Wirtschaftsmacht Mafia

Seite 3: Schwarzgeld treibt die Immobilienpreise hoch

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Bereits Anfang des Jahres gab es eine Razzia, die "Operation Stige", gegen die 'Ndrangheta, bei der in mehreren Ländern 169 Verdächtige verhaftet wurden, 14 davon in Deutschland. Den Mafia-Organisationen werden Schutzgelderpressung, Frauenhandel, Schleuserei und Drogenhandel vorgeworfen. Sie mischen zudem mit im Bereich der Lebensmittelpanscherei, z. B. Olivenöl, und betreiben lukrativen Handel mit Giftmüll.

Das durch diese Aktivitäten eingenommene Schwarzgeld wird ganz legal in den Wirtschaftskreislauf eingeschleust. Deutschland bietet sich aus zwei Gründen an: Zum einen funktioniert hier die Wirtschaft - im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern; gerade der Immobiliensektor ist sehr aktiv. Zum anderen herrscht hier eine sehr viel laschere Gesetzgebung als z. B. in Italien.

Investoren müssen nicht offenlegen, woher die Millionen stammen, mit denen sie ihre Immobilien finanzieren. Investoren, die über ein hohes Kapital verfügen, sind im Gegenteil höchst willkommen. Auch beim Fall des Verdachts der Geldwäsche dürfen keine Schritte wie z. B. Telefonüberwachung folgen. Auch ist Mitgliedschaft in einem Mafia-Clan in Deutschland kein Straftatbestand.

So kommt ganz unkompliziert zusammen, was aufgrund der kapitalistischen Wirtschaftsweise zusammengehört: Bedarf nach Wohnraum und solvente Investoren, die gern etwas größer denken, und denen es weniger um Wohnraum als um den Bau von lukrativen Geschäftshäusern geht. So werden Stadtteile, ja ganze Städte verändert - und ganz nebenbei die Mietpreise in die Höhe getrieben. Die Viertel werden angeblich aufgewertet. Hinzu kommt, dass die Mafia Preise bieten kann, bei denen andere nicht mithalten können.

Laut ZDF ist auch das Baugewerbe davon betroffen: Die Vergabe von Aufträgen, das Baumaterial, Stichwort Pfusch am Bau, selbst "die Löhne stehen im Schatten der Mafia". Mit anderen Worten: Die Clans schaffen es, die Bauaufträge zu ihrem Imperium gehörenden, oder ihnen untergebenden Firmen zuzuschanzen, die billiges Material verbauen und den Arbeitern einen Hungerlohn zahlen.

Der FR zufolge konzentriert sich die Aktivität der 'Ndrangheta "nach Angaben der DIA in Deutschland zurzeit auf den internationalen Handel, die Bauindustrie (vor allem bei öffentlichen Ausschreibungen), den Immobilienmarkt, den Tourismus und die Hotellerie". Die Geldgeber verstecken sich häufig hinter Konsortien.

Hintergrund dessen ist, dass die Mafia, insbesondere die 'Ndrangheta, auf gutes Einvernehmen mit Politik, Wirtschaft und Medien setzt. So z. B. Mario L., Wirt der Pizzeria "Mariuzzo" in Stuttgart, in welcher der Welt zufolge "in den 90er-Jahren baden-württembergische Politiker" speisten, "darunter der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende im Landtag und heutige EU-Kommissar, Günther Oettinger. (…) In den 90er-Jahren brüstete L. sich gern damit, dass er mit dem damaligen CDU-Fraktionschef und späteren Ministerpräsidenten Oettinger befreundet sei. Mario L. hatte der Landes-CDU damals Spenden in Höhe von mehreren Tausend Mark zukommen lassen, in seinem Lokal richtete er 'kalabrische Abende' für die Fraktion aus."

Mario L. gehört dem Clan Farao-Marincola an, der in mehreren Wirtschaftszweigen aktiv ist: Lebensmittel- und Weinhandel, in der Müllentsorgung und in Beerdigungsunternehmen. Dem Clan werden außerdem Korruption und Geldwäsche vorgeworfen. Bei der erwähnten Razzia Anfang Januar 2018 wurde auch Mario L. verhaftet; insgesamt gab es mehr als 160 Festnahmen, in Italien waren auch Politiker betroffen.

Da wäre es nicht verwunderlich, wenn auch hierzulande Bauaufträge bei "kalabrischen Abenden" ausgekungelt würden: Während wir uns im vorderen Teil des Lokals die mit von der Mafia diktiertem Mehl gebackene, von der Mafia geleiferten halb vergammelten Tomaten belegte, mit gepanschtem Olivenöl beträufelte und mit schimmeligem Käse, der mit ätzender Flüssigkeit geruchsneutralisiert wurde, bestreute Pizza schmecken lassen, tagen im Hinterzimmer die Honoratioren aus Politik und Wirtschaft und sprechen beim "kalabrischen Abend" reichlich dem von der Mafia gepanschten Fusel zu.

Als "Wirtschaftsmacht" bezeichnet die Mafia dem Bayerischen Rundfunk (BR) zufolge der Antimafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri in Catanzaro in Süditalien.

