Snapchat und die neue Dotcom-Blase

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Die Warnsignale werden immer deutlicher und das Platzen rückt mit dem Börsenabsturz von Snapchat näher

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Spätestens mit der Übernahme von WhatsApp durch Facebook wurde vor drei Jahren deutlich, dass die krisenbedingte Geldschwemme der Notenbanken auch eine neue Dotcom-Blase aufbläst. Allerdings kann man heute nicht mehr von einer Blase am "Neuen Markt" sprechen wie Ende des vergangenen Jahrhunderts, als sie dann im neuen Jahrtausend sofort geplatzt ist. Doch seit einigen Jahren werden die Summen bei Übernahmen und Börsengängen - nicht nur von Tech-Firmen - immer wahnwitziger, wie auch gerade Snapchat zeigt.

Die Firma schreibt hohe und steigende Verluste und niemand weiß wirklich, wie sie Gewinne erwirtschaften soll. Ihr Börsenwert betrug kurz nach dem Börsenstart vergangenen Donnerstag nun mehr als 34 Milliarden US-Dollar. Damit wäre eine Firma, die massiv Geld verbrennt, mehr wert als die Schweizer Großbank Credit Suisse, die Autobauer Volvo, Renault, Chrysler, der Stahlkonzern Arcelor-Mittal, American Airlines oder Lufthansa und viele andere multinationale Unternehmen.

Die deutsche Lufthansa wäre zum Beispiel gegenüber Snap, der Mutter von Snapchat, ein ziemlich lächerliches Unternehmen, wenn man es aus Sicht der Börsianer betrachtet. Denn das deutsche Traditionsunternehmen hat einen Börsenwert von nicht einmal sieben Milliarden Dollar. Snap war beim Börsengang also etwa fünfmal so viel Wert wie die weltweit operierende deutsche Airline.

Anders als Snapchat hat die Lufthansa aber auch Gewinne auszuweisen. Das ist heutzutage aber offenbar ein Hindernis dafür, dass risikobereite Anleger auf die Aktien setzen. Nach dem Geschäftsbericht für das Jahr 2015 konnte die Lufthansa Group ihren Umsatz um 6,8 Prozent auf 32,1 Milliarden Euro steigern. Und dabei wies die Firma einen Gewinn nach Steuern von gut 1,7 Milliarden Euro aus. Im vergangenen Jahr konnte das Unternehmen sogar in einem schwierigen Umfeld und mit Streik-Querelen das Ergebnis in den ersten drei Quartalen 2016 praktisch wiederholen.

Ganz anders sah die Bilanz bei Snap aus, wobei die Kurse des US-Unternehmens derzeit nur so durch die Decke geschossen sind. Vom Ausgabepreis (17$) stieg der Preis der Aktie bei ihrer Premiere an der Wall Street sogar um 44% und schloss bei knapp 24,5 Dollar. Am Freitag legte sie erneut 11% zu und auch im Handel am Montag ging es zunächst weiter etwa 4% bergauf. Allerdings hatte sich die Kurve bereits zusehends abgeflacht. Da offensichtlich einige bisherige Gewinne mitnehmen wollten, gab der Kurs im Handelsverlauf am Montag deutlich um mehr als 5% nach, um dann noch weiter auf gestern 21,44 US-Dollar abzustürzen und mittlerweile mehr als 10 Milliarden an Börsenwert zu vernichten.

Reale Gründe dafür, dass sich die Anleger um die Papiere gerissen haben, gibt es ohnehin nicht. Zwar konnte das Unternehmen seinen Umsatz gegenüber dem Vorjahr von knapp 60 auf über 400 Millionen Dollar steigern, weil vor allem nun das Geschäft mit der Werbung bei dem Instant-Messaging-Dienst angezogen hat. Doch statt aus dem gesteigerten Umsatz einen Gewinn zu generieren, schaffte es Snap sogar damit, den Verlust noch deutlich zu steigern. Statt gut 370 Millionen aus dem Vorjahr stieg der Verlust erneut um fast 50% auf deutlich mehr als eine halbe Milliarde Dollar. So ist schon einigermaßen klar, warum der Rivale von WhatsApp durch Ausgabe von 200 Millionen Aktien 3,4 Milliarden Dollar in die Kassen spülen musste.

