Wir stehen vor einem Klimaabgrund, aber es gibt Funken der Hoffnung

Seite 2: Verdopplung fossiler Subventionen letztes Jahr: Geld ist genug da

Im Gegensatz zur Gelbwesten-Bewegung, die 2018 in Frankreich aufkam und darauf bestand, dass wirtschaftliche Gerechtigkeit Vorrang vor Klimagerechtigkeit hat, würde es beispielsweise bedeuten, dass der globale Green New Deal als das Mittel verstanden wird, womit Bewegungen für soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit zusammengeführt werden können.

Auch in Europa gab es im vergangenen Jahr wichtige positive Entwicklungen: Auf den Zusammenbruch der russischen Öl- und Gaslieferungen wurde mit einer drastischen Verschärfung der Energiesparmaßnahmen und einem beschleunigten Ausbau von Solar-, Wind- und anderen erneuerbaren Energien reagiert.

So wurde im Jahr 2022 zum ersten Mal mehr Strom aus Sonnen- und Windenergie in Europa erzeugt als aus Kohle oder Gas. Ferner hat die Europäische Kommission nach dem Einmarsch Russlands ihr REPowerEU-Programm aufgelegt. Das Ziel ist "ein massiver Ausbau der erneuerbaren Energien sowie eine schnellere Elektrifizierung und der Ersatz fossiler Wärme und Kraftstoffe in der Industrie, in Gebäuden und im Verkehrssektor".

Bis 2030 sollen erneuerbare Energien 45 Prozent der gesamten Energie in Europa liefern. Das würde bedeuten, dass sich der derzeitige Anteil der erneuerbaren Energien an der Gesamtenergieversorgung von 22 Prozent in nur 6,5 Jahren mehr als verdoppeln würde.

Es ist nicht klar, ob diese Ziele tatsächlich erreicht werden können. Bislang entspricht die Höhe der EU-Finanzierung für REPowerEU nicht den Ankündigungen, denn bis 2027 werden jährlich nur etwa 0,2 Prozent des BIP der EU bereitgestellt. Aber auch hier sollte in ganz Europa betont werden, dass die grüne Energiewende ein Motor für die Ausweitung der Beschäftigungsmöglichkeiten und die Anhebung des Lebensstandards der Arbeiterklasse sein wird – mit anderen Worten, eine klare Alternative zur Sparpolitik, die heute in Europa vorherrscht.

In dem Maß, in dem sich diese Erkenntnis durchsetzt, könnte auch die politische Unterstützung für die Finanzierung von REPowerEU auf einem viel höheren Niveau entsprechend wachsen.

Die Wahl von Luiz Inácio Lula da Silva im Oktober, mit der er erneut zum Präsidenten Brasiliens gewählt wurde, war zweifelsohne eine dritte wichtige positive Entwicklung im vergangenen Jahr. Lulas Vorgänger, Jair Bolsonaro, war wild entschlossen, den Amazonas-Regenwald abzuholzen, um Platz für die Landwirtschaft und den Bergbau von Unternehmen zu schaffen.

Abgesehen von der Verbrennung fossiler Brennstoffe zur Energiegewinnung ist die Abholzung der Wälder die wichtigste Ursache für den Klimawandel. Lula setzt sich dafür ein, die Abholzung zu stoppen und das Amazonasgebiet zu schützen. Aber es stimmt auch, dass Lulas Engagement in dieser Frage auf die Probe gestellt werden wird, und zwar aus dem einfachen Grund, dass mit der Zerstörung des Regenwaldes große Gewinne erzielt werden können.

Lulas Wahlsieg muss nun durch eine deutliche Aufstockung der finanziellen Unterstützung für den Schutz der Wälder in Brasilien und anderswo sowie generell für Projekte des Green New Deal im globalen Süden untermauert werden. Das ist bisher nicht geschehen, obwohl die reichen Länder auf dem jüngsten Klimagipfel in Ägypten im November entsprechende Zusagen gemacht haben.

Kurz gesagt: Lulas Sieg sowie die rasche Zunahme von Investitionen in saubere Energien und von Arbeitsplätzen in den USA und Europa müssen als wichtige positive Entwicklungen begrüßt werden. Aber wir haben noch einen weiten Weg vor uns, um das unternehmerische Projekt von Konzernen, den Planeten im Namen des Profits zu zerstören, zu stoppen.

