Wirtschaftsmacht Mafia

Seite 2: Die italienische Mafia

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Die wohl bekannteste Mafia-Organisation ist die sizilianische Cosa Nostra. Daneben die neapolitanische Camorra. Die apulische Saccra Corona Unita und die ebenfalls sizilianische Stidda sind weitestgehend unbekannt. Die Existenz der kalabrischen 'Ndrangheta wurde der Öffentlichkeit durch die besagten Duisburger-Pizzeria-Morde bekannt.

Alle dieser Strukturen sind streng hierarchisch, streng patriarchal aufgebaut. Obwohl auch die Frauen eine bedeutende Rolle darin spielen, wie wir noch sehen werden. Aber sie haben keine Leitungsfunktionen inne, wenngleich sie laut Petra Reski unterdessen gleichberechtigt an der Vorbereitung und Durchführung der Aktionen und Geschäften beteiligt sind.

Die Publizistin hat diese Entwicklung in mehreren Büchern beschrieben. Sie gilt als eine der führenden Mafia-Expertinnen in Deutschland. Obwohl sie auf Tatsachen beruhen sind ihre Bücher spannender als jeder Krimi - oder auch genau deshalb.

Die Struktur ist familienähnlich angelegt, jede "Familie" hat ein Oberhaupt, dem jedes Mitglied zu absolutem gehorsam verpflichtet ist. Dabei handelt es sich nicht zwangsläufig um Blutsverwandte. Es gelten die Regeln des Clans, nicht die italienischen, bzw. deutschen Gesetze. Für alle Mitglieder gilt die Omertà, die Schweigepflicht, der Ehrenkodex der Organisation. Auf Verrat steht die Todesstrafe.

Einzig die 'Ndrangheta ist tatsächlich ein Familienverband im herkömmlichen Sinne. Jedenfalls bis auf wenige Ausnahmen. Experten schätzen, dass dies das Geheimnis ihres Erfolgs ist. Denn Familien, vor allem in traditionellen Gesellschaften, halten fester zusammen.

Trotzdem kommt es innerhalb dieser Familien zu Auseinandersetzungen, z. B. wenn einzelne Zweige um die Herrschaft über ein bestimmtes Gebiet oder einen Geschäftsbereich rivalisieren. Auf Gewaltverbrechen folgt die Vendetta, die Blutrache. Wie in Duisburg.

Allerdings ist die 'Ndrangheta so schlau - bis auf die Morde in Duisburg - diese Rivalitäten nicht durch öffentlich ausgetragene Bandenkriege zu lösen. Um in aller Ruhe ihren Geschäften nachzugehen, braucht sie ein ruhiges Umfeld, die Mafiosi tauchen nicht im Trenchcoat mit gezogener Knarre in der Manteltasche auf, sondern sie tragen Anzug und Krawatte und präsentieren sich als biedere Geschäftsmänner. Oder lassen sich von Anwälten vertreten.

Während sie nach außen ihre Geschäfte, z. B. in der Immobilienbranche, abwickeln, regeln sie intern den weltweiten Drogenhandel. Die 'Ndrangheta dominiert den europäischen Drogenhandel, von den Drogenkartellen in Kolumbien und Mexiko wird sie als ebenbürtiger Geschäftspartner angesehen. Laut ZDF dominiert sie den weltweiten Drogenhandel, die Lokale und Bordelle dienen als Umschlagplatz für Frauen, Drogen und Waffen.

Selbst die landläufig bekannte Schutzgelderpressung hat ein anderes Gesicht bekommen: Statt Kohle direkt einzukassieren, wird den Gastwirten ungefragt Wein geliefert, Olivenöl, Mehl für die Pizza, vergammeltes Gemüse, etc. Das ist dann die Art von Angebot, die kein Gastwirt ablehnen darf.

Der oben genannte Kommissar Heinz Sprenger deckte ein System auf: Alle Lokalitäten, mit denen er im Zusammenhang mit den Duisburger Morden zu tun hatte, hatten dieselbe Weinsorte im Angebot, alle hatten die gleiche Einrichtung, etc. Inzwischen werden so gepanschtes Olivenöl und schlechte, z. T. zum Verzehr nicht mehr geeignete oder stark veränderte Lebensmittel in den Pizzerien abgeladen. Allerdings gibt es unterdessen organisierten Widerstand seitens der Gastwirte gegen diese zeitgenössische Form der Schutzgelderpressung, sowohl in Italien als auch im Ausland, u.a. Deutschland.

Der "Operation Pollino", die sich gezielt gegen die 'Ndrangheta richtete, ging tags zuvor eine Razzia in Italien voraus. Dabei wurden 46 Mitglieder der Cosa Nostra festgenommen, darunter der mutmaßliche Chef der Organisation, Settimo Mineo.

Hierzulande wird gegen 47 Beschuldigte ermittelt, die der 'Ndrangheta zugerechnet werden. In NRW werden seitens der Behörden etwa 120 Personen dem Spektrum "Italienische Organisierte Kriminalität" (IOK), also allen mafiösen Strukturen zusammen, zugerechnet, in Bayern 136. Laut einer Schätzung des FBIs besteht die 'Ndrangheta weltweit aus 160 Clans mit etwa 6.000 Mitgliedern.

Das Hauptgeschäftsfeld der 'Ndrangheta ist der Drogenhandel

Dieser wurde in aller Ruhe außerhalb Italiens aufgebaut. Die 'Ndrangheta ist mittlerweile auf allen fünf Kontinenten vertreten und mischt im Drogenhandel in Lateinamerika mit. Als Drehscheibe dienen u.a. der Bremische und der Hamburger Hafen.

Heinz Sprenger stellte nach den Duisburger Morden ein Team aus 140 Personen zusammen, schöpfte bei allen zuständigen Behörden sämtliche verfügbaren Informationen ab und bat bei italienischen Behörden um Zusammenarbeit. So konnten Erfolge erzielt werden: Bereits eine Woche nach den Morden gab es erste Durchsuchungen, vier Monate danach erste Festnahmen.

Zugute kam dem Kriminalisten, dass im Jahr 1984 eine Autoversicherung sich an die Duisburger Kriminalpolizei gewandt hatte, weil ihnen mehrere Schäden an Autos gemeldet worden waren, die ihnen komisch vorkamen. Es wurde vermutet, die Schäden seien vorsätzlich herbeigeführt worden, um die Versicherungssumme zu kassieren. Seltsamerweise ereigneten sich alle diese Vorfälle in dem kleinen 3.700-Seelenort San Luca in Kalabrien im Süden Italiens, obwohl die Fahrzeughalter in Duisburg gemeldet waren.

Zwar nicht sofort, aber mit der Zeit, nachdem der Ort immer mal wieder im Zusammenhang mit Kriminaldelikten aufgetaucht war, begann sich die Kripo Duisburg dafür zu interessieren. Scheiterte aber gnadenlos an den dort herrschenden Strukturen. Laut Petra Reski existieren allein in San Luca 39 Clans. Namengleichheiten sind keine Seltenheit, zumal die Clans endogam leben; sprich: Heiraten außerhalb der Familie ist nicht zulässig.

Durch die Zusammenarbeit mit den italienischen Behörden konnte nach den Duisburger Morden das Geflecht aus Personen und Namen entwirrt und ein Profil für die Täter- und Opferseite erstellt sowie ein Zusammenhang zwischen beiden hergestellt werden. Den Fahndern war aufgefallen, dass viele der involvierten Personen dieselben Nachnamen trugen, teilweise dieselben Vornamen, z. T. am selben Tag geboren, und zwar verteilt auf die Opfer- und die Täterseite. Die italienischen Behörden kannten die familiären Verflechtungen und konnten entsprechende Zuordnungen vornehmen.

So war quasi über Nacht San Luca, die 'Ndrangheta und deren Aktivitäten in Deutschland zum Thema geworden, das weltweit ein Medienecho hervorrief. Einen "Betriebsunfall" nennt Heinz Sprenger das, denn eigentlich braucht die Mafia ein ruhiges Umfeld, um störungsfrei ihren Geschäften nachgehen zu können. Nun war sie auf dem Radar der Kriminalpolizei.

Trotzdem sind Fahndungserfolge kein Selbstläufer, vor der "Operation Pollino" ermittelten Behörden in Italien, den Niederlanden, Belgien und Deutschland zwei Jahre lang, nachdem im britischen Fährhafen Harwich ein präparierter Pferdetransporter festgesetzt wurde, mit dem Drogen transportiert wurden. Laut Tagesschau werden "den mutmaßlichen Mafiosi … bisher mindestens 23 solcher Transporte von jeweils 80 Kilogramm Kokain aus den Niederlanden nach England zur Last gelegt, wie die Kölner Polizei mitteilte".

Bei einem der Hauptverdächtigen, dem 45jährige Besitzer einer Pizzeria im nordrheinwestfälischen Brüggen (Kreis Viersen), schließt sich der Kreis zu den Duisburger Morden, wie RP-online berichtet: "Wie aus den Unterlagen der italienischen Polizei hervorgeht, soll es zudem Verbindungen zwischen den beiden Brüggener Betrieben und den Duisburger Mafia-Morden im Jahr 2007 mit sechs Toten geben. Auf einer Namensliste aus der Vergangenheit der beiden Betriebe in Brüggen tauchen sowohl Namen aus den Täter- als auch den Opferclans von 2007 auf."

RP-online beschreibt die Route und den Verlauf des Drogenhandels folgendermaßen.

Über die mittlerweile geschlossene Brüggener Pizzeria "La Piazza" und das gleichnamige Eiscafé soll die kalabrische Mafia ihren Kokaintransport nach Italien organisiert haben. Das legen Lagebilder der italienischen Polizei nahe. Aus den Papieren geht auch hervor, wie raffiniert die mutmaßlichen Täter bei dem Transport vorgegangen sein müssen: Aus Guyana und Surinam in Südamerika sollen die Drogen über niederländische Häfen nach Deutschland gekommen sein.

Ein Düsseldorfer Unternehmen bestellte tonnenweise Holzkohle - die mit flüssigem Kokain getränkt gewesen sein soll. Die Drogen sollen aus der Holzkohle herausgelöst und dann von Brüggen aus nach Italien weitertransportiert worden sein. Auch über ein Duisburger Eiscafé sollen Kokain-Transporte abgewickelt worden sein - laut Lagebericht soll es personelle Verflechtungen zwischen dem Duisburger Café und den beiden Betrieben in Brüggen geben.

rp-online

Wie die Süddeutsche recherchiert hat, ist "ihr wichtigster Geschäftszweig … der Drogenhandel, vor allem Kokain. Die 'Ndrangheta hat Filialen in allen maßgeblichen Herkunftsländern des Stoffs in Lateinamerika: Kolumbien, Bolivien, Peru. Sie bezieht die Ware vor Ort, bringt sie ins brasilianische Santos, wo sie verschifft wird, zunächst bis nach Westafrika, wo die Drogen zwischengelagert werden, bevor sie weitertransportiert werden in die großen europäischen Häfen in Rotterdam, Bremerhaven, Genua oder Gioia Tauro in Kalabrien - den Verteilzentren für den wichtigsten Absatzmarkt, den europäischen. Da die 'Ndrangheta Beziehungen zu den südamerikanischen Clans hat und sich immer wendig anpasst an die neuen Machtverhältnisse vor Ort, kauft sie das Kokain so billig ein wie keine andere Mafia der Welt. Die Marge beim Verkauf ist entsprechend groß".