Wissenschaft und die Geschlechterunterschiede
Seite 2: Wie Geschlechtsidentität entsteht
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- Wie Geschlechtsidentität entsteht
- Systematische Nachteile für Männer
- Sind Frauen doch anders als Männer?
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Korrekt ist, dass geschlechtsangleichende Operationen, wie sie bis vor wenigen Jahrzehnten in undeutlichen Fällen bei Babys durchgeführt wurden, manchmal nach hinten losgingen: Nämlich insofern, als einige der Betroffenen sich im Erwachsenenalter gegen das ihnen per Seziermesser zugewiesene Geschlecht entschieden. Korrekt ist aber auch, dass der Sexologe John W. Money (1921-2006), der als Erster den Gender-Begriff prägte, der Geschlechtsidentität eine hohe Plastizität zumaß.
Gestützt auf Verhaltensuntersuchungen behauptete er, bis zum Alter von 18 Monaten lasse sich beinahe beliebig ein bestimmtes Geschlecht anerziehen. Das gilt heute zwar als überholt, dennoch war es schon in den 1950ern Stand der Forschung, dass neben sechs biologischen auch ein sozialer Faktor das Geschlecht prägt. Die heutige Genetik geht ebenfalls von einer Wechselwirkung von Genen und Umwelt aus. Manche lösen gar den binären Geschlechtsbegriff durch ein Spektrum der Geschlechter auf.
Mit Blick auf Geschlechtsunterschiede vor allem vom pränatalen Testosteron zu sprechen, wie Damore es tut, war also bereits vor rund 60 Jahren durch Forschung als unterkomplex entlarvt. Die Forschung der heutigen Zeit weiß es dann noch einmal besser.
"Weiße Machomännerkultur"
Wie gesagt, wenn man tief in die Forschung einsteigt, wird es schnell sehr kompliziert. Brigitte Gärtner diskutiert aber nicht nur die wissenschaftlichen Aspekte, sondern kritisiert auch die Kultur "weißer Männer". An dieser lässt sie kaum ein gutes Haar. Diese Exemplare der Spezies homo sapiens erzeugten eine giftige Umgebung - eine sogenannte "Toxic Masculinity" -, in der es Frauen besonders schwer hätten. Nebenbei: "weiß" und "männlich", sind das keine biologischen beziehungsweise ethnischen Kategorien? Soll Verhalten unter anderem Vorzeichen also vielleicht doch biologisiert werden, Frau Gärtner?
Gewundert habe ich mich über ihren Verweis auf Burschenschaften, Macho-Clubs und "Old-Boys-Networks". Wie viele Männer müssten denn in solchen Gruppierungen Mitglied sein, um korrekterweise von einer "männlichen Kultur" zu sprechen? Und wie viele sind es tatsächlich? Geht es hier nicht nur um eine Minderheit von Männern, die sich in dieser Form organisiert? Wo sind hier die Zahlen, um das Argument empirisch abzusichern?
Wie viele Männer gehen wohl ins "Blascafé"?
Die Kritik an einer Männerkultur kulminiert in dem Hinweis auf Cafés, in denen "Machertypen à la Damore" - bitte schauen Sie sich ihn einmal selbst an, zum Beispiel hier - "sich zum Espresso schnell mal einen blasen lassen können." Solche Etablissements, von denen ich übrigens noch nie etwas gehört habe, sprössen, so Gärtner, "wie Pilze aus dem Boden." Ich bin ihrer Quelle nachgegangen: Dort heißt es, es handle sich lediglich um ein Konzept für ein Café, also eine Geschäftsidee.
Davon abgesehen, was bewiese das Vorhandensein solcher Etablissements? Ich persönlich fühle mich von der Vorstellung, intimen Kontakt mit einem Menschen zu haben, mit dem man nicht spricht, den man nicht anfassen oder küssen darf, den man vielleicht noch nicht einmal sieht, angewidert. Darauf zu schließen, dies sei typisch männlich, wäre ähnlich falsch wie der Schluss, weil drei Frauen Probleme mit dem Einparken haben, könnten alle Frauen nicht einparken. Da hätten Feministinnen sicher etwas dagegen; zu Recht!
Weitere Fehldarstellungen
Ähnliche Einseitigkeiten ließen sich über ihre Darstellung gewalttätiger Männer - deren Opfer sind immerhin hauptsächlich Männer (Wer ist hier eigentlich das typische Opfer?) - oder des akademischen Werdegangs von Frauen sagen.
Maßnahmen der Frauenförderung etwa, wie sie seit vielen Jahren Akademikerinnen offen stehen, scheinen der Autorin völlig unbekannt zu sein. Auch das Geschlechterverhältnis über Aktivität in Sozialen Medien ist in ihrem Artikel verkehrt wiedergegeben. Frauen sind auf vielen dieser Plattformen aktiver als Männer.