Wirtschaftsmacht Mafia

Seite 5: Die Frauen der Mafia

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In ihren Büchern beschreibt die im Ruhrgebiet geborene Venezianerin Petra Reski, wie sich die italienische Mafia im Laufe der letzten Jahrzehnte verändert hat, und wie diese sich insbesondere im Ausland, vor allem in Deutschland, vom blutrünstigen Killertrupp zu einem Club angesehener Geschäftsleute gemausert hat. Sie beschreibt auch, wie sich die Stellung der Frauen veränderte.

Auf dem Cover des Buches "Von Kamen nach Corleone - Die Mafia in Deutschland" ist zu lesen: "Sie berichtet, wie gut sich die Mafia seit 40 Jahren in Deutschland eingerichtet hat und wie sehr dies von deutschen Politikern ignoriert wird. Sie zeigt die Verflechtungen der Mafia mit Politik und Wirtschaft und erzählt vom verzweifelten Kampf Italiens um seine Demokratie."

Im Vorwort des Buches "Mafia - Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern" schreibt sie:

"Ich versuchte den Lesern klarzumachen, was ich von den Staatsanwälten in Reggio Calabria, Palermo und Neapel wusste: dass sich die Mafia bereits seit Jahrzehnten bestens an die Gegebenheiten in Deutschland angepasst hat - weil ein Mafiosi in Deutschland weder in öffentlichen Lokalen noch zuhause abgehört werden kann, weil Mafiazugehörigkeit im deutschen Recht anders als in Italien nicht strafbar ist und weil Geldwäsche in Deutschland ungleich einfacher ist, da der Mafioso in Deutschland keineswegs nachweisen muss, dass das von ihm investierte Geld aus sauberen Quellen stammt.

Anders als in Italien, wo mit dem Pio-La-Torre-Gesetz erreicht wurde, dass einer Person, die auch nur im Verdacht steht, zur Mafia zu gehören, die Güter konfisziert werden können. Ich sprach darüber, dass der Paragraph der kriminellen Vereinigung keineswegs den der Mafiazugehörigkeit ersetze, weil einer kriminellen Vereinigung ja die Vorbereitung eines speziellen Delikts nachgewiesen werden muss. Wobei sich die Mafia in Deutschland nur in Ausnahmefällen in die Gefahr eines konkreten Tatverdachts begibt - das Massaker von Duisburg im August 2007 war ein Betriebsunfall, den sie gerne wieder vergessen machen möchte."

"Bei Falcones (Giovanni Falcone war Italiens erster berühmter Anti-Mafia-Staatsanwalt, Anm. d. Verf.) Beerdigung zelebriert der italienische Staat das immer gleiche Ritual der Ohnmacht: Politiker bekräftigen wortreich ihre Entschlossenheit im Kampf gegen die Mafia - nachdem sie sich heimlich über die Sakristei in die Kirche geschlichen haben, um der Wut der Menschenmenge draußen zu entgehen", konstatiert sie in dem Buch "Rita Atria - eine Frau gegen die Mafia".

Allerdings sähen die Mitglieder der Mafia sich eher von selbiger verfolgt, die Mafia, das sei für sie der Staat, der die Clans für ihre Verbrechen zur Rechenschaft ziehen will. Da zeigt sich, wie fest die Frauen mit dem System verwoben sind:

"'Die Mafia, das sind die anderen, die mir meine Tochter genommen haben', erklärt Giovanna Atria, Ritas Mutter, die ihren Mafiosi-Ehemann ihr Leben lang gedeckt hat und ihre Tochter über den Tod hinaus hasste, weil sie auf ihre Art Rache für den Tod des Bruders und des Vaters an der Mafia nahm."

Rita Atria wurde nach dem Mord an ihrem Bruder zur Kronzeugin. "Die Mafia sind die anderen" - nach Ansicht von Giovanna Atrias sind es Polizei und Staatsanwaltschaft, denen ihre Tochter sich anvertraute.

"In der Camorra und in der 'Ndrangheta dagegen tragen die Frauen sogar echte 'Ehrentitel'", schreibt Hamed Abdel-Samad in seinem Buch "Mohammed - Eine Abrechnung":

Sie sind 'Schwestern des Schweigens'. Wie bei der Cosa Nostra und der Camorra tragen auch in Kalabrien die Frauen die Mafia-Kultur von Generation zu Generation weiter. Es sind die Mütter, die die Blutrache verlangen, das Gedenken an die Toten aufrecht erhalten und ihre Söhne für das Leben in der 'Ndrangheta vorbereiten. … Sie sorgen dafür, dass die patriarchalen Strukturen bestehen bleiben, die ironischerweise sowohl physische als auch psychische Gewalt gegen Frauen begünstigen.

Hamed Abdel-Samad, "Mohammed - Eine Abrechnung"

"In der Hierarchie der 'Ndrangheta sind die Frauen heute faktisch gleichberechtigt - speziell in der Planung eines Rachefeldzugs: Blut ruft nach Blut, heißt es in Kalabrien", so Petra Reski. "Ich erinnere mich noch an die Geste, die Staatsanwalt Nicola Gratteri machte, als er über die Frauen der 'Ndrangheta sprach. Er zog eine imaginäre Uhr auf: Die Frauen seien es, welche die Rachefeldzüge der Clans vorbereiteten, sie programmierten ihre Männer wie einen Zeitzünder.

Die Ermittlungen um die Morde von Duisburg bestätigten ein weiteres Mal, dass die Frauen des Clans sich keineswegs auf die Rolle der ahnungslosen Ehefrau beschränken, so wie man es aus dem jahrzehntelang sorgsam gepflegten Bild von der Mafiafrau kennt - deren einzige Schuld die Liebe sei, die sie für ihren Mann und die Kinder empfinde. Die Frauen des Clans, so betonen die Fahnder, seien keineswegs passive Opfer des blutigen Clankriegs, sondern Protagonistinnen. Sie transportieren Waffen für ihre untergetauchten oder verhafteten Männer, sie planen Verbrechen, überbringen Botschaften und bedienen sich der Medien. Die Frauen sind die andere Hälfte der Mafia - der sie wiederum ihren Wohlstand, ihr Ansehen und ihre Macht verdanken. Die sie unter allen Umständen erhalten wollen.

Petra Reski

Als im Februar 1986 in Italien der sogenannten Maxi-Prozess gegen die Mafia begann, waren es Ehefrau, Mutter, Schwestern und andere weibliche Mitglieder des Clans eines inhaftierten Mafiosi, der mit der Polizei kollaborieren und gegen die Mitangeklagten aussagen wollte, die geschlossen im Gerichtssaal aufmarschierten und lautstark verkündeten: "Das ist nicht mein Mann", "Das ist nicht mein Sohn", Das ist nicht mein Bruder", … So übten sie machtvoll Druck auf den Mann aus, damit dieser bei der Stange blieb und nicht zum "Pentito", zum Verräter wurde und die "Omertà", das eherne Gesetz des Schweigens brach. Denn dann hätten die Frauen alles verloren: Wohlstand und Ansehen - und ihr eigenes Leben wäre bedroht gewesen.

Auch der SPIEGEL erinnert an den "Fall Rita Atria": "Die 18jährige, die aus einem bekannten Clan in der Nähe der sizilianischen Hafenstadt Trapani stammte, hatte sich dem Staatsanwalt Borsellino anvertraut. Als der umgebracht wurde, stürzte sich Rita aus dem Fenster ihres römischen Verstecks zu Tode. Sie habe ihren einzigen Schutz verloren, schrieb sie in ihrem Abschiedsbrief. Keiner aus ihrer Familie nahm an ihrer Beerdigung teil. Als der kleine Grabstein mit dem emaillierten Foto des Mädchens errichtet worden war, eilte Ritas Mutter mit einem schweren Hammer auf den Friedhof und zertrümmerte die Gedenkstätte."

Rita Atria ist allerdings das Beispiel dafür, dass Frauen nicht nur die Mafia stützen, sondern dass es Frauen waren, die der sizilianischen Cosa Nostra, wenngleich sie sie nicht zu Fall brachten, so doch erheblichen und nachhaltigen Schaden zufügten. Die "Pentiti" (Verräterinnen) Piera Aiello-Atria, Rita Atrias Schwägerin, Roslaba Triola, Ehefrau des Mörders von Nicola Atria, Bruder von Rita und Ehemann von Piera sowie die Staatsanwältinnen Morena Plazi und Alessandra Camassa, Letzere eine junge Mutter, die mit ihrer Familie unter ständigem Polizeischutz lebte - und sich trotzdem nicht sicher sein konnte, dass ihnen nichts geschieht.