Es ist offensichtlich, dass sehr viele auf eine goldene Zukunft der Firma gewettet haben, weswegen es zum größten Börsengang eines Tech-Unternehmens seit Facebook kam. Doch alle Zocker hätten sich vielleicht einmal die Entwicklung bei den Nutzern anschauen sollen. Zudem wäre ein Blick darauf interessant, dass diese Firma viel Geld verbrennt und damit in der Branche auch nicht alleine steht.

Die Dynamik beim Zuwachs der Nutzer hat sich wegen der schärfer werdenden Konkurrenz jedenfalls deutlich abgeschwächt, da Facebook, Instagram und Co. der Entwicklung nicht mit verschränkten Armen zuschauen. Snapchat hatte im letzten Quartal 2016 im Schnitt etwa 158 Millionen User am Tag und das waren nur noch fünf Millionen Nutzer mehr als im Vorquartal. Im dritten Quartal wuchs die Zahl der Nutzer noch doppelt so stark. Doch auch das war ein Rückgang, denn vom ersten auf das zweite Quartal war sie sogar noch um 20 Millionen gewachsen. Die Kurve der Zuwachsrate wird also permanent flacher. Dabei nehmen offensichtlich die Kosten für die Werbung neuer Kunden zu. Das berichtete die Firma aber im aktualisierten Börsenprospekt nicht. Dort wird vor allem darauf abgestellt, dass man die Zahl der Nutzer in einem Jahr um 46% habe steigern können. Und dort steht auch nicht, dass die Rivale Instagram mit seinem Stories-Klon nach Nutzerzahlen inzwischen zu Snapchat aufgeschlossen hat.

Angesichts der allgemein ernüchternden Zahlen fragt sich auch die liberale Neue Zürcher Zeitung (NZZ), wie angesichts der Entwicklung - obwohl sie die Nutzerentwicklung gar nicht betrachtet - eine solche Firma so viel wert sein kann? Und die NZZ fragt sich natürlich auch, warum sich Anleger nach den Aktien gerissen haben, obwohl "sie keinerlei Stimmrechte haben werden".

Man kann hier feststellen, dass wir einer absurden Entwicklung beiwohnen und die passt vielleicht in eine postfaktische Zeit mit Fake-News, Trump und alternativen Fakten. Allerdings stehen schon etliche Firmen Gewehr bei Fuß. Sie wollen auch an die Börse, stehen in den Startlöchern, um ebenfalls an das viele Geld zu kommen, dass sie vermutlich real nie erwirtschaften könnten. Denn offenbar sind Anleger im Herdentrieb bereit, mit jeden Preis auf eine vage Gewinnaussicht zu wetten, dabei ist bei vielen Firmen völlig unklar, wie sie jemals Geld verdienen können.

Parallelen zur Dotcom-Blase

Hier drängen sich die Parallelen zur Dotcom-Blase regelrecht auf. Telepolis sprach deshalb schon vor drei Jahren davon, dass sich die Dotcom-Blase 2.0 nun herausbildet. Auch vor 20 Jahren war die Blase von spekulativen Gewinnerwartungen und stark steigende Aktienkurse bei angeblich zukunftsweisenden und stark wachsenden Technologieunternehmen geprägt. Allerdings waren die damaligen Summen, gemessen an den Beträgen heute, vergleichsweise bescheiden.

An die Sternchen von einst, die Gewinne produzieren sollten, erinnert sich heute kaum noch jemand. Netscape war eine der Zukunftsfirmen, für die der ehemalige Online-Riese AOL 1998 vor dem Platzen der Blase 4,2 Milliarden US-Dollar hingeblättert hat.

Statt wie erhofft zum weltweit größten Internetprovider und einer "neuen Superpower der High-Tech-Industrie" zu werden, wurde es ein Rohrkrepierer. Zwar gibt es AOL noch, doch der einstige Riese ist unbedeutend geworden und für den Netscape-Browser wurden schon vor neun Jahren die Weiterentwicklung und der Support eingestellt. Das war damals einer der größten Deals in der Dotcom-Blase. Doch heute haben wir es mit ganz anderen Summen zu tun, wie zum Beispiel der Facebook-Börsengang oder die Übernahme von WhatsApp durch Facebook für 19,5 Milliarden Dollar gezeigt haben.

