Wirtschaftsmacht Mafia

"Justiz gegen die Mafia". Graffiti im italienischen Siracusa. Foto: Davide Mauro / CC BY-SA 4.0

Trotz einiger herber Rückschläge erwirtschaftet die italienische Mafia vor allem mit Drogenhandel satte Gewinne, die sie u. a. in der deutschen Immobilienbranche legalisiert

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Am Mittwoch, den 5. Dezember 2018, gelang es bei der "Operation Pollino", einer länderübergreifenden Razzia, der kalabrischen Mafia-Organisation 'Ndrangheta einen herben Schlag zu versetzen. In vier Ländern, Italien, Belgien, den Niederlanden und Deutschland, klickten die Handschellen, bis zur Pressekonferenz um 12 Uhr wurden insgesamt 84 Verdächtige festgenommen, 14 davon in Deutschland.

440 deutsche Fahnder durchsuchten allein 65 Objekte, 63 in Nordrhein-Westfalen und zwei in München. Im Rahmen der länderübergreifenden konzertierten Aktion wurden zusammengenommen Vermögenswerte im Wert von etwa 5 Millionen Euro beschlagnahmt. Davon 2 Millionen Euro Bargeld, außerdem 4000 kg Kokain und 140 kg Ecstasy-Pillen.

Solche Razzien sorgen einige Tage für Schlagzeilen, geraten dann aber wieder aus dem öffentlichen Bewusstsein. Die Mafia existiert für die meisten Deutschen nur als romantische Vorstellung aus beliebten Krimis, im realen Leben wird sie eher nicht zur Kenntnis genommen. Zum einen, weil die Gefahr völlig unterschätzt wird. So schreibt die deutsch-italienische Publizistin Petra Reski in einem ihrer Bücher über die italienische Mafia:

Ich erklärte, dass ein Europa ohne Grenzen nicht nur für Urlauber, sondern vor allem auch für die Mafia gelten würde. Und die Leser sahen mich an, als würde ich sie vor einer in der Ferne aufziehenden Giftwolke warnen. Eine Giftwolke, vor deren Auswirkungen sie jedoch nichts zu befürchten hätten, wenn sie das Haus nicht verlassen würden.

Petra Reski

Zum anderen, weil die Bürgerinnen und Bürger nicht direkt betroffen seien, sagte eine italienische Expertin in der ZDF-Doku "Die Paten von der Ruhr - Mafia-Paradies Deutschland".

Eine fatale Fehleinschätzung, denn Drogen bringen nur Geld, wenn sie auch verkauft werden. Drogensucht ist nach wie vor ein großes Problem in Deutschland, die Suchtmittel werden immer aggressiver, verunreinigt oder gestreckt. Mietenexplosion, Lohndumping, Pfusch am Bau und Korruption geht uns alle an, von den gesundheitlichen Folgen verunreinigter, gepanschter oder gestreckter Lebensmittel können wir alle betroffen sein. Außerdem sollte es uns nicht egal sein, wenn ganze Regionen in Italien mit unserem Giftmüll regelrecht verseucht werden.

Wie im Film

Es könnte tatsächlich eine "Tatort"-Folge mit Kommissar "Schimanski" sein: Zu Beginn des Films sind verkleidete Menschen zu sehen, Lachen, Stimmengewirr, ausgelassene Jugendliche, die rumalbern und sich mit Eiern bewerfen. Karneval in Kalabrien, eine Region im Süden Italiens. Eine Limousine fährt ins Bild. Ehrfürchtig treten die Menschen beiseite - nur einige der Jugendlichen nicht. Sie bewerfen die Luxuskarosse mit Eiern.

Die folgenden Minuten sind gespickt mit Szenen, in denen Menschen streiten, sich gegenseitig lautstark beschimpfen und heftig gestikulierend bedrohen. Die nächste Szene spielt auf einem Friedhof: Eine Frau wird zu Grabe getragen. Szenenwechsel. Duisburg. Dunkelheit. Stimmen sind zu hören. Aus einer Pizzeria scheint ein schwaches Licht auf den Gehsteig. Auf dem Bürgersteig davor ist silhouettenhaft eine Gruppe Männer zu erkennen. Unvermittelt sind Schüsse zu hören.

Die Silhouetten sacken in sich zusammen, dunkle Gestalten kommen heran, setzen jedem einzelnen eine Pistole an die Schläfe und drücken ab. Jeder der Männer wird regelrecht hingerichtet. Dann fahren die Mörder in einem Kleinwagen mit quietschenden Reifen davon. Erneuter Szenenwechsel: Schimmi hat seinen ersten Auftritt.

