"Wohlstand", Kapitalrendite und das gute Leben

Seite 2: Der Bundesaktionär: Unternehmensgewinne fließen über den Staatshaushalt allen Bürgern zu

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ein öffentlicher "Bundesaktionär" soll sukzessive die Aktien der Unternehmen aufkaufen. In diesem "Aktienmarktsozialismus" "fließen" "die Unternehmensgewinne nicht einer kleinen Minderheit von Reichen, sondern über den Staatshaushalt allen Bürgern zu. Denkbar wäre auch, die Gewinne dafür zu nutzen, jedem Bürger regelmäßig eine soziale Dividende auszuschütten. Das würde insbesondere die Lage der Geringverdiener verbessern. Sie verfügten über ein von ihrer Arbeitskraft unabhängiges Einkommen und hätten dadurch eine bessere Verhandlungsposition auf dem Arbeitsmarkt".12

Corneo grenzt sein Modell des "Aktienmarktsozialismus" von einer staatlich gelenkten Wirtschaft ab:

Staatsunternehmen (sind) mit zwei Problemen behaftet. Zum einen besteht die Gefahr, dass sich die Regierenden in die Geschäfte einmischen, dass sie die Unternehmen etwa an notwendigen Entlassungen hindern. Dieser Gefahr begegne ich in meinem Modell mit einer Institution, die ich Bundesaktionär nenne. So unabhängig wie die Bundesbank früher über die Preisstabilität wachte, achtet der Bundesaktionär darauf, dass die Unternehmen langfristig eine möglichst hohe Rendite abwerfen. Er wählt durch seine Vertreter in den Aufsichtsräten die Topmanager aus, wirkt an ihren Verträgen mit und gibt ihnen Ratschläge, was die Strategie angeht. Geführt wird er nicht von Parteipolitikern, sondern von Fachleuten. Das zweite Problem kreist um die Frage, wie man die Topmanager von Staatsunternehmen dazu bewegt, eine Maximierung des Gewinns anzustreben.

Corneo13 nennt drei "Anklagepunkte" gegen den Kapitalismus: Verschwendung, Ungerechtigkeit und Entfremdung. Bei den Punkten Verschwendung und Entfremdung ist unklar, wie Corneo (bei allem Plädoyer für Mitbestimmung der Arbeitnehmer) mit seiner Orientierung an der "Maximierung des Gewinns" diese negativen Effekte des Kapitalismus einhegen oder gar überwinden will.

Die Orientierung der kapitalistischen Betriebe am Mehrwert unterscheidet sich von einer Wirtschaft, in der der Unternehmensgewinn ein Kriterium der Arbeitsorganisation, der Arbeitsmittel sowie der Arbeitsinhalte darstellt. Ein Kriterium unter anderen. Die anderen Kriterien sind in einer nachkapitalistischen Gesellschaft: Entfaltung der Sinne und Fähigkeiten in der Arbeit, sinnvolle Produkte, Nachhaltigkeit, Partizipation der Arbeitenden an der Entscheidung über die Arbeit, Teilnahme der Arbeitenden an der gesellschaftlichen Auseinandersetzung und Entscheidung über die Inhalte des Reichtums.

Corneos "Aktienmarktsozialismus" setzt positiv auf die Dividenden und Kursgewinne der Aktienunternehmen. Ihre Herkunft ist ihm keine Frage wert. Das Geld ist es jedenfalls nicht, das "arbeitet" und damit die auf dem Aktienmarkt erzielbaren Rendite hervorbringt. Aktienkurse können sich kurz- und mittelfristig von der Verwertung des Kapitals durch die mehrwertproduzierende Arbeit von Arbeitskräften entkoppeln. Dauerhaft ist dies nicht möglich.

Die Kritik des Finanzkapitals - eine Engführung

Zu den weit verbreiteten Vorstellungen von der vermeintlichen Macht des Finanzkapitals über die sog. "Realwirtschaft" finden sich bei Roth (2009), Sandleben, Schäfer (2013) sowie Krumbein u. a. (2014) (siehe Literaturliste) lesenswerte Argumentationen. Mögen sie in manchem selbst analytisch nicht ausreichen, eines leisten sie: nachhaltige Einsprüche gegen die Beschränkung oder Zentrierung von Kapitalismuskritik auf die Kritik des Finanzkapitals. Genau diese Engführung findet sich auch bei Corneo:

Mein Ziel ist, die Vorzüge des Kapitalismus, nämlich Markt und Privatinitiative bei den Klein- und mittelständischen Unternehmen, auf der einen Seite zu erhalten. Und auf der anderen, die Macht der Geldelite zu beschneiden. Die kontrollieren die Großunternehmen, daraus entwickelt sich ein übermäßiger politischer Einfluss.

Die Vermehrung des abstrakten Reichtums wird im Kapitalismus dadurch praktiziert, dass das Kapital Arbeitskräfte anstellt, sie zum Wert ihrer Arbeitskraft bezahlt und länger arbeiten lässt, als dies erforderlich wäre, um den Wert ihrer Arbeitskraft zu erwirtschaften. Die Gleichheit des Äquivalententausches ist nicht durch den Mehrwert gestört, den der Arbeitende produziert und der dem Kapitalist zufällt.

Der Gebrauchswert der Arbeitskraft, die Arbeit selbst, gehört ebenso wenig ihrem Verkäufer, wie der Gebrauchswert des verkauften Öls dem Ölhändler. … Der Umstand, dass die tägliche Erhaltung der Arbeitskraft nur einen halben Arbeitstag kostet, obgleich die Arbeitskraft einen ganzen Tag wirken, arbeiten kann, dass daher der Wert, den ihr Gebrauch während eines Tags schafft, doppelt so groß ist als ihr eigener Tageswert, ist ein besondres Glück für den Käufer, aber durchaus kein Unrecht gegen den Verkäufer.

Eine am Wert der "Gerechtigkeit" orientierte Kapitalismuskritik ist oft mit einem Diskurs verschwistert, in dem das Wissen vom Kapitalismus gering ist und zu seinen Lasten Erörterungen von gerechten bzw. ungerechten Proportionen sich ausