Wird jetzt enteignet?
Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen": Berlin geht weiter Schritte Richtung Vergesellschaftung
Das Sammeln hat ein Ende. Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" hat zum Ende der Sammelphase nach eigenen Angaben dem Senat insgesamt 343.591 Unterschriften überreicht, - für ein Volksbegehren sind nur 175.000 gültige Unterschriften nötig.
Damit steht so gut wie fest: Am 26. September darf Berlin darüber abstimmen, ob der Senat die Arbeit an einem Gesetzentwurf zur Vergesellschaftung gewinnorientierter Immobilien-Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen beginnen soll. Unabhängig vom weiteren Verlauf der Kampagne ist ihr politischer Erfolg schon jetzt offensichtlich.
Politische Eintracht innerhalb der Linken
Denn die Kampagne hat Kräfte innerhalb der Berliner Linken geeint, die selten am gleichen Strang ziehen. So musste selbst Sahra Wagenknecht, die aktuell nicht gerade durch Bemühungen um Zusammenhalt in der Linken aufgefallen ist, in einem Telepolis-Interview "Wir bleiben permanent unter unseren Möglichkeiten" zugegeben, dass "Initiativen, in denen Menschen sich gemeinsam für ein soziales Anliegen einsetzen", das Richtige tun, selbst wenn dabei ein paar "Lifestyle Linke" mitmachen.
Nichtsdestoweniger hat Wagenknecht recht: "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" ist ein Ziel, auf das sich Anarchos, Gewerkschaftler, Queer-Aktivist:innen, Feminist:innen und sogar Teile der bürgerlichen Mitte einigen können. Solch politische Eintracht innerhalb der Linken schafft sonst bloß der Klimaschutz.
Zwar gab es immer wieder Stimmen, die den Terminus "Enteignung" bemängelten - die einen, weil sie der Meinung waren, Enteignungen hätten ohne Entschädigung stattzufinden, andere, weil sich durch den Begriff an die letzte Diktatur erinnert fühlten. Doch ernsthafte Einwände gegen einen Volksentscheid und gegen ein gezieltes Vorgehen gegen gewinnorientierte private Wohnungsunternehmen hatte im erweiterten Spektrum der Linken wohl kaum jemand.
Sicherlich mag die Abschaffung des Mietdeckels während einer Pandemie einiges zum Erfolg der Initiative beigetragen haben: "DW-Enteignen" gab gegenüber Telepolis an, am Wochenende nach der Abschaffung des Mietendeckels mehrere 10.000 Unterschriften gesammelt zu haben.
Bundespolitik: Nicht mit Ruhm bekleckert
Und auch die Bundespolitik hat sich während der Coronakrise in Sachen Wohnrecht wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. So wurde im Januar ein Vorstoß der Linksfraktion im Bundestag, Zwangsräumungen in Zeiten der Corona-Krise per Gesetz zu verbieten, von allen Parteien außer den Grünen abgelehnt.
Betroffene sind folglich weiterhin auf richterliche Gnade angewiesen. In Berlin nutzte Innensenator Geisel (SPD) die Pandemie für eine Räumungswelle gegen besetzte Objekte. Diese scheiterte zuletzt am teilweise besetzten Hausprojekt Rigaer94, da der Gerichtsbeschluss der Polizei "das Betreten der Wohnungen im Rahmen einer Brandschutzbegehung" nicht erlaubte.
Hätte sich die SPD in der Vergangenheit so sehr beim Milieuschutz engagiert wie bei der Räumung und Schließung linker Projekte, hätte "DW-Enteignen" es sicher schwerer gehabt, solch enormen Rückhalt in der Bevölkerung zu finden. Nun, da die Wohnungskrise nicht mehr zu ignorieren ist, hat der Berliner Senat unter Führung der SPD begonnen, Gebrauch von seinem Vorkaufsrecht zu machen.
Zwar geschah dies 2020 in deutlich weniger Fällen als noch 2019, doch gab der Senat an "2020 sowohl durch Ausübung von Vorkaufsrechten als auch durch Abwendungen berlinweit 4.121 Wohnungen gesichert zu haben. Dies stelle eine "Verdoppelung gegenüber dem Jahr 2019 (1.851 Wohnungen) dar".
