Wir werden auch die Corona-Schulden nicht zurückzahlen!

Seite 2: Die letzte Krise war nie vorbei

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Denn Krisen gehören zum Kapitalismus, wie der Tannenbaum zu Weihnachten. Von 2008 bis 2020 sind gerade einmal 12 Jahre vergangen. Und es sind sogar nur acht Jahre gewesen, bis die "Dotcom-Blase" 2000 platzte.

Die Kosten werden dabei immer höher. Machen wir uns also nichts vor. Real haben wir es auch nicht mit einer Coronaviruskrise zu tun. Das Virus hat eine längst aufziehende Krise nur aufbrechen lassen, auf die man sich längst vorbereitet hat, aber es verstärkt sie natürlich enorm. Real betrachtet, ist sogar die letzte Krise nicht einmal vorbei.

Der schon zitierte Wirtschaftswissenschaftler Niño-Becerra hat das immer wieder betont und im vergangenen Frühjahr in seinem letzten Buch deutlich gemacht, dass wir schlicht in der "dritten Phase" der letzten Krise stecken: "Der Crash. Dritte Phase", heißt es.

Dass die letzte Krise nie vorbei war, zeigt sich nicht zuletzt an der Tatsache, dass die Europäische Zentralbank (EZB) nie eine Zinsnormalisierung durchführen konnte. Null- und Negativzinsen sind zum Normalzustand mutiert. So drängt sich eigentlich längst die Frage auf, ob die Krise nicht längst der Normalzustand des Kapitalismus ist?

Letztlich gab die EZB das mit ihrer Geldpolitik auch zu. Denn aus Frankfurt wurde ein guter Teil des Wachstums in vergangenen Jahren über EZB-Doping finanziert. Die "Amphetamine", von denen der Professor aus Barcelona spricht, waren künstlich niedrig gehaltene Zinsen. Damit wurde auch der Euro niedriger gehalten, um Exporte aus dem Euroraum zu fördern. Und durch die Hintertür gab es über die EZB-Geldpolitik auch längst eine Staatsfinanzierung.

Mit dem Aufkauf von Staatsanleihen wurden deren Zinsen künstlich niedrig und die Zinslasten damit bezahlbar gehalten. Fünf Jahre hätten die Notenbanken über das Doping einen "falschen Eindruck" und sogar einen "Jubel" ausgelöst, dass die Krise vorbei sei, bemerkt Niño-Becerra.

Letztlich wusste man auch in Frankfurt in der EZB, dass man es nur mit einer Fata Morgana zu tun hatte. Denn schon bei den ersten Anzeichen einer konjunkturellen Abschwächung musste die EZB wieder tief in den Krisenmodus einsteigen und man ließ die "Notenpressen" wieder anlaufen. "Quantitative Easing" wurde wieder gestartet und erneut tief in die umstrittenen Ankäufe von Staatsanleihen eingestiegen, obwohl angeblich doch gar keine Krise in Sicht war.

Die Illusion

In der letzten Krise wurde die Illusion, dass die Staatsschulden rückzahlbar seien, noch von Leuten wie dem früheren Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble verkauft. Darauf baute er die Politik der "Schwarzen Null" auf.

Er tat absurd so, als könnte man eine Volkswirtschaft so führen, wie die schwäbische Hausfrau ihren Haushalt. Eine Austeritätspolitik mit Schuldenbremsen kam, mit der ganze Volkswirtschaften in der vergangenen Krise mit der Illusion in der Misere versenkt wurden, dass die Schulden zurückzahlbar seien.

Wer sich daran gehalten hat, oder wie Griechenland dazu massiv gezwungen wurde, steht wie Spanien nun sehr schlecht vor den Herausforderungen dieser Krise. So ist durch das EZB-Doping der letzten Jahre zwar das Bruttoinlandsprodukt gewachsen, aber strukturelle Mängel wurden nicht beseitigt.

In Spanien oder Griechenland wurde auch die massive Arbeitslosigkeit nicht abgebaut, anders als im Nachbarland Portugal, weshalb die Voraussetzungen für Länder wie Spanien jetzt besonders schlecht sind. Lag die Arbeitslosenquote in Spanien vor der letzten Krise bei gut 8%, stieg sie von 2007 bis 2013 sogar auf 26%.