Schutzgelderpressung, Frauenhandel, Schleuserei, Drogen: Kriminalität schafft illegale Einnahmen und die werden in die legale Wirtschaft geschleust. Auch in Immobilien, wie die "Operation Stige" offenbart: es tauchen vier Beschuldigte in den Ermittlungen auf, die für "bestimmte Investitionen in Immobilien" ("specifici investimenti in proprietà immobiliari") zuständig sind. Und auch bei einer Telefonüberwachung während einer anderen Anti-Mafia-Operation stoßen die italienischen Ermittler auf eine Spur über Investitionen in deutsche Immobilien.

BR-Recherchen auf Basis zahlreicher offizieller Berichte aus Italien, vom EU-Parlament und der EU-Kommission, belegen alle: die italienische organisierte Kriminalität investiert ihr Geld in Deutschland, auch in Immobilien. Auf BR-Anfragen bei deutschen Ermittlungsbehörden und Ministerien, wo die Mafiagelder investiert sind, heißt es mal, man habe keine Erkenntnisse. Mal aber auch, es seien Investitionen in Immobilien bekannt. Wie kann die Mafia hier ungehindert investieren?

Der Bayerische Verfassungsschutz beobachtet die Italienische Organisierte Kriminalität, kurz IOK, seit Jahren. Der Präsident Burkhard Körner weist auf deren astronomisch hohen Jahres-Umsätze hin: 140 Milliarden Euro. Deutschland sei als Anlageort attraktiver als Italien, wegen stabilerer Verhältnisse und auch wegen höherer Renditen im Immobilienbereich.

136 Personen gibt es, die die Sicherheitsbehörden als gefährlich einstufen. Einige von ihnen mischen im Immobiliengeschäft mit: das sagt ein Informant, den wir in München bei unseren Recherchen für das BR-Magazin mehr/wert treffen. Er kennt einen Teil der Szene im süddeutschen Raum. Die Mafia kaufe Wohnungen und lege Geld in Immobilienfonds an.

Mafia-Käufe lassen Immobilienpreise explodieren, BR

Laut BR appelliert "Francesco Forgione, der ehemalige Vorsitzende der Anti-Mafia Kommission im italienischen Parlament, … dringend an Deutschland, die Kapitalströme zu untersuchen. Denn nach seinen Informationen haben italienische Clans in Deutschland in private - und Gewerbeimmobilien gigantisch hohe Beträge investiert."

Wenn kriminelle Organisationen auf dem Wohnungsmarkt mitbieten, könnten Bürger kaum mithalten, zitiert der BR weiter. Europol mache die organisierte Kriminalität für steigende Wohnungspreise mit verantwortlich.

Laut n-tv wird der deutsche Immobiliensektor "angesichts zahlreicher Schlupflöcher … zunehmend zum Ziel von milliardenschwerer Geldwäsche. Es werde vermehrt ausländisches Geld investiert, dessen Herkunft unklar sei, heißt es in Studie der Organisation Transparency International. 'Nach Schätzungen waren es allein 2017 über 30 Milliarden Euro'.

"Transparency schätzt, dass 15 bis 30 Prozent aller kriminellen Gelder inzwischen in Immobilien investiert werden - durch den Bau von Häusern über Sanierung bis hin zu Kauf, Verkauf und Miete. Oft geschieht das über Strohmänner, was die Aufdeckung schwierig macht", ist einem Zeit-Artikel zu entnehmen.

Transparency fordert, dass für Notare die Schweigepflicht bei einem Verdacht aufgehoben werden soll, da sie durch den Grundbucheintrag unmittelbar mit Kaufverträgen zu tun haben. Zudem müsse die geplante Digitalisierung und Zentralisierung der Grundbücher durch die Bundesländer beschleunigt werden, um mehr Transparenz zu schaffen. "Das zentrale Grundbuch muss öffentlich gemacht werden, um eine Prüfung von Eigentümern zu ermöglichen und so Geldwäscher abzuschrecken", fordert der Studienautor Markus Henn. Über Briefkastenfirmen werden oft die wahren Hintermänner und die Herkunft des Geldes verschleiert.

n-tv

Die Süddeutsche schreibt: "In einigen Teilen der Wirtschaft ist die Mafia eine richtige Macht. Im Baugewerbe beispielsweise. Gelernte Schafhirten steuern Scheinfirmen und prellen Staat und Sozialkassen um große Summen. Das fällt dann gewöhnlich, wenn es zum Prozess kommt, unter bandenmäßig betriebene Steuerhinterziehung. Kaum jemand würde dahinter die Mafia vermuten. Generell lässt sich feststellen, dass die Mafia - ähnlich wie in Italien - viele Anstrengungen unternommen hat, ins legale Wirtschaftsleben vorzudringen. Neben Baufirmen ist die italienische Mafia in einem Teil des Lebensmittelgroßhandels oder in der Gastronomie aktiv."

Der Tagesschau zufolge, gilt die "kalabrische 'Ndrangheta (…) inzwischen als die mächtigste italienische Mafia-Organisation. Sie dominiert den Drogenschmuggel nach Europa und ist auch in Deutschland aktiv. Nach Zahlen des Bundeskriminalamts vom April 2018 gehörten von 585 bekannten Mafiamitgliedern in Deutschland 344 der 'Ndrangheta an. (…) Ermittler in Italien warnen seit langem davor, dass die 'Ndrangheta ein außerordentlich wichtiges Standbein in Deutschland hat. Im Sommer erklärte die nationale Anti-Mafia-Behörde, dass die kalabrische Mafia hier ähnliche Strukturen aufgebaut habe wie in Italien. Der Hamburger Hafen sei für den Drogenhandel von 'besonderem Interesse' für die Clans".