Wissen und Waffen: Wiederherstellung der alten Größe der islamischen Kultur
Der Premierminister von Malaysia hat zu einer Konferenz der Islamgelehrten geladen; die islamische Welt soll dem Westen durch Einheit der Religion, Zuwendung zur Wissenschaft und militärischer Aufrüstung Paroli bieten
In Malaysia tagt die Ulama, die Gemeinschaft der Islamgelehrten. Malaysia hat zur ersten Weltkonferenz dieser Art in die neugegründete Verwaltungshauptstadt Putrajaya im Multimediakorridor geladen. Über 900 Teilnehmer - Geistliche und Gelehrte - aus 33 Ländern sind gekommen, um über die Zukunft des Islam zu sprechen. Premierminister Mahathir Mohamad hat in seiner Eröffnungsrede zu einer Art des Kampfs der Kulturen aufgerufen. Um die eigene Kultur in ihrer alten Größe wiederherzustellen, müssten sich die islamischen Länder mit Wissen und Waffen ausstatten.
In der von Premierminister Mahathir Mohamad seit 1981 autokratisch geführten konstitutionellen Monarchie ist der Islam Staatsreligion. Mahatir verfolgt den Plan, Malaysia durch ehrgeizige Projekte wie dem Multimediakorridor, der ein staatlich gegründetes Silicon Valley werden soll, bis 2020 zu den Industrienationen aufschließen zu lassen und zu einer wissensbasierten Gesellschaft zu machen (CyberMalaysia oder Malaysia Incorporated sowie Das Internet in Malaysia). Den neuen Technologien gegenüber aufgeschlossen, will Mohamed aber auch die islamische Kultur fördern und erneuern - und damit in Wettstreit mit den westlichen Industrieländern und ihrer Kultur treten. Damit gibt es trotz aller wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und technischen Öffnungen eine kritische Haltung zur vom Westen dominierten Globalisierung und den Wunsch, sowohl die muslimische Weltgemeinschaft, die Ummah, als auch die asiatische Staatengemeinschaft zu stärken.
Um seinen Weg der Vereinbarkeit von Modernisierung und Religion - Informationstechnologie + islamische Kultur - stärker zu machen und dafür zu werben, hat der Premierminister, der sich im Oktober aus der Politik zurückziehen wird, die Ulama in sein Land und in seine neue IT-Hauptstadt geholt, die als Vorbild und Zugpferd einer digitalen, vernetzten Gesellschaft dienen soll. Themen der dreitägigen Konferenz, mit der Mahathir Mohamed wohl eine Botschaft hinterlassen will, werden u.a. (fundamentalistische) Fehldeutungen der Religion, die Vermehrung extremistischer Ideologie, die Wahrung der Menschenrechte oder der Kampf gegen die Armut und Rückständigkeit in islamischen Ländern sein.
Mohamed hat zwar nach dem 11.9. den von der US-Regierung geführten Kampf gegen den Terrorismus unterstützt, gleichzeitig aber dessen Einseitigkeit und den Afghanistan- und Irak-Krieg scharf kritisiert. Dass die muslimischen Länder den Irak-Krieg nicht verhindern konnten, sieht er als eine Demütigung und als Zeichen ihrer Schwäche an. Den USA und insgesamt dem Westen wirft er vor, den Kampf gegen den Terrorismus auch dazu zu benutzen, zu einer alten Politik der Macht und Gewalt zurückzukehren. Die Muslims würden, obwohl es eine Milliarde Menschen dieses Glaubens gebe, von nicht-muslimischen Staaten unterdrückt und im Krieg geschlagen, da die muslimische Gemeinschaft schwach und zerrüttet sei. Der Prophet Mohammed sei schon als Terrorist bezeichnet worden. Auch wenn Muslims selbst unter dem Terrorismus leiden, so würden einzig sie mit ihm verbunden, während man nichts von christlichen, hinduistischen, buddhistischen oder jüdischen Terroristen höre.
