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Corona-Pandemie: Wie glaubwürdig wir wissenschaftliches Wissen halten und wie wir damit umgehen sollen
In der Pandemie trafen verschiedene Bedürfnisse aufeinander: Einerseits wollten die Politik und nicht zuletzt die Bürgerinnen und Bürger schnelle Antworten aus der Wissenschaft. Andererseits gilt auch in der Forschung: "Gut Ding will Weile haben."
In der Wissenschaft hat sich hierfür das Vier-Augen-Prinzip bewährt. Forscherinnen und Forscher entscheiden nicht selbstständig über die Veröffentlichung ihrer Daten in Fachzeitschriften (engl. journal), die auch für ihre Karrieren von entscheidender Bedeutung sind. Stattdessen müssen Redakteure (engl. editors) und Gutachter (engl. peer reviewers) grünes Licht geben.
Langsamer und steiniger Weg
Das ist in aller Regel ein steiniger – und langsamer – Weg. Der Editor schaut sich eine eingereichte Arbeit erst einmal oberflächlich an und beurteilt, ob sie überhaupt relevant ist und in das Journal passt. Wenn ja, sucht er oder sie Peer Reviewer, um die Arbeit inhaltlich zu beurteilen. Das sind meistens mindestens zwei Personen, also schon einmal mindestens sechs zusätzliche Augen.
Dann passiert lange Zeit erst einmal – nichts. Die Peer Reviewer sind oftmals selbst gestresste Forscher, die die Arbeit schon einmal an ihre Untergebenen (z.B. Doktorandinnen und Doktoranden) weitergeben. Ob das im Sinne des Journals und der wissenschaftlichen Qualität ist, sei dahingestellt.
So kommt ein Urteil zustande: das Gutachten, das meist mehrere Wochen, aber auch schon einmal Monate dauern kann. Das Votum fällt mal mehr, mal weniger konstruktiv aus. In der Regel werden eine Reihe kleinerer und größerer Mängel formuliert und eine Überarbeitung (engl. revision) angemahnt.
Wenn das Gutachten nicht so negativ ausfällt, dass der Editor die Reißleine zieht und die Veröffentlichung rundheraus ablehnt, liegt der Ball wieder bei den ursprünglichen Wissenschaftlern. Sie müssen auf die Kritik reagieren, ihre Arbeit anpassen, in Teilen vielleicht sogar neu ausführen oder mit zusätzlichen Kontrollen versehen. Dann wird die neue Fassung eingereicht und das Spiel geht in die nächste Runde.
Man kann sich leicht vorstellen, dass der gesamte Vorgang Monate, mitunter sogar Jahre dauert. Eine Erfolgsgarantie gibt es dabei nicht. Lässt sich ein Konflikt nicht lösen, kann der Editor weitere Peer Reviewer einschalten.
Wird eine Arbeit endlich akzeptiert, landet sie in der Warteschlange der Produktionsabteilung. Seit der Zeit des Internets erscheint dann früher oder später eine Online-Version vorab. Früher musste man wirklich noch auf den Druck der Zeitschrift auf Papier warten. Manche Forschungsgebiete entwickeln sich aber so schnell, dass die Ergebnisse dann vielleicht gar nicht mehr aktuell sind.
Um herauszufinden, woran die Wissenschaftler gerade arbeiten, muss man darum auf Konferenzen fahren. Immer öfter berichten auch Journalisten direkt von dort, was nicht immer unproblematisch ist: Denn die Daten können in einem Vortrag mit einer Slideshow natürlich nur sehr oberflächlich dargestellt werden und sind dann auch noch nicht begutachtet.
Alternative: Online-Archiv
Da die Forscherinnen und Forscher in vielen Bereichen nicht ewig warten wollen oder vielleicht auch nicht können, haben sich bestimmte Online-Archive eingebürgert. Auf diesen können die Wissenschaftler ihre Arbeit vorab veröffentlichen. Und in Zeiten des Internets sind sie oft nicht nur der Fachwelt, sondern gleich auch den Medien und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich.
So haben wir in der Coronapandemie dann regelmäßig miterlebt, dass über solche vorveröffentlichten Daten – beispielsweise über das Pandemiegeschehen, die Gefährlichkeit des Virus oder die Effektivität der Impfstoffe – in der Presse berichtet wurde. Meist wurde das von dem Hinweis begleitet, die wissenschaftliche Arbeit befinde sich noch in der Begutachtung und sei darum mit besonderer Vorsicht zu genießen.
Für die Wissenschaftler bringt das den Vorteil der Geschwindigkeit. Die Kolleginnen und Kollegen anderswo können dann ebenfalls schnell auf die berichteten Daten und Ergebnisse zugreifen und diese fachlich einordnen. (Das muss übrigens nicht heißen, dass die wirklichen Rohdaten einsehbar sind, die die meisten Gruppen nach wie vor wie ein Geschäftsgeheimnis hüten.) Journalisten und der interessierten Öffentlichkeit fehlt dafür aber oft das nötige Fachwissen.
Der Gewinn an Geschwindigkeit geht also mit einem Verlust an Vertrauenswürdigkeit einher. Wer sich mit so einer Vorveröffentlichung in die große weitere Welt wagt, geht aber auch ein Risiko ein. Denn wenn man Fehler gemacht hat, sehen das im Prinzip auch alle, wo das sonst nur die Peer Reviewer herausgefiltert hätten. Man haftet also mit seinem Namen.
Sozialpsychologen ermitteln
So weit, so gut. Kölner Sozialpsychologen haben nun genauer untersucht, für wie glaubwürdig Laien Ergebnisse aus Vorveröffentlichungen halten. Und – wer hätte das gedacht! – dabei kommt heraus, dass die Glaubwürdigkeit vom Wissen über den Veröffentlichungsprozess abhängt.
Mit anderen Worten: Wenn man Laien den Unterschied erklärt, dann ordnen sie wissenschaftliche Arbeiten auch unterschiedlich ein. Vollständig begutachtete Arbeiten werden im Ergebnis für glaubwürdiger gehalten als die vorveröffentlichten Studien. (Wer es genauer wissen will, findet hier eine deutschsprachige Zusammenfassung.)
Ist damit alles gesagt? Ich denke nicht. Denn das Peer Review ist meist nicht nur langsam, sondern auch aus anderen Gründen oft nicht perfekt. In einem früheren Artikel führte ich beispielsweise schon einmal aus, dass die Journals und die bei ihnen angestellten Editors nicht nur hehre Interessen haben.
Oft genug sind die Zeitschriften selbst oder ihre größeren Mutterverlage (z.B. Elsevier, SpringerNature) gewinnorientierte Unternehmen. Das macht die dort angestellten Editors, die meist das letzte Wort in Sachen Publikation oder keine Publikation haben, weisungsgebunden. Mitunter werden aber ehrenamtliche Editors aus der Wissenschaftswelt hinzugezogen, die etwas unabhängiger entscheiden.