Woher die Europäer kommen

Vorstellung vom Aussehen der Steinzeit-Menschen, deren Erbgut in der Studie analysiert wurde. Grafik: Stefano Ricci, Università degli Studi di Siena

Paläogenetiker beweisen, dass heutige Europäer keine direkten Nachfahren der ersten anatomisch modernen Menschen sind, die vor 45.000 Jahren den Kontinent erreichten

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Vor zehn Jahren herrschte in der Ur- und Frühgeschichte noch ein klares Bild der Geburt der Europäer: Der eigentliche Ur-Europäer war der Neandertaler, der bereits seit mehr als hunderttausend Jahren den Kontinent bevölkerte, als vor rund 40.000 Jahren die ersten Homo sapiens zuwanderten. Der Neandertaler überlebte das Zusammentreffen viele tausend Jahre lang, verschwand aber am Ende vollständig.

Der anatomisch moderne Mensch übernahm den Kontinent und vermischten sich in den Jahrtausenden danach mit einigen späteren Zuwanderern. Das war das Bild, dass sich aus den archäologischen Funden ergeben hatte, und 2006 galt es im Jubiläumsjahr des Homo neanderthalensis vor allem das überholte Bild in der Öffentlichkeit zu revidieren (vgl. Neues vom wilden Mann).

Aber dann kamen die Paläogenetiker und mischten alles auf, ihr Einblick ins Erbgut unserer Vorfahren wirbelt den menschlichen Stammbaum gehörig durcheinander. Jetzt legt eine große internationale Forschergruppe nach und zeigt, dass die ersten Einwanderer keine direkten Urahnen heutiger Europäer sind. Eine enge Verwandtschaft besteht dagegen mit den Menschen im Nahen Osten. David Reich, Professor an der Harvard Medical School, erklärt:

Vor dieser Arbeit hatten wir nur einen statischen Blick auf die ersten 30 000 Jahre der Geschichte des modernen Menschen in Europa. Jetzt können wir damit beginnen zu sehen, wie die Menschen in dieser Periode gewandert sind und sich miteinander vermischt haben.

Wie oft in der jüngsten Vergangenheit kommt die bahnbrechende neue Studie von einer sehr großen Forschergruppe, mehr als 40 Wissenschaftler von Instituten und Universitäten aus der ganze Welt rund um die Hauptautoren Qiaomei Fu und Mateja Hajdinjak vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologiein Leipzig, sowie Cosimo Posth vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena haben sich dafür zusammen getan.

Im Wissenschaftsmagazin Nature stellen sie ihr neues genetisches Geschichtsbuch der Steinzeit vor. Die Forscher analysierten die Gene von 51 anatomisch modernen Menschen, die vor 7.000 bis 45.000 Jahren lebten. Funde aus ganz Europa und Asien wurden einbezogen, von Spanien bis Sibirien, über Georgien bis Belgien.

Die DNS wurde in speziellen Reinräumen extrahiert, genetische Verunreinigungen (von Pilzen, Bakterien etc.) beseitigt, und die Daten überwiegend in den Laboratorien der Max-Planck-Institute und an der Universität Harvard aufbereitet. Qiaomei Fu, Erstautorin der Studie erklärt:

Es war ein großes Privileg mit diesen sehr, sehr alten Knochen arbeiten zu können. Und natürlich machte es gerade ihr Alter extrem aufwändig, qualitativ hochwertige Informationen aus ihnen zu gewinnen.

Drei mehr als 30.000 Jahre alte Schädel aus der Fundstätte Dolní Věstonice in Tschechien, wo auch eine der steinzeitlichen Venus-Figurinen aus Ton gefunden wurde, die zur Gravettien-Kultur gehört.Bild: Martin Frouz and Jiří Svoboda, Masaryk University Brno, Tschechien

Die Genetik verdeutlicht, dass es in der Geschichte der Europäer sehr turbulent zu ging, offensichtlich herrschte sehr viel mehr Kommen und Gehen, als bislang bekannt. Europäer von heute sind mit jenen Menschen, die vor 45.000 Jahren zuwanderten, eher weitläufig verwandt, sie stammen nicht direkt von ihnen ab. Etwas engere Verwandtschaftsverhältnisse zeigten sich erst im Erbgut von Steinzeit-Europäern, die vor etwa 37.000 Jahre lebten.

Trotz heftiger Klimaschwankungen ist danach eine lang andauernde genetische Kontinuität nachweisbar, bis hin zu den Menschen, die nach der Hochphase der letzten Eiszeit vor 14.500 Jahren nach Mitteleuropa zurückkehrten. "Wir vermuten, dass sich die ursprüngliche Bevölkerung Europas während des Letzteiszeitlichen Maximums in Refugien in Südwesteuropa zurückzog und von dort aus am Ende der kältesten Phase der Eiszeit West- und Mitteleuropa wieder besiedelte", erläutert Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte.

Vor 14.000 Jahren wurden die Gene neu gemischt

Nach dem letzten Eiszeitmaximum kam es erneut zu einem tiefgreifenden Wandel in der Bevölkerung Europas. Die aktuellen Forschungsergebnisse bestätigen, was eine Vorgänger-Studie einer Gruppe um Cosimo Posth von Februar dieses Jahres schon hatte ahnen lassen: Es gab vor circa 14.000 Jahren eine weit gehende Neugestaltung der Familienbande, die sich in den Genen der Europäer spiegelt.

Die Wissenschaftler hatten die mütterlicherseits vererbte mitochondriale DNS von 35 frühen Jägern und Sammlern mit einem Alter von 7.000 bis 35.000 rekonstruiert. Die Gene werden neu gemischt, mit Sicherheit gab es einen sehr weitgehenden demografischen Wandel, von dem noch gar nichts bekannt war.

Ab diesem Zeitpunkt besteht eine enge genetische Verwandtschaft zwischen den Europäern und den heute im Nahen Osten lebenden Menschen. Eine völlig neue Datierung, offensichtlich fand diese grundlegende Umstrukturierung viel früher statt, als es die gängigen Modelle der europäischen Ur- und Frühgeschichte beschreiben. Cosimo Posth erläutert

Bisher gingen wir davon aus, dass mit der Einführung der Landwirtschaft vor circa 8.500 Jahren, als Bauern aus dem Nahen Osten nach Mitteleuropa einwanderten und die Jäger und Sammler verdrängten, eine genetische Durchmischung erfolgte, aber unsere Daten deuten auf eine weitere 6.000 Jahre frühere Einwanderung hin .

Ein 14.000 alter Schädel, der in Villabruna in Norditalien gefunden wurde. Bild: Matteo Romandini/ Univ. of Ferrara & Italian Ministry of Culture

Wer wohin wanderte, muss sich erst noch zeigen. Die Wissenschaftler wollen deshalb in nächster Zeit menschliche Überreste insbesondere aus Südosteuropa und dem Nahen Osten gezielt untersuchen, um besser zu verstehen, was in der Besiedlungs- und Bevölkerungsgeschichte genau abgelaufen ist.

Eine Hypothese lautet, dass die tiefgreifende Veränderung des Genpools durch eine größere Migrationsbewegung aus dem Nahen Osten verursacht wurde. Es wäre aber auch möglich, dass Südosteuropäer vor 14.000 Jahren geballt sowohl nach Mitteleuropa als auch in den Nahen Osten einwanderten, und so beiden Populationen ihren genetischen Stempel aufdrückten.