Wirtschaftsvertreter dominieren in Hochschulräten

Über die neu eingerichteten Hochschulräte gewinnen Wirtschaftsvertreter immer größeren Einfluss auf das Bildungssystem

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1999, ein Jahr nachdem die Novellierung des Hochschulrahmengesetzes den Weg für eine grundlegende Neuorganisation der Fachhochschulen und Universitäten freigemacht hatte, wurde intensiv über die Rolle der Hochschulräte bei der „institutionellen Selbstverantwortung“ diskutiert. Nach Ansicht des damaligen Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz, Klaus Landfried, sollten sie vor allem „der gesellschaftlichen Mitwirkung durch engagierte Fachleute in grundsätzlichen wissenschaftsbezogenen und hochschulorganisatorischen Fragen“ dienen. Hochschulräte, so Landfried, könnten dem Dialog mit der Gesellschaft wichtige Impulse verleihen und dabei helfen, die Hochschulen mit neuen Leitungs- und Organisationsstrukturen auszustatten.

Wolf-Michael Catenhusen, seinerzeit parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, sah in den Hochschulräten „Instrumente zur Stärkung des Netzwerks zwischen Hochschulen und Gesellschaft im Sinne von Verzahnung und Beratung“, und Michael Sieber, Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg, befürchtete ausdrücklich „keine Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit“ und erwartete - „im Gegenteil“ und stattdessen - „erhebliche zusätzliche Chancen für die Entwicklung der Wissenschaft“.

Qualitätsmanagement und Erfolgskontrollen

Acht Jahre und mehrere Dutzend Hochschulräte später sehen die Befürworter einer weitgehenden Ökonomisierung des deutschen Hochschulsystems den Besuch aus der Wirtschaft noch immer positiv. „Manager erobern Kontrolle an den Unis“ jubelte das „Handelsblatt“ Ende letzter Woche und geriet nachgerade ins Schwärmen, wie Unternehmensberater Roland Berger und Münchner Rück-Chef Nikolaus von Bomhard im Hochschulrat der designierten Eliteuniversität München „wirken“, während BMW-Vorstandsvorsitzender Norbert Reithofer und Quandt-Erbin Susanne Klatten an der benachbarten TU München „ihren Einfluss geltend machen“.

Das Blatt zitierte Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger, der unter anderem im - Kuratorium genannten - Hochschulrat der Freien Universität Berlin tätig ist, mit einem Aufgabenkatalog der Manager, die nun auch als Aufsichtsräte deutscher Bildungseinrichtungen gefordert werden. Sie sollen helfen, an Universitäten und Fachhochschulen „ein Qualitätsmanagement aufzubauen“ und Erfolgskontrollen einzurichten, „damit am Ende auch gute Studiengänge und Absolventen stehen.“ Zudem erwartet Sattelberger, der nach Einschätzung des "personalmagazins" bei der Telekom einen „Feldzug“ gegen „sozialromantische Gefühlsduselei“ führt, dass die Hochschulräte „ein Profil schaffen und damit eine Marke aufbauen“, aber auch an der Entwicklung eines leistungsorientierten Entlohnungssystems „bis hin zu Rat und Tat in der Tarifpolitik“ mitwirken.

Die „gesellschaftliche Mitwirkung durch engagierte Fachleute“, die Ende der 90er Jahre gefordert wurde, hat längst ihre eigene Dynamik entwickelt. Denn die Wirtschaftsvertreter, die ihre Zeit der Gremienarbeit opfern, verfolgen in aller Regel klare Ziele, die den Grundsätzen marktwirtschaftlichen Denkens und der eigenen Unternehmensphilosophie verpflichtet sind. Sie beteiligen sich an der konkreten Hochschulpolitik, wollen aber auch Einfluss auf die Festlegung der Qualitätsstandards, Personalpolitik und Schwerpunktthemen nehmen, ein Mitspracherecht bei der Definition von „guten Studiengängen und Absolventen“ erhalten und schließlich Erfolgskontrollen durchsetzen, die Aufschluss darüber geben, ob sich Einsatz und Aufwand auf allen Seiten gelohnt haben.