Zunehmend wird die Notwendigkeit von Anpassungsstrategien betont, um die negativen Auswirkungen der globalen Erwärmung zu verringern. Ist es nicht Grund zur Besorgnis, dass der Schwerpunkt der Klimapolitik von der Emissionsminderung auf Anpassungsmaßnahmen verlagert wird?

Robert Pollin: Groß angelegte Investitionen zur Anpassung an den Klimawandel sind ein absolutes Erfordernis. Erinnern wir uns an die brutale Hitzewelle im letzten Frühjahr in Indien. Eine offensichtliche Möglichkeit, die Menschen bei Hitzewellen zu schützen, sind Klimaanlagen.

Doch nur acht Prozent der indischen Haushalte besitzen heute eine Klimaanlage. In den meisten anderen Ländern der Welt ist die Situation nicht viel anders als in Indien. Die Klimakrise hat den Zugang zu Klimaanlagen – zusammen mit billigem Strom aus erneuerbaren Energiequellen für den Betrieb der Geräte – zu einer Notwendigkeit gemacht.

Ganz allgemein muss der globale Green New Deal eine Reihe von robusten Schutzmaßnahmen gegen die Auswirkungen des Klimawandels umfassen. Dazu gehört, dass die verfügbaren Lagermöglichkeiten für Lebensmittel, Saatgut und Frischwasser stark erweitert werden und dass diese Strukturen gegen Klimaereignisse geschützt sind.

Dazu zählen auch Infrastrukturen zum Management der Wassernachfrage, wie zum Beispiel Küstenmauern, Dämme, Pumpvorrichtungen, durchlässige Bürgersteige und eine reiche wasserpuffernde Vegetation – sofern das ohne Beeinträchtigung der lokalen Ökologie eingeführt werden kann. Bestehende Gebäude in gefährdeten Gebieten sollten mit Schutzwänden und begrünten Dächern nachgerüstet werden, um sowohl Regenwasser als auch Hitze abzufangen.

Neue Gebäude in gefährdeten Gebieten sollten mit höheren Fundamenten oder auf Stelzen gebaut werden. Auch der ökologische Landbau bietet wichtige Vorteile für den Klimaschutz. Denn der ökologische Landbau ist effektiver als die industrielle Landwirtschaft, wenn es darum geht, das verfügbare Wasser zu bewahren, es effizienter zu nutzen und die Bodenerosion zu verringern. Auch bei Trockenheit und anderen Stresssituationen sind die Ernteerträge im ökologischen Landbau höher.

Zusätzlich zu all diesen und anderen Formen des physischen Schutzes müssen die Menschen und Kommunen Zugang zu einer wirksamen und erschwinglichen finanziellen Absicherung gegen Schäden durch den Klimawandel erhalten. Ganz allgemein wird der Schutz der Menschen vor den schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels Geld kosten.

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen in Konkurrenz zur Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen stehen sollte. Beide sind absolut notwendig. Es ist auch nicht so, dass kein Geld vorhanden wäre. Zusätzlich zu den rekordverdächtigen Gewinnen von Big Oil im Jahr 2022 haben sich auch die weltweiten Subventionen für fossile Brennstoffe verdoppelt, und zwar von etwa 500 Milliarden Dollar auf eine Billion im Jahr 2022.

Dieser sprunghafte Anstieg der Subventionen für fossile Brennstoffe erfolgte, nachdem sich der Klimapakt von Glasgow 2021 verpflichtet hatte, diese Subventionen auslaufen zu lassen.

Sowohl die Investitionen in den Klimaschutz als auch in die Anpassung an den Klimawandel werden sich im Laufe der Zeit mehr als bezahlt machen, indem sie die Arbeitskräfte, die Infrastruktur und die Lebensmittel- und Wasserversorgung schützen, die Beschäftigungsmöglichkeiten erweitern und billigere und zuverlässigere Energie liefern. All diese positiven Effekte entstehen natürlich zusätzlich zu der Tatsache, dass Klimaschutz die einzige humane Vorgehensweise angesichts der Klimakrise ist.

Unter Naturschützern wächst die Besorgnis, dass der Kampf gegen die globale Erwärmung zur Rettung des Planeten den Klimawandel losgelöst von ökologischer Zerstörung im weiteren Sinne behandelt wird. So verweisen einige darauf, dass der Klimawandel nicht die Hauptursache für den Verlust der biologischen Vielfalt ist. Können globale Erwärmung und biologische Vielfalt gemeinsam angegangen werden?

