Wird die Polizei kaputtgespart?

Seite 3: Die Kräfteansätze der Polizei laufen aus dem Ruder

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Der gleiche Kontext von "Überforderung" aus dem Alltag der Polizei findet sich im so genannten "Geschlossenen Einsatz", also bei ihrem Auftreten in Verbänden aus Anlass von Versammlungen oder Veranstaltungen. Ihr Alarmismus bedingt gerade auch hier immer öfter ein Erreichen von Belastungsgrenzen.

Ein schönes Beispiel dafür sind die Fußballeinsätze der Polizei - und da bilden in Niedersachsen die Derby-Begegnungen zwischen Hannover 96 und Eintracht Braunschweig naturgemäß eine Spitze des Eisbergs. Schon immer lag in den Derbys Brisanz, was stets höhere Kräfteansätze der Polizei zur Folge hatte. Während die aber vor wenigen Jahren noch deutlich unter der Tausendermarke blieben, werden aktuell für eine Derby-Begegnung der laufenden Spielzeit in der 2. Bundesliga deutlich mehr als 3.000 Beamte nur am Spieltag und am jeweiligen Spielort in den Einsatz gebracht - Kräfteansätze im Umfeld eines Spieltags oder am Abfahrtort der jeweiligen Gästefans noch gar nicht eingerechnet.

Dabei hat sich die Problemlage in den Derbys gar nicht grundlegend verändert. Im Gegenteil hat die Polizei in Niedersachsen für ihr Vorgehen gegen Fußballrowdys zwischenzeitlich ein so genanntes "Rädelsführerkonzept" entwickelt und dieses so nachhaltig als Erfolgsmodell beworben, dass es jüngst bundesweit von den Polizeien des Bundes und der Länder im Sinne eines einheitlich restriktiven Vorgehens gegen eine vermeintlich überbordende Gewalt im Fußball übernommen wurde. Wenn als Ausfluss dieses vorgeblich erfolgreichen Konzepts alle Rädelsführer der Gewalt im Fußball in Niedersachsen doch bereits überaus wirksam in ihren Aktionsmöglichkeiten beschränkt werden, müssten die Gefahren beim Derby wohl eher gesunken sein. Offenbar wirkt auch in diesem Beispiel keine wie auch immer geartete Änderung der Gefahr auf die enorme Steigerung der Kräfteansätze, sondern vielmehr ein immer weiter um sich greifender Alarmismus.

Für den Umstand, dass die Polizei sich dabei in der öffentlichen Wahrnehmung offenbar gar nicht auf Abwegen befindet, gibt es eine vergleichsweise einfache Erklärung: Profifußball ist hierzulande die weitaus größte und einflussreichste, auf Vereinsebene organisierte sportindustrielle Unternehmung und hohe Ansprüche an die Sicherheit sind eben auch ein bedeutsamer Faktor in der Vermarktung, womit das Handeln der Protagonisten (einschließlich der Politik und der immer gern reißerisch zum Thema berichtenden Medien) doch recht eindeutig als interessengeleitet zu erkennen ist.

Obgleich die enorme Kommerzialisierung des Fußballsports mittlerweile in besonders heftigem Kontrast zu seinen historischen Wurzeln steht, passt die immer wieder an Einzelfällen orientierte, breite mediale Entrüstung über vorgeblich immer neue Entgleisungen von Fußballfans im Ganzen so gar nicht zur tatsächlichen Dimension des Problems. Der Profifußball bewegt nämlich von Woche zu Woche und mittlerweile über einen Großteil der Wochentage eine enorme Zahl von Menschen, die im Wesentlichen gewaltfrei und friedlich in den Stadien wie auf den Hin- und Rückwegen dem Event beiwohnen.

Das ganz große neue Ding ist ohnehin der Terror

Die Aufzählung flagranter Beispiele für überbordende Kräfteansätze der Polizei ließe sich von Versammlungen bis hin zum offenbar vollkommen neuen Gefahrenstatus der "Zusammenkünfte von Menschen zum Jahreswechsel" (vor den Ereignissen auf der Kölner Domplatte üblicherweise noch als Silvesterfeierlichkeiten bekannt) fortsetzen, würde die Dimension der weitgehend disparaten Entwicklung von tatsächlich konkreten Gefahren und überbordenden Aufwänden nicht beim polizeilichen Staatsschutz alles bisher Dagewesene toppen.

In der Terrorbekämpfung bestimmt die Polizei (in enger Zusammenarbeit mit Geheimdiensten - Trennungsgebot hin oder her) nun höchstselbst, wen sie zu welchem Grad als Gefährder einschätzt und fürderhin mit polizeilichen Maßnahmen zu überziehen gedenkt. Die Schlagzahl der Nadelstiche und Zugriffe gegen so genannte Islamistische Gefährder nimmt auffällig zu. Der Apparat hat offenbar Fahrt aufgenommen.

Gern inszeniert dabei der wehrhafte Rechtsstaat seine Aktionen mit großem Brimborium und lässt seine schwer bewaffneten Spezialkommandos möglichst medienwirksam bei der Erstürmung von Wohnungen oder Gotteshäusern agieren. Dabei leistet ein derart eindimensionales Vorgehen einer weiteren Radikalisierung womöglich sogar eher noch Vorschub. Andererseits werden die Begründungen für diesen Aktionismus gern der Geheimhaltung anheimgestellt, was vor allem die öffentliche Nachprüfbarkeit eines sinnvollen und rechtlich einwandfreien (vor allem verhältnismäßigen) Ressourceneinsatzes naturgemäß weitestgehend behindert. Die vermeintliche Überforderung der Polizei tritt so vollends in ein Dunkelfeld, aus dem heraus die hohe Schlagzahl innenpolitischer Forderungen noch ungenierter betrieben werden kann.

Der an der Berliner Humboldt-Universität lehrende Kulturwissenschaftler Joseph Vogl sieht schon jetzt in den Präventionsregimes ein Selbstverständnis, das sie ständig im Grenzbereich und als letztes Aufgebot zur Verteidigung des Inneren Friedens agieren lässt. Im Ergebnis seiner Forschungen sieht er die Frühwarnsysteme im Zustand der dauernden Erregung, weil die Befriedigung von Sicherheitsbedürfnissen immer weitere Sicherheitsbedürfnisse erzeugt, was zur wechselseitigen Steigerung von Gefahrenwahrnehmung und Schutzverlangen führt.

Verlässliche und nachvollziehbare Koordinaten der Bedrohung sind hingegen kaum auszumachen. Die Konzepte zur Begegnung rühren demgemäß im Ungewissen, zeichnen sich aber zugleich durch eine innere Maßlosigkeit aus. Der Fokus möglicher Sanktionen verschiebt sich immer mehr von wirklichen Vorfällen auf pure Möglichkeiten. Wenn der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, hier schon die Notwendigkeit sieht, Deutschland für den "Terror 4.0" zu wappnen, müssen wir uns um ein "Kaputtsparen" der Polizei auch in Zukunft sicher nicht sorgen - ernsthaft sorgen sollten wir uns allerdings um den Erhalt unserer Freiheit.

Der Autor des Beitrags ist Polizeibeamter in Niedersachsen.