Es folgen 85 Minuten mit seinem rasanten und gewohnt brachialen Ermittlungsstil: Die Fäuste fliegen schon mal, es kommt zu der einen oder anderen Kabbelei mit Kollege Thanner, ein, zwei Mal schiebt er seine Dienstmarke über den Schreibtisch seines Chefs, der ihn entnervt vom Dienst suspendieren will und Klaus Lage singt im Hintergrund "Faust auf Faust".

So ganz nebenher fördert der rüpelige TV-Kommissar ein bis dato gut gehütetes Geheimnis zu Tage: Die kriminellen und gewalttätigen Umtriebe der italienischen Mafia, genau genommen der kalabrischen 'Ndrangheta, in Deutschland. Knapp 90 Minuten nach dem Eierwurf präsentiert der Vorgesetzte Schimanskis auf einer Pressekonferenz triumphierend 2 Millionen Euro Bargeld, 4.000 kg Kokain und 140 kg Ecstasy-Pillen.

Außerdem verweist er auf 90 Festnahmen in mehreren europäischen Ländern. Nicht ohne seinen herausragenden persönlichen Anteil an diesem Ermittlungsergebnis gebührend zu betonen. Ferner präsentiert er eine Liste mit Namen, die den Beweis dafür liefert, dass die Hauptakteure in diesem Drogenhandel auch mit den Morden in Duisburg in Verbindung stehen.

Die letzte Filmsequenz springt wieder nach Italien: Im Schritttempo fährt eine schwarze Limousine durch einen Ort, die Menschen machen ehrfürchtig Platz und grüßen ehrerbietig. Der Wagen fährt auf eine Gruppe rangelnder Jugendlicher zu … Dann erklingt die vertraute Filmmusik von Klaus Doldinger.

Mit einem Schlag war die Mafia ein Thema in Deutschland

Im wirklichen Leben hieß der ermittelnde Kommissar Heinz Sprenger und statt 90 Minuten vergingen von dem Eierwurf im kalabrischen Karneval 1991 bis zur länderübergreifenden "Operation Pollino" gegen die 'Ndrangheta am 5. Dezember 2018 fast 27 Jahre.

Sprenger ist inzwischen lange pensioniert. Aber seine Ermittlungen nach den Duisburger Morden, bildeten die Grundlage für alle Fahndungserfolge hinsichtlich der 'Ndrangheta in Deutschland. Dazwischen liegen mehrere Morde, der Aufbau internationaler Strukturen des Drogenhandels, weltweite Vernetzung, Geldwäsche, Geldanlagen in Pizzerien, Eisdielen und Bordelle, damit verbunden massive Einflussnahme auf das Immobiliengewerbe.

Am Anfang stehen ein paar Eier; am (vorläufigen) Ende die 90 Festnahmen und die 2 Millionen Drogengeld, Beschlagnahmung von Sachvermögen, außerdem ca. 4.000 kg Kokain sowie 140 kg Ecstasy-Pillen - und Duisburg ist der Dreh- und Angelpunkt dieser Geschichte. Zumindest in der (öffentlichen) Wahrnehmung der Mafia in Deutschland.

Alles beginnt mit einem Dummejungenstreich im kalabrischen Karneval: Ein paar Jungen bewarfen eine Limousine mit Eiern. Leider saß darin ein hoher Clanchef der 'Ndrangheta, der das offenbar persönlich nahm. Die Folge war eine Fehde unter verschiedenen Familien der 'Ndrangheta, deren vorläufiger Höhepunkt der Mord an Maria Strangio, Ehefrau eines Clanchefs, Weihnachten 2006 war.

Als Folge wiederum davon wurden am 15. August 2007 sechs junge Männer vor der Pizzeria "Da Bruno" in Duisburg zuerst niedergeschossen und dann einzeln mit einem Kopfschuss regelrecht hingerichtet. Der Jüngste von ihnen war 16 Jahre alt.

Die Frankfurter Rundschau (FR) schreibt, die Männer seien auf einer Feier anlässlich der Aufnahme eines neuen Familienmitglieds gewesen, die im Hinterzimmer des "Da Bruno" stattgefunden hätte. Ein übliches Procedere, diese Rituale in den familien-, bzw. firmeneigenen Lokalen auszuführen.

Durch diese Morde wurden die Behörden überhaupt darauf aufmerksam, dass die italienische Mafia auch in Deutschland aktiv war, bzw. ist. Bis dahin waren sie davon ausgegangen, dass Deutschland nur als Rückzugsort diente, z. B. um Mafiosi Unterschlupf zu gewähren, nach denen in Italien gefahndet wurde.

