Wo Bücher brennen ...

Seite 3: In keinem anderen europäischen Land wird weniger gelesen als in der Türkei

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Die Grundlagen für solch kultur- und bildungsfeindliche Einstellungen werden aber schon gelegt, lange bevor rechtsradikale Politiker sie sich zunutze machen. So wird in keinem anderen europäischen Land weniger gelesen als in der Türkei. Obwohl das Land eine reichhaltige literarische Kultur und mit Schriftstellern wie Orhan Pamuk, Mario Levi, Hakan Günday, Oguz Atay und vielen weiteren Literaturschaffende von Weltrang zu bieten hat, ist die Rezeption von Literatur auf eine sehr kleine gebildete Schicht beschränkt.

In Deutschland ist das noch anders, es wird hier vergleichsweise viel gelesen. Immerhin rund neun Millionen Menschen hierzulande lesen täglich Bücher, fast ein Drittel der Bevölkerung liest mehr als zwanzig Bücher pro Jahr. Alles gut also? Leider nein. Denn es gibt seit Jahren einen kontinuierlichen Abwärtstrend. Seit 2010 ist die Zahl der jährlich verkauften Bücher um deutlich über zehn Prozent gesunken. Es wird also noch viel gelesen - aber immer weniger. Und das ist eine insgesamt besorgniserregende Entwicklung, die uns von Orwell zu Bradbury führt.

Dass nach dem NSA-Skandal und der Fake-News-Debatte der Roman "1984" wieder in die Aufmerksamkeit rückte, hatte gute Gründe. Parallel dazu ist es aber angebracht, Ray Bradburys "Fahrenheit 451" wieder zu lesen. In seiner düsteren Vision beschreibt der Brite ein Land, in dem das Lesen oder nur der Besitz von Büchern unter Strafe steht, wer Bücher hat, dessen Haus wird angezündet. Nur eine kleine Gruppe widersetzt sich, lebt in den Wäldern und ist damit beschäftigt, Bücher auswendig zu lernen, um sie der Nachwelt zu bewahren.

Auf die gängige Interpretation einer Diktatur angesprochen, sagte Bradbury einmal, dass er beim Schreiben eigentlich etwas anderes im Sinn gehabt hätte: Nämlich eine Kritik an Menschen, die immer weniger lesen und sich stattdessen passiv vom TV berieseln lassen. Der Punkt ist: Genau das ist die Vorstufe einer Gesellschaft, in der Bildungsfeindlichkeit herrscht, in der Bücher zensiert, verboten und verbrannt werden. Es ist die Vorstufe zu Orwell. Es ist der Grund, warum sinkende Leserzahlen oder Angriffe auf die Freiheit von Kultur und Bildung uns alle in höchstem Maße alarmieren müssen.

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