Robert Pollin: Die globale Erwärmung und der Verlust der biologischen Vielfalt können sicherlich in erheblichem Maße gemeinsam angegangen werden, auch wenn es weder bei den Ursachen noch bei den Lösungen eine eindeutige Überschneidung gibt. Der größte Einzelgrund für den Verlust der biologischen Vielfalt ist die veränderte Landnutzung.

Dazu gehören die Zerstörung der Lebensräume von Tieren durch Abholzung und damit verbundene menschliche Eingriffe sowie die Störung der verbleibenden Lebensräume durch die zunehmende Häufigkeit und Schwere von Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen.

Eine Studie des Weltklimarats (IPCC) aus dem Jahr 2018 kommt zu dem Schluss, dass eine Erwärmung um zwei Grad Celsius die Gefahr birgt, dass "Arten in höhere Breitengrade abwandern, Ökosysteme (z. B. Korallenriffe, Mangroven, Seegras- und andere Feuchtgebiete) geschädigt werden, die Produktivität der Fischerei (in niedrigen Breitengraden) abnimmt und sich die Chemie der Ozeane verändert (z. B. Versauerung ... und tote Zonen)."

Die Ökologin Pamela McElwee stellt weiter fest: "Wenn wir die Zwei-Grad-Schwelle erreichen, werden voraussichtlich 18 Prozent der Insekten, 16 Prozent der Pflanzen und acht Prozent der Wirbeltierarten mehr als die Hälfte ihres geografischen Verbreitungsgebiets verlieren, und ein lokales Aussterben ist nahezu sicher." Die Lösung liegt auf der Hand: Die globale Erwärmung darf die Zwei-Grad-Grenze nicht überschreiten, und auch nicht die noch strengere 1,5-Grad-Grenze, die der IPCC jetzt für notwendig hält.

Aber es ist auch so, dass, wie eine IPCC-Studie aus dem Jahr 2021 betonte, "technologiebasierte Maßnahmen, die für die Abschwächung des Klimawandels wirksam sind, ernsthafte Bedrohungen für die biologische Vielfalt darstellen können". In dieser IPCC-Studie wird beispielsweise beschrieben, wie der erhöhte Bedarf an Mineralien, die für Windturbinen, Solarpaneele, Motoren für Elektroautos und Batterien benötigt werden, schwerwiegende negative Auswirkungen sowohl auf Landflächen als auch auf die Ozeane haben kann, und zwar in dem Maße, in dem der Abbau von Bodenschätzen auf dem Meeresgrund zu einer wichtigen neuen Quelle für Mineralienlieferungen wird.

Einige Lösungen liegen auf der Hand, sind aber schwer zu verwirklichen. Dazu gehören die starke Ausweitung des Recyclings von Mineralien in Gebieten mit wachsender Nachfrage, die Entwicklung von Technologien im Bereich der erneuerbaren Energien, in denen der Bedarf an Mineralien weniger intensiv ist, sowie die Forderung nach strengen Anforderungen an die ökologische und soziale Nachhaltigkeit bei Bergbauaktivitäten.

Mit anderen Worten: Die Herausforderungen bei der Entwicklung eines wirksamen einheitlichen Rahmens für die Bekämpfung des Klimawandels und des Verlusts der biologischen Vielfalt sind gewaltig. Aber wir haben einfach keine andere Wahl, als die Bewegung weiter aufzubauen, die in der Lage ist, diese Herausforderungen zu meistern.

Robert Pollin ist Professor für Wirtschaftswissenschaften und Co-Direktor des Political Economy Research Institute (PERI) an der University of Massachusetts-Amherst. Er ist einer der weltweit führenden progressiven Wirtschaftswissenschaftler, entwickelte eine Reihe von "Green Growth Programs" und hat zahlreiche Bücher und wissenschaftliche Artikel über Makroökonomie, Arbeitsmärkte, Löhne, Armut sowie Umwelt- und Energiewirtschaft veröffentlicht. Er wurde vom Foreign Policy Magazine zu einem der "100 Leading Global Thinkers for 2013" gewählt. Zusammen mit Noam Chomsky veröffentlichte er 2020 das Buch: "Climate Crisis and the Global Green New Deal: The Political Economy of Saving the Planet".

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