Zwar wurde die italienische Mafia auch mit Schutzgelderpressung, auch in Deutschland, in Zusammenhang gebracht, im Großen und Ganzen galt sie hierzulande jedoch als Stoff, aus dem die guten Krimis sind, wie z. B. "Der Pate". Spektakuläre Raubüberfälle und besonders brutale Gewaltverbrechen wurden als Einzelfall gewertet; niemand ahnte, dass dahinter organisierte kriminelle Strukturen stehen, schon gar nicht wurden die Verwandtschaftsverhältnisse der kalabrischen Mafia-Organisation 'Ndrangheta durchschaut.

Zu dem Zeitpunkt war die italienische Mafia, insbesondere die 'Ndrangheta, allerdings schon hyperaktiv. Mit Drogen-, Waffen- und Menschenhandel sowie illegaler Müllentsorgung, auch Giftmüll, verdient sie unvorstellbare Summen. Laut der erwähnten ZDF-Dokumentation dominiert sie mittlerweile den weltweiten Drogenhandel und Deutschland ist die logistische Basis dafür.

In den 1960er Jahren kamen die als billige Arbeitskräfte angeworbenen "Gastarbeiter", viele von ihnen aus Italien. Insbesondere die Industrie des Ruhrgebiets hatte Bedarf an Arbeitskräften, so dass sich an Rhein und Ruhr rasch italienische Communities bildeten. Diese brachten Pizzerien und Eisdielen nach NRW - und die Mafia. Die begann, Schutzgeld zu erpressen, sich so ein ökonomisches Fundament zu schaffen.

Die Lokale dienten gleichermaßen als Unterschlupf für Mafiosis, die in Italien wegen Gewaltverbrechen oder Raubüberfällen gesucht wurden, später als Drogenumschlagsplatz sowie als Basis und Treffpunkt für die Aktivitäten in der Diaspora.

Von dem erpressten, erbeuteten und durch Drogenhandel "erwirtschafteten" Geld wurden Zug um Zug Gebäude gemietet, bzw. gekauft, die 'Ndrangheta investierte nach der Wende u.a. in Immobilien im Osten, z. B. in Leipzig und in Erfurt, es wurden bundesweit Pizzerien, Eisdielen und auch Bordelle eingerichtet.

Auch dabei ist der Ausgangspunkt das "Da Bruno" in Duisburg: Anfang der 1990er Jahre arbeiteten dort der FR zufolge zwei Männer, einer ursprünglich aus der Toskana, der andere aus Kalabrien, die mit viel Geld - vermutlich aus San Luca - Restaurants, Cafés und Eisdielen in Berlin und Ostdeutschland eröffneten. Die Namen der beiden Männer dürfen nicht genannt werden, dafür hat ein gewiefter Anwalt gesorgt - bundesdeutsche Gerichte haben ihm Recht gegeben.

Die FR schreibt:

Unter ihrer Führung ist Erfurt zu einem der wichtigsten Knotenpunkte im europäischen 'Ndrangheta-Netzwerk aufgestiegen. Als der Clan Romeo vor einigen Jahren ein Restaurant im Zentrum von Rom kaufte, konnte die Erfurter Gruppe 1,3 Milliarden Euro dafür ausgeben. Die italienischen Ermittler versuchten jahrelang, die Quelle des Geldes zu finden. Vergeblich.

Die DIA (das Anti-Mafia-Dezernat im Rom, Anm. d. Verf.) vermutet, dass die Erfurter Gruppe bereits den Anschluss zu einigen wichtigen Entscheidungsträgern in der Politik und Wirtschaftswelt gefunden hat. Die Mafiosi wissen, dass man mit Zustimmung bessere Geschäfte macht als mit der Angst.

Und keiner weiß das besser als der Mann mit der dunklen Jacke. In seinen Restaurants sind oft Politiker, Unternehmer, Schauspieler und Sportler zu Gast. Für die Foto-Galerien auf den Webseiten der Restaurants lässt er sich gerne neben ahnungslosen Prominenten fotografieren. "Jedes Foto ist eine Kampfansage", hat Enrico Senatore, der römische Mafia-Ermittler, gesagt. "Die Botschaft lautet: Das ist unsere Welt, wir gehören hierher".

Die deutsche Öffentlichkeit hofiert den Mann mit der dunklen Jacke als Vertreter des Italian Style. Wegen seines Engagements in gemeinnützigen Projekten ist er in der Presse als Wohltäter und Mäzen gefeiert worden.

Frankfurter Rundschau