Zu Beginn dieser neuen Krise, oder der dritten Phase, stand sie bei fast 14%. Auf welche Höhen sie steigen wird, wenn jetzt die falsche Politik der letzten Krise wiederholt wird, kann man sich ausmalen und auch das Leid von zahllosen Menschen in einem Land, das bisher nicht einmal über eine Sozialhilfe verfügt.

Angesichts der gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Lage und der Tatsache, dass man nicht mehr von Milliarden spricht, sondern von Billionen, leuchtet nun auch immer mehr Ökonomen ein, dass man sich nun definitiv von der Illusion verabschieden muss, dass Schulden jemals zurückgezahlt würden.

"Wir dürfen die Corona-Schulden nicht zurückzahlen"

Deutlich wird das daran, dass es sogar ein Gastbeitrag in das Handelsblatt schafft, in dem Jens Südekum schon im Titel eine eindeutige Botschaft vermittelt: "Wir dürfen die Corona-Schulden nicht zurückzahlen." Der Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf bricht damit klar mit überkommenen Vorstellungen à la Schäuble.

Schaut man sich die Entwicklung der Staatschulden in vielen Ländern wie Italien an, war das ohnehin längst illusorisch. Südekum schlägt also nur vor, das zum Programm zu erklären, was ohnehin längst praktiziert wird. Man müsse einen pragmatischen Umgang mit den Corona-Schulden finden, erklärt er in Bezug auf die neuen Schulden.

Sie sollten möglichst langfristig finanziert und durch permanentes Überwälzen - also die Ausgabe neuer Anleihen zur Bedienung der alten- immer weiter in die Zukunft geschoben werden.

Jens Südekum

Die Schulden verschwinden damit nicht, würden durch das erzeugte Wachstum aber relativiert. Er meint, dass man die aus der Krise resultierenden Staatsschulden einfach hinnehmen müsse. Zentralbanken weist er eine zentrale Rolle in seinem Szenario zu. Die sollten, wie es zum Beispiel die US-Notenbank schon tut, Staatsanleihen aufkaufen.

"Wir leihen uns das Geld quasi selber. Solide Staaten mit einer soliden Währung können das."

Er verweist nicht nur auf die USA, sondern auch auf Kanada, Großbritannien, Japan, die ihre Schulden über die Geldschöpfung der Notenbanken finanzieren.

Dass das nicht zu einer massiven Inflation führe, hätten die letzten Jahre deutlich gezeigt. Darauf weist in der Diskussion darum, ob wir uns jetzt "zu Tode retten", auch Paul Steinhardt hin. Er verweist auf "gegenteilige Erfahrungen, z.B. in Japan über immerhin 25 Jahre", in denen die Modellmeinung der Ökonomen "nicht zu falsifizieren" ist.

In deren Modellwelt gäbe es Inflation, wenn der Staat "Geld druckt" oder die Staatsschuldenquote eine magische Grenze (60% in der Eurozone) überschreitet. Deshalb müsse man "in der richtigen Welt" dann Gegenmaßnahmen ergreifen, obwohl die Realität dem Modell nicht folgt.

Völlig richtig führt Südekum wiederum aus, dass es in der jetzigen Situation absolut "verrückt" wäre, wie Wirtschaftsnobelpreisträger wie Paul Krugman oder Josep Stiglitz zu Beginn der letzten Krise schon richtig kritisiert hatten, auf die Sparbremse zu treten:

"Austerität wäre, zumal wenn zu früh verabreicht, eine geradezu katastrophale Medizin", übernimmt er die Lesart von Krugman, der schon 2010 vor "katastrophalen Folgen" der Sparpolitik gewarnt hatte. Südekum prognostiziert, dass die Weltwirtschaft wegen der Coronakrise auf Jahre hinweg noch tiefer in einem deflationären Labyrinth feststecken werde, als es schon zuvor der Fall war.

"Hier den Gürtel enger zu schnallen, wie jetzt schon einige fordern, wäre genau die falsche Politik."

Er hält genau das Gegenteil für erforderlich: "Steuersenkungen und massive öffentliche Investitionen". Dass er Steuererhöhungen, wie Vermögenssteuern oder eine Vermögensabgabe ablehnt, zeigt aber, dass er am bisherigen Modell, wonach das viele (Zentralbank)-Geld weiter in die Taschen weniger fließen soll, keinen Abstand nimmt.