Wird die Polizei kaputtgespart?

Seite 2: Alarmismus prägt das Handeln

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Zugleich produzierten die zunehmend computerisierten Lagebilder der Polizei methodisch eine unausgesetzte Alarmstimmung, die sich nicht erst in Zeiten eines religiös konnotierten Terrorismus auch in strukturell diskriminierenden Zusammenhängen artikuliert (Racial Profiling). Wohin die Polizei ihren Fokus heute auch richtet, überall sieht sie Extreme und kann eine mögliche Eskalation im Verlauf von Ereignissen kaum noch ausschließen. Die Polizei befindet sich gewissermaßen im Gefahrenrausch, sieht sich an immer mehr Fronten immer weitreichenderen Anforderungen ausgesetzt und erschöpft auf diesem Weg fortgesetzt ihre durchaus üppig bemessenen Ressourcen. Ex post changieren ihre Bewertungen von Hilflosigkeit, in der Formel "man habe ja rechtzeitig gewarnt", bis hin zum Garanten Innerer Sicherheit, wenn mal wieder nur dank massiver Polizeipräsenz nichts passiert ist.

Während sich komplexere Anforderungen im Kontext einer Werte relativierenden und Werte differenzierenden Gesellschaft auch im Berufsalltag der Polizei bemerkbar machen, sucht sie die Konsensfiktion ihrer Organisation weiterhin im Althergebrachten: Sie hält die Straße frei. Und derartiger Aktionismus richtet sich keinesfalls gleichmäßig auf die Bevölkerung und die in ihr auszumachenden sozialen Gefüge oder Quartiere. Das Handeln der uniformierten Polizei "auf der Straße" ist vor allem auf Brennpunkte gerichtet. Und diese Brennpunkte werden zu guten Teilen von ihr selbst bestimmt. Polizisten agieren im Ergebnis viel häufiger und viel extensiver in der Anwendung ihrer Befugnisse in sozial oder ethnisch segregierten Milieus oder gegen Gruppen (etwa Fußballfans), die ihnen im Ergebnis solcher Zuschreibungen schon von vornherein als Störer gelten. Wenn hier immer wieder verstärkt kontrolliert, eingeschritten und beanzeigt wird, hat das naturgemäß selbstreferentielle Effekte.

Es wäre daher beispielsweise in der Neugestaltung des niedersächsischen Polizeirechts (wie in der Koalitionsvereinbarung der rot-grünen Landesregierung auch zunächst beabsichtigt) sehr wohl notwendig, die Mechanismen polizeilicher Verdachtsschöpfung auf den Prüfstand zu stellen und die dafür ausschlaggebenden Befugnisse neu zu regeln, denn ein "Racial Profiling" ist vor allem ein strukturelles Problem des Handlungsrahmens der Polizei (Eingriffsbefugnisse/innere Organisation der Aufgabenerfüllung/Selbstverständnis) und gerade nicht zuerst eine Frage individuell fremdenfeindlicher Reflexe von Polizisten.

Aber im aktuell aufgeregten Diskurs um Fragen der Inneren Sicherheit wollen nun nicht einmal mehr die Grünen in Niedersachsen davon etwas wissen und haben ihr konkretes Gesetzesvorhaben zur Neugestaltung des niedersächsischen Polizeirechts derart weitreichend geschliffen, dass von den ursprünglichen Vorhaben der Stärkung von Bürgerrechten kaum noch etwas übrig ist. Damit befinden sich die Grünen dann auch schon klar auf CDU-Linie, die Bernd Althusmann, der niedersächsische Landesvorsitzende und Spitzenkandidat zur kommenden Landtagswahl jüngst in Erläuterung seiner Sicherheitspolitischen Vorstellungen und unter Beifallsbekundungen von Polizeigewerkschaftern mit der Aussage skizziert hat, dass mit der falsch verstandenen Toleranz von Initiativen zur Stärkung von Bürgerrechten nun endlich mal Schluss sein müsse.

Die Probleme der Polizei sind durchaus praktischer Natur

Wie sich in dem heutigen Setting von Polizeiarbeit ein Gefühl der ständigen Überforderung etabliert, zeigt sich exemplarisch in ihrer Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten. Grundlage für die polizeiliche Arbeit in Niedersachsen ist seit 2004 ihr Vorgangsbearbeitungssystem "NIVADIS" - ein Akronym für Niedersächsisches Vorgangsbearbeitungs-, Analyse-, Dokumentations- und Informations-System. Von Beginn an war die Architektur des Systems darauf angelegt, zu den vielfältigsten polizeilichen Aufgabenfeldern aus dem Blickwinkel des jeweiligen Spezialisten möglichst viele auswertbare Informationen zu erheben, zusammenzutragen und recherchefähig zu verknüpfen.

Abgesehen von den Problemen, die den Freiheitsrechten in diesem Ansatz schon von vornherein drohten und sich in der Folge dann auch immer mal wieder als problematisch oder auch rechtswidrig darstellten, resultiert hier mittlerweile ein herausragender Faktor im Erleben von Überforderung. Im Alltag der niedersächsischen Polizei ist diese enorme Datenflut vor allem von den Beamten in den Streifen- und Kriminaldiensten zu erheben und ins System einzupflegen. Das bewirkt eine mittlerweile als vollkommen absurd empfundene Verschiebung im Aufgabenvollzug.

Etwas plakativ ausgedrückt geht es nicht mehr zuerst darum, auf der Straße und in der Bewältigung einer Einsatzlage den Frieden wieder herzustellen. Wichtig ist vor allem die vom System geforderte Datenerhebung sicherzustellen, die Daten zunächst händisch vor Ort zu notieren, um sie dann mit immer größeren zeitlichen Aufwänden in Form der Büroarbeit im System zu erfassen. Im Ergebnis bleibt immer weniger Zeit für die Arbeit vor Ort, denn Beamte, die in den Wachen vor ihren Computern sitzen, um Daten einzugeben, können natürlich nicht zugleich auf der Straße sein.

Mittlerweile ist der Druck im Kessel der Organisation so groß, dass das Management nicht mehr nicht reagieren kann. Anstatt aber das Problem inhaltlich anzugehen, geht der Griff erneut zur Beschaffung. Mobile Geräte sollen künftig das händische Erfassen von Daten entbehrlich machen. Ausgeblendet wird wieder einmal eine kritische Auseinandersetzung mit der Systematik der polizeilichen Datenerhebung und einer von Sammelwut geprägten Organisationskultur.

Das Management streut mit Tablet-Computern Gimmicks in die Mannschaft - zeichnet aber von Beginn an verantwortlich für eine Systemarchitektur von NIVADIS, die in ihren Auswirkungen und Effekten auf den polizeilichen Aufgabenvollzug von vornherein absehbar war. So sieht es aus, wenn sich das Management der Polizei weit überwiegend aus sich selbst heraus rekrutiert und eine selbstkritische Orientierung im Aufgabenvollzug sich erst gar nicht entwickeln darf.