Wie schon Ende der 1990er Jahre ist auch jetzt bei vielen der nun noch extrem höher bewerteten Firmen genauso unklar, wie sie Gewinne erwirtschaften sollen. Das ist zwar bei einigen Aufsteigern wie Uber oder Airbnb sogar noch einigermaßen nachvollziehbar. Doch auch hier sind die Börsenbewertungen wegen der Blasenbildung völlig überhöht. Der Schreck der weltweiten Taxibrache ist mit etwa 68 Milliarden Euro sogar schon doppelt so viel wert wie Snap. Doch auch Uber hat Probleme und stößt auf massiven Widerstand in vielen Ländern und bei vielen Gerichten. Ob langfristig erwartete Gewinnen eintrudeln, wenn die sogenannte "shared economy" reguliert oder stärker reguliert wird, und auch dafür gesorgt wird, dass die Firmen und ihre Nutzer Steuern bezahlen, darf bezweifelt werden.

Twitter als Beispiel

Andere Modelle, die wie Twitter dann dem Modell Snap deutlich ähnlicher sind und bei denen mehr als unklar ist, wie sie über Werbung hinaus nennenswerte Einnahmen generieren wollen, verbrennen seit Jahren viel Geld. Wer sich die Grafik von Twitter anschaut, müsste sich vielfach überlegen, ob er sein Geld in ein Projekt wie Snap steckt. Seit Jahren schreibt der Kurznachrichtendienst massive Verluste. Er hat bisher nicht in einem einzigen Quartal einen Gewinn verbucht. Die Verluste lassen sich schon auf fast 2,3 Milliarden Dollar beziffern. Ein vernünftiges Geschäftsmodell sieht anders aus und bei Twitter kann man wohl kaum noch davon ausgehen, dass man es noch mit Anlaufschwierigkeiten zu tun.

Obwohl Twitter über den neuen US-Präsidenten weltweit einen massiven Werbeschub bekam, legte die Zahl der monatlich aktiven Nutzer im Schlussquartal 2016 nur noch um 2 Millionen auf 319 Millionen zu. In den USA ist längst ein Sättigungsgrad erreicht, denn es gab dort keine neuen Nutzer mehr, die Zahl stagniert dort bei 67 Millionen, nachdem im Vorquartal noch eine Million neue Nutzer hinzugewonnen werden konnte.

Die Werbeeinnahmen aber, die auch bei Twitter die Haupteinnahmequelle bilden, gingen trotz gestiegener Nutzerzahlen zum Jahresende im Vergleich zum Vorjahresquartal sogar um drei Millionen Dollar zurück. Insgesamt nahmen zwar die Umsätze im vierten Quartal leicht mit 0,9% zu, doch auch hier ist eine klare Parallele wie bei Snapchat zu sehen. Denn auch bei Twitter wuchs der Verlust gegenüber dem Vorjahresquartal deutlich. Er verdoppelte sich von 90 auf 167 Millionen Dollar sogar fast. Allein im vergangenen Jahr verbrannte Twitter also mehr als eine halbe Milliarde Dollar. Erfolgreiche Geschäftsmodelle sehen anders aus.

Schwarmdummheit

Deshalb sind die Fragen der NZZ eigentlich nur so zu beantworten, dass man es hier mit einem Schwarmverhalten einer Herde zu tun hat, die offensichtlich erneut wie die Lemminge auf dem Weg in den Abgrund sind. Schwarmintelligenz ist das nicht. Während einige wenige massive Gewinne einstreichen werden, wie einst, wird die Masse massive Verluste einfahren. Eines ist klar: Blasen, vor denen sogar die US-Notenbank (FED) schon gewarnt hat, haben nun einmal das Problem, dass sie irgendwann platzten. Und diverse Beobachter warnen längst davor, dass die neuen Blasen deutlich dramatischer sind als die, die im Jahr 2000 geplatzt ist, auch weil die Welt noch immer die Nachwirkungen davon verdaut und die Weltwirtschaft insgesamt noch weniger robust ist.

Die FED hat den Zeitpunkt zum Eingreifen verschlafen

Umso größer Blasen sind, umso stärker ist der Knall beim Platzen und umso schmerzlicher sind die Effekte. Tatsächlich ist die US-Notenbank mit ihrer Geldschwemme in Folge der Krise seit 2008 für das Aufblähen der nächsten "Bubbles" zentral verantwortlich. Es war letztlich die Krisenbekämpfungspolitik der FED nach dem Platzen der Dotcom-Blase, die neue, noch größere Blasen unter anderem am Immobilienmarkt aufgebläht hat. Und nach dem Platzen dieser Blasen ab 2008, womit Schockwellen die über die ganze Welt gingen, wurden die Geldschleusen von der FED nur noch noch weiter aufgemacht. Deshalb wurde oft kritisiert, dass die FED ein Feuer mit Benzin zu löschen versuche.