Mietendeckel: Berlinerinnen und Berliner sauer
Andere Versuche des Senats, dem "Mietwahnsinn" Einhalt zu gebieten, blieben symbolische Gesten. So leider auch der Mietendeckel, der keineswegs eine radikale Neuerung des Mietrechts darstellte, sondern lediglich an den Schwachpunkten der bundesweit geltenden Mietpreisbremse ansetzte, eine gesetzliche Regelung, so voller Schlupflöcher, dass sie von Vermietern in vielen Fällen ignoriert werden konnte.
Interessant ist auch, dass der Mietdeckel im Gegensatz zur Mietpreisbremse empfindliche Strafen für Vermieter im Falle von Verletzungen der Informationspflicht und anderer Vergehen vorsah.
Spätestens seit der Beendigung des Mietendeckels sind viele Berliner:innen so sauer, dass sie großangelegte Vergesellschaftung von Immobilien ernsthaft als politisches Mittel in Betracht ziehen.
Da hilft es wenig, wenn Vonovia - eben jene Firma, in der die "Deutsche Wohnen" bald aufgehen wird - auf die durch den Mietendeckel entstandenen Mietnachzahlungen durch die Mieter verzichten. Dennoch ist es ein kleiner Anlass zu Freude, wenn Großunternehmen wie Vonovia sich vom politischen Klima und Initiativen wie "DW-Enteignen" beeindruckt zeigen.
Egal wie sehr sich Immobilienunternehmen wie Vonovia zusammen mit Bürgermeister Müller um einen sozialen Anstrich bemühen, die Initiative "DW-Enteignen" und 343.000 Menschen wollen nicht mit den Konzernen auf "Augenhöhe reden", sondern eine Entkopplung des städtischen Wohnraums von einem durch Anleger überreizten Immobilienmarkt.
Schuld an der angespannten Situation ist die in Deutschland wachsende Immobilienblase. Immer weniger Deutsche haben Chancen, irgendwann im Eigenheim zu wohnen, denn "in Deutschland sind die Einkommen zuletzt zwar gestiegen und die Zinsen gesunken, aber die Preise leider schneller gewachsen als das Eigenkapital".
Auch die Mittelschicht muss also in manchen Gebieten zur Miete wohnen, und das in Zeiten, in denen die Mieten mit der Höhe der Investitionen steigen, wenn auch ungleich langsamer.
Eine überfällige Grundsatzdebatte
"DW-Enteignen" ist übrigens nicht die einzige Initiative, die gezielt versucht, vom Markt unabhängigen Wohnraum mit stabilen Mieten zu schaffen. Auch Organisationen wie das Miethäuser Syndikat und neue Projekte wie Stadtbodenstiftung in Berlin sowie viele Genossenschaften und Hausprojekte in ganz Deutschland haben schon lange begriffen, dass es sich in der freien Marktwirtschaft langfristig nicht gut wohnen lässt.
Ob "DW-Enteignen" tatsächlich Erfolg haben wird und wie sich eine solch groß angelegte Vergesellschaftung auf die Berliner Immobilienblase auswirken wird, bleibt abzuwarten, denn ohne weitere politische Rückendeckung ist ein solch drastisches Vorgehen, wie es die Kampagne erwirken will, kaum vorstellbar.
In jedem Fall hat die Bewegung eine überfällige Grundsatzdebatte angekurbelt - und das im sogenannten "Superwahljahr". Zumindest junge Menschen (16- bis 35-Jährige) scheinen sich anlässlich der Bundestagswahl darüber einig zu sein (und das sogar zu 96 Prozent), dass es höchste Zeit für eine stärkere staatliche Regulierung des Wohnungsmarktes ist. 40 Prozent halten Wohnen sogar für ein Grundrecht, mit dem keine Gewinne erwirtschaftet werden sollten.
Anlässlich einer solchen Einigkeit im jüngeren Teil der Bevölkerung könnte gerade eine Partei wie die SPD, die wahrlich genug Gründe hätte, ausschließlich in die Zukunft zu schauen, ebenfalls beginnen, einige lieb gewonnene Grundsätze infrage zu stellen - in Berlin wie auch auf Bundesebene.