Daran erinnerte er in seiner Rede, wenn er die muslimischen Länder dazu aufrief, sich nicht zum beliebigen Opfer einer Politik zu machen, die den Islam mit dem Terrorismus verbindet. Die Muslime auf der ganzen Welt würden die Gefahren sehr wohl kennen, denen sie gegenwärtig ausgesetzt sind, weil die islamischen Staaten zu schwach seien, sich diplomatisch oder militärisch zu verteidigen. Aber er warnt davor, als Reaktion zum Mittel des Terrorismus zu greifen und den Islam zu sehr zu politisieren:
Unsere Rettung wird nicht durch das blinde Töten von Unschuldigen erreicht. Wir sollten einen langfristigen Entwicklungsplan ausarbeiten und umsetzen und auf allen Gebieten gut sein. Unsere Rehabilitierung wird lange Zeit benötigen. Wir müssen geduldig sein. ... Wir müssen der Welt beweisen, dass der Islam kein Hindernis für den Fortschritt ist, dass der Islam eine Religion für alle Zeiten ist, dass der Islam eine Religion des Friedens und der Stabilität ist, dass der Islam in einer Welt existieren kann, in der die Muslime nur ein Sechstel der Menschheit ausmachen.
Auch im Westen wird nicht nur wieder die Wertegemeinschaft des transatlantischen Bündnisses betont, sondern auch die Notwendigkeit, diese militärisch weltweit verteidigen zu können. Weil der Westen mit der Supermacht USA derzeit übermächtig und die islamische Welt zersplittert ist, erinnert Mahathir Mohamed, dass das muslimische Reich einst eine bedeutende globale Macht gewesen ist - militärisch, kulturell und wissenschaftlich. Der aber lag Einheit zugrunde:
Es gab nur einen Islam, der vom Propheten Mohammed stammt. Heute gibt es jedoch Hunderte sogenannter islamischer Lehren, wie sie von ihren Anhängern genannt werden.
Nicht der Islam selbst, sondern die Missdeutungen, die zu dessen falscher Politisierung führten, seien Schuld an der Rückständigkeit der muslimischen Welt. So würden zwar die Selbstmordattentäter als Märtyrer geehrt, aber Wissenschaftler und Techniker nicht geachtet, die die militärische Verteidigung ermöglichen. Daher ist es für ihn wichtig, die Renaissance des Islam zunächst über eine Wiederherstellung einer gemeinsamen Auslegung herzustellen, die gemäßigt, liberal und offen gegenüber dem Fortschritt ist und den Terrorismus ablehnt. Ganz entscheidend aber sei für den Fortschritt eine bessere Ausbildung, die auf der Koexistenz von Wissen und Religion basiert. Auch in Malaysia erstarkt ein fundamentalistischer Islam, der sich beispielsweise politisch in der von geistlichen Geführten PAS-Partei äußert.
Die Muslims hätten nicht versucht, nach dem Niedergang des Islam im 15. Jahrhundert, ihre Gegner im Wissen wieder einzuholen und zu überholen, sie hätten aber auch keine Kapazitäten der Waffenproduktion ausgebildet und keine "disziplinierten und gut ausgebildeten Streitkräfte zur Verteidigung" geschaffen. Sie würden aber niemals "die Ehre und die Anerkennung für den Islam wiederherstellen können, wenn sie nicht wieder imstande sein werden, sich zu verteidigen". Religiöse Einheit, Wissenschaft, Ausbildung und militärische Aufrüstung sind also die Grundlagen für die Renaissance des der islamischen Kultur, durch die die Muslime aus der gegenwärtig existierenden "Demütigung" herausgeführt werden können. Zumindest ist das ein wichtiger Kern der Botschaft von Mahathir Mohamed, der die These vom "Kampf der Kulturen" (Freiheit stirbt mit Sicherheit) aufgreift und zu einer islamischen Fortschrittsvision verwendet:
Wir müssen imstande sein, Angst im Herzen unserer Feinde auszulösen, um uns zu verteidigen, nicht als Angreifer, sondern um uns zu verteidigen.