Der FED kann man allerdings einen gewissen Lerneffekt zugutehalten. Sie hat das Gelddrucken aufgegeben und versucht seit gut einem Jahr - allerdings mehr als zaghaft - über leicht steigende Zinsen das Geld auch wieder vom Markt zu saugen. Nach immer neuen Ausreden ist sie nun aber zu der längst im Dezember 2015 versprochenen "Normalisierung" der Leitzinsen verdammt, da die Inflation im Land deutlich zugenommen hat. Die Rate stieg im Februar nach Angaben des Arbeitsministeriums auf 2,5%. Das war der höchste Anstieg seit fünf Jahren und damit liegt die Inflation deutlich über dem Inflationsziel von 2%.

Und so wird es aller Wahrscheinlichkeit Mitte kommender Woche einen neuen Zinsschritt nach oben geben, hatte schon die FED-Chefin Janet Yellen signalisiert. Und immer mehr Notenbankmitglieder sprechen sich dafür aus. Nun Donnerstag hat auch das Direktoriumsmitglied Lael Brainard eine "frühe" Gegenbewegung angekündigt. Und zuvor hatte der Notenbanker Robert Kaplan erklärt, man müsse nun definitiv "den Prozess schrittweiser Zinsanhebungen beginnen". Ähnlich haben sich auch andere Direktionsmitglieder schon geäußert. Das Problem der FED ist, dass sie "Anpassungsschocks" vermeiden will, weil gerade die zu einem schnellen Platzen der Blase führen könnten.

Doch die Zaghaftigkeit der FED hat dazu geführt, dass sich die Blase an den Börsen allgemein weiter aufgeblasen hat, in den USA seit dem Wahlsieg Trumps eine "Rally" gestartet wurde, die auf genauso sandigem Untergrund basiert wie die Hoffnungen auf Gewinne bei Snapchat oder Twitter. Doch die FED hat den Zeitpunkt verschlafen, weil sie ihren eigentlichen Zeitplan nicht eingehalten hat. Sie wollte schon im Laufe des vergangenen Jahres "graduell" die Zinsen anheben, um langsam Luft aus der anschwellenden Blase zu lassen. Angepeilt war, die Zinsen schon 2016 auf etwa 1,5% anzuheben und im Laufe dieses Jahres sollten sie sogar auf 2,5% steigen.

Das Problem der FED ist nun, dass sie einerseits fette Blasen vorfindet, die sie mit stärkeren Zinsschritten anstechen könnte. Denn sowohl die steigende Inflation, zu der auch gestiegene Energiepreise und ein steigender Dollar kommen, entziehen den Verbrauchern schon Geld. Steigende Zinsen lassen auch die Kosten für die in den USA üblichen variablen Zinsen für Kredite steigen, was die Konjunktur genauso belasten wird, wie steigende Zinsen auch Investitionen von Familien und Unternehmen behindern. Dazu kommen nun noch die abstrusen isolationistischen Vorstellungen von Donald Trump, dessen wirtschaftspolitische Ansätze ohnehin eher Rezepte für ein Desaster sind. Er ist nicht nur eine Gefahr für die US-Wirtschaft und es braut sich eine immer explosivere Gemengelage zusammen.

Nebenbei bemerkt, haben die Versuche der FED, die Geldschwemme einzudämmen, ohnehin nur begrenzte Wirkungen, weil andere Notenbanken nicht mitmachen. Die Europäische Zentralbank ist bekanntlich unter Mario Draghi nicht nur in die Nullzinspolitik, sondern sogar in die Negativzinspolitik eingestiegen und lässt auch die Notenpresse auf Hochtouren laufen. Draghi hat erst kürzlich bestätigt, dass die Geldmärkte weiter umfassend und langfristig geflutet bleiben. Und das will er weiterhin nicht verändern, obwohl auch im Euroraum die Inflation angezogen hat. Im Februar lag sogar die offizielle Inflation im Jahresvergleich bei 2% und damit über der Zielmarke. Draghi will weiter für eine günstige Finanzierung von Krisenländern sorgen und den Euro gezielt schwächen, um Waren aus dem Euroraum auf dem Weltmarkt zu verbilligen, was ebenfalls die USA schwächt.