Erheblicher Einfluss von Wirtschaftsvertretern

An der Universität Duisburg-Essen beschäftigt sich Werner Nienhüser, Inhaber des Lehrstuhls für Personalwirtschaft, seit einiger Zeit intensiv mit der Besetzung der Hochschulräte und den Einflussmöglichkeiten von Wirtschaftsvertretern auf hochschulpolitische Entscheidungsprozesse. Ende August wurde das erste Ergebnis einer Analyse von 57 Hochschulräten mit 463 Mitgliedern in zwölf Bundesländern bekannt gegeben. Demnach stellen die Hochschulmitarbeiter mit 41 Prozent zwar die größte Gruppe, doch schon jetzt kommen 33 Prozent der Ratsmitglieder aus Unternehmen oder Unternehmerverbänden. Im Kreis der Hochschulratsvorsitzenden ist die Tendenz noch offensichtlicher. Fast jeder zweite gehört zur Fraktion der Wirtschaftsvertreter, in rund 80 Prozent dieser Fälle handelt es sich gleich um Aufsichtsrats- oder Vorstandsmitglieder. Zum Vergleich: Von den Gewerkschaften kommt nur ein Prozent der Hochschulratsmitglieder und kein einziger Vorsitzender. An Hochschulen, die hohe Drittmittel aus der Wirtschaft einwerben, werden Sachzusammenhänge und Interessengemeinschaften besonders deutlich. Denn in ihren Hochschulräten ist der Anteil der Wirtschaftsvertreter an allen externen Mitgliedern „überdurchschnittlich hoch“.

Das Fazit dieser ersten und noch wenig detaillierten Untersuchung lässt an Eindeutigkeit bereits wenig zu wünschen übrig.

Diese ersten Befunde stützen die Vermutung, dass der Einfluss von Wirtschaftsvertretern erheblich ist und dass die Abhängigkeit einer Universität von ihren Finanzierungsquellen einen deutlichen Einfluss darauf hat, wie ihr Hochschulrat zusammengesetzt ist.

Universität Duisburg-Essen, August 2007

Falsch berufen, schlecht beraten – Der Fall Gertrud Höhler

Dass Mitglieder des Hochschulrates nicht in jedem Fall dazu beitragen, das Image einer Universität aufzupolieren, ihr Profil zu schärfen und erstklassige Kontakte zu potenziellen Geldgebern herzustellen, weiß die Universität Paderborn spätestens seit dem letzten Frühjahr. Im April 2007 wurde hier die Germanistin, Politik- und Unternehmensberaterin Gertrud Höhler in den Hochschulrat berufen. Die Nominierung stieß vielerorts auf Unverständnis, denn Höhler musste ihre Professur an eben dieser Universität 1993 niederlegen, nachdem Kollegen und Studenten moniert hatten, sie vernachlässige infolge zahlreicher externer Aktivitäten ihre eigentlichen Lehrverpflichtungen. Die Kritisierte, die den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, bereits Ende der 80er Jahre in Fragen der Öffentlichkeitsarbeit unterstützt hatte, sprach von „Mobbing“ und widmete sich fortan noch intensiver ihrer Beratertätigkeit für Helmut Kohl oder Dieter Althaus und ihren Aufgaben bei Grand Metropolitan PLC, CIBA Specialty Chemicals, Bâloise Insurance oder der Georg Fischer AG.

Kaum zu glauben, dass Gertrud Höhler Anfang der 60er Jahre in ganz anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen zuhause war und es deshalb auch zu einer kleinen Rolle in Henner Voss´ Buch Vor der Reise. Erinnerungen an Bernward Vesper brachte.

An einem Wochenende machte ich Miehe (gemeint ist der Dichter Ulf Miehe, Anm. d. Red.) in Wuppertal mit Gertrud Höhler bekannt, die Germanistik studierte, Gedichte schrieb, attraktiv war und noch nicht so trostlos verblödet und reaktionär. (...)
Miehe verliebte sich in sie, und 1962 veröffentlichte das Dichterpaar im Selbstverlag ein achtzehnseitiges Bändchen mit Gedichten, eine Hälfte Höhler, andere Hälfte Miehe.

Henner Voss

Im April dieses Jahres machte sich die exlinke Exlyrikerin nun also auf in den Hochschulrat der Universität Paderborn. Doch die Freude über die Rückkehr der verlorenen Tochter währte nicht lange. Anfang Mai berichtete die in Chemnitz erscheinende „Freie Presse“, Höhler habe in Zwickau zwei Büroräume an den sächsischen NPD-Abgeordneten Peter Klose vermietet, der ebendort ein Wahlkreisbüro eröffnen wollte. Klose war für Matthias Paul, gegen den wegen des Verdachts der Verbreitung und des Besitzes von Kinderpornographie ermittelt wurde, in den Landtag nachgerückt (Braune Schwindsucht an der Elbe) und brachte seine neue Vermieterin umgehend in Erklärungsnöte.

Universitäts-Rektor Nikolaus Risch, der vor wenigen Tagen vom Hochschulrat zum Präsidenten gewählt wurde, und der Hochschulratsvorsitzende Winfried Schulze gingen zunächst davon aus, dass Gertrud Höhler erst aus den Medien von den näheren Umständen der Vermietung erfahren habe, mussten dann aber feststellen, dass ihr neues Ratsmitglied „bereits bei Abschluss des Mietvertrags Mieter und Zweck der Anmietung kannte“. Risch, Schulze und der nordrhein-westfälische Wissenschaftsministers Andreas Pinkwart forderten Höhler daraufhin auf, „sich aus der Arbeit des Hochschulrats zurückzuziehen“.

Doch die 66Jährige dachte nicht daran, der Aufforderung nachzukommen. „Es geht nicht um Gerechtigkeit, es geht um Vernichtung“, erklärte sie und zog es ansonsten vor, sich nicht weiter zum Sachverhalt zu äußern. Der Hochschulrat erwog nun den gemeinschaftlichen Rücktritt, doch bis heute ist nichts dergleichen geschehen, ohne dass sich allzu viele Beteiligte darüber zu wundern scheinen. Zum Start des Wintersemesters unternahm nur die grüne Landtagsabgeordnete Sigrid Beer den Versuch, auf das ungelöste Problem hinzuweisen.

Frau Höhler tritt nicht zurück, kann die Vorwürfe nicht ausräumen, taucht auf, wie es ihr passt und bleibt dem Hochschulrat erhalten. Der Minister will das Problem weiter aussitzen. (…) Die Universität bleibt auf dem Schaden sitzen.

Sigrid Beer

Die NPD bemüht sich derweil, aus den Vorgängen in Paderborn politisches Kapital zu schlagen. Unter der Überschrift „Bleiben Sie standhaft, Frau Höhler!“ verglich der Fraktionsvorsitzende im Sächsischen Landtag, Holger Apfel, die Rücktrittsforderungen mit den „Terror-Säuberungen in der frühen Sowjetunion oder im maoistischen China“.

Die unternehmerische Universität

Die Affäre Höhler ist ein Einzelfall und doch symptomatisch für eine allemal bedenkliche Entwicklung. Durch das im Herbst 2006 beschlossene Hochschulfreiheitsgesetz hat der nordrhein-westfälische Landtag den neuen Hochschulräten umfassende Machtbefugnisse eingeräumt, die mit kleineren Variationen auch in anderen Bundesländern – mit Ausnahme des hochschulratsfreien Bremen – gelten. Doch wer kontrolliert nun das Kontrollgremium und sorgt für Transparenz bei den wichtigen Entscheidungsprozessen? Nachdem die Gremien von zwei Vertretern des Senats, die nicht dem Präsidium angehören, zwei Vertreten des bisherigen Hochschulrats und einem Vertreter des Landes mit zwei Stimmen gewählt wurden (Hochschulfreiheitsgesetz NRW, § 22), sind sie niemandem mehr rechenschaftspflichtig.

Solange die potenziellen Mitglieder der Hochschulräte aber nicht öffentlich benannt und gewählt werden, die Möglichkeit einer Abwahl erst gar nicht vorgesehen ist und von einer Haftung für die Folgen etwaiger Beschlüsse ebenfalls keine Rede sein kann, entziehen sich die Räte grundlegenden demokratischen Spielregeln und schränken die angestrebte Autonomie einer selbstbestimmten Hochschule mehr ein als dass sie die Handlungsspielräume erweitern würden.

Doch genau das ist augenscheinlich gewünscht. Innovationsminister Pinkwart und viele seiner Partei- und/oder Gesinnungsfreunde wollen „eine neue Ära in der Hochschulpolitik“ einleiten, die gerade nicht auf eine Selbstverwaltung der unmittelbar Beteiligten setzt. Der Einfluss von Studierenden und Hochschulmitarbeitern in früheren Entscheidungsgremien wie Senat oder Fachbereichsrat wird zurückgedrängt, zeitgleich müssen die Hochschulräte mindestens zur Hälfte aus „Externen“ zusammengesetzt werden, die geeignet sind, die Hochschulen – O-Ton Pinkwart – „unternehmerischer“ zu führen.

Schon die Wortwahl erinnert an den Stanford-Professor Hans N. Weiler, der sich am 14. April 2005 in Wien zum Thema „Profil – Qualität – Autonomie. Die unternehmerische Universität im Wettbewerb“ äußerte. In seinem Vortrag skizzierte Weiler bereits unmissverständlich die Ziele und möglichen Gegner einer nach den Grundsätzen wirtschaftlicher Effizienz agierenden Hochschule.

Die Schaffung eines erkennbaren Profils, die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit, das Aufstellen und Einlösen von Prioritäten für die Hochschule – alles das erfordert eine Mobilisierung aller Mitglieder der Hochschule in Richtung auf ein gemeinsames Ziel. Dem aber steht vielfach – als hehre Hinterlassenschaft der europäischen Hochschultradition – das Recht des einzelnen Hochschullehrers auf die autonome Entfaltung seiner wissenschaftlichen Persönlichkeit im Wege, das sich nicht so ohne Weiteres in ein institutionelles Profil einschmelzen lässt.

Hans N. Weiler

Von Entscheidungen schlicht überfordert

Immerhin benannte selbst Weiler, der auf seiner Homepage wohl nicht ganz zufällig neben Detlev Müller-Böling, Leiter des Bertelsmann nahen, an der Entwicklung des nordrhein-westfälischen Hochschulfreiheitsgesetzes maßgeblich beteiligten Centrum für Hochschulentwicklung, zu besichtigen ist, vor zwei Jahren Grenzbereiche der neoliberalen Hochschulsanierung, in denen ein sinnerfülltes und erfolgreiches wissenschaftliches Arbeiten nicht mehr möglich ist.

In dem Maße, in dem diese drei Kernbedingungen – Qualität, Profil, Autonomie – kompromittiert werden, verkommt die unternehmerische Universität zur kommerzialisierten Universität. Wo der Primat von wissenschaftlicher Qualität dem Diktat der wirtschaftlichen Rentabilität weicht, wo das wissenschaftliche Profil einer Hochschule sich nach Gesichtspunkten der wirtschaftlichen Opportunität und nicht nach ihren wissenschaftlichen Stärken richtet, und wo man Autonomie zwar vom Staat erreicht hat, aber sich dafür in neue Abhängigkeiten von solventen Sponsoren begibt – überall da ist die unternehmerische Universität akut gefährdet.

Hans N. Weiler

Wie weit wir von diesem hochschulpolitischen Schreckensszenario noch entfernt sind, lässt sich nur mutmaßen. Allerdings gibt es für die Interessenvertreter in Hochschulräten möglicherweise auch natürliche Grenzen. Wolfgang Lieb - früher Regierungssprecher und Staatsekretär in Nordrhein-Westfalen, heute Mitherausgeber der Nachdenkseiten – hat im Rat der Fachhochschule Koblenz einige bemerkenswerte Erfahrungen gesammelt.

Mit der überwiegenden Mehrheit meiner Hochschulratskolleginnen und –kollegen bin ich zur festen Überzeugung gekommen: Ein ehrenamtlicher Hochschulrat ist mit seinen ihm per Gesetz zugestandenen Kompetenzen schlicht überfordert. Es werden ihm Entscheidungen abverlangt, die er guten Gewissens nicht aus eigner Anschauung verantwortlich und sachbezogen treffen kann. Die jeweiligen Entscheidungen leiten sich allenfalls aus dem jeweils persönlichen Vorurteil oder Interessensbezug ab oder man folgt lieber gleich dem Vorschlag des Präsidente.

Wolfgang Lieb

Schade nur, dass im Moment nicht davon ausgegangen werden kann, diese Selbsterkenntnis könne flächendeckend ansteckend wirken.