca Busato am Abend: "Wir erklären und verkünden die Republik Venedig." Die Menge ruft: "San Marco, San Marco."
Aufsehen hat die von der Initiative plebiscito.eu organisierte Befragung der wahlberechtigten Bürger im Veneto gefunden, weil sie nach dem Referendum in der Krim begonnen wurde und es auch darum ging, ob die Menschen das Veneto aus Italien lösen und zu einem unabhängigen Staat machen wollen. Versprochen wurde vom Gründer der Initiative, Gianluca Busato, dass sich dann, wenn vom 16. Bis zum 21. März 2 Millionen Bürger, d.h. die Hälfte der Wahlberechtigten, für die Unabhängigkeit gestimmt haben, ein Komitee kümmern wolle, diese auch durchzusetzen .(Venetien soll durch ein Referendum unabhängig werden)
Man darf jetzt gespannt sein, welche Schritte unternommen werden. Im Unterschied zu Schottland dürfte die Zentralregierung kein Referendum befürworten. Die EU wird sich aber allmählich überlegen müssen, wie sie sich dazu verhalten, nachdem man Begehrlichkeiten mit der Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo geöffnet, aber nun vehement das Referendum und damit den mehrheitlichen Willen der Menschen auf der Krim als unrechtmäßig brandmarkt.
Im Unterschied zur Krim wollen die Italiener aber nicht mit der Unabhängigkeit nur den Staat wechseln, sondern einen eigenen Staat, der am besten auch aus der EU und der Nato austritt. Man fühlt sich als eigenes Volk, das das Selbstbestimmungsrecht in Anspruch nehmen kann, wie es etwa in der Charta der Vereinten Nationen und anderen Abkommen wie dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte gewährleistet wird. Venetien hat 4,8 Millionen Einwohner. Man wünscht sich, mit dem Friaul zusammen einen Staat bilden zu können, der dann 6 Millionen Einwohner hätte. Verwiesen wird darauf, dass die meisten EU-Mitgliedsländer weniger als 10 Millionen Einwohner haben. Österreich hat beispielsweise 8 Millionen, Dänemark oder Finnland 5 Millionen, Slowenien gerade einmal 2 Millionen.
Dass es sich nicht um die Idee einer isolierten Gruppe handelt, lässt sich schon daran sehen, dass die meisten Gemeinden sich genötigt sahen, mitzumachen und dafür die Wählerverzeichnisse zur Verfügung zu stellen. Wer abstimmen will, musste seine Daten eingeben und erhielt dafür einen Code, den er bei der Abstimmung zur Identifizierung eingeben musste. So ist zwar Betrug nicht ausgeschlossen, aber für die Abstimmung über das Internet und per Telefon doch ein wenig erschwert worden.
Hintergrund ist der schon lange schwelende Wunsch mancher Norditaliener, sich vom ärmeren Süditalien und überhaupt von der Zentralregierung in Rom abzukoppeln. Die aus diesem Grund entstandene Lega Nord unterstützt die Initiative, auch wenn der Präsident der Region, Luca Zaia, auch Lega Nord, vor kurzem seine Unterstützung aus rechtlichen Gründen wieder zurückgezogen hat.
Es geht nicht darum, diskriminiert oder unterdrückt zu werden, sondern vor allem um die finanzielle Selbstbestimmung und um Entsolidarisierung. Hinter der Initiative stand denn auch eine Gruppe von Geschäftsleuten, für die Unabhängigkeit bedeutet, die Steuerlast zu senken und den eigenen Wohlstand zu mehren. Man will seine Steuern nicht zur Unterstützung der ärmeren Regionen verwendet sehen und fühlt sich ausgebeutet (eine Stimmung, die angesichts des Länderfinanzausgleichs auch in Bayern bei CSU-Wählern und -Politikern herrscht). Man sieht sich nicht mehr in einer nationalen Schicksalsgemeinschaft, besonders wenn es einigen Regionen in der Wirtschaftskrise noch einigermaßen gut geht, während in anderen die Schulden und die Arbeitslosigkeit steigen.
Man will den Veneto, so die Initiatoren vor dem Untergang retten, in den es durch Italien mitgerissen würde. Und man sieht sich in einer Reihe von anderen Unabhängigkeitsbestrebungen in der EU: Schotten und Katalanen, Basken und Flamen streben auch nach Unabhängigkeit (Heuchelei zu Krim-Unabhängigkeitsbestrebungen). Auch im Südtirol wird das Begehren wieder stärker. Jugoslawien ist in einzelne Staaten zwar durch einen Krieg zerfallen, Tschechen und Slowaken haben sich aber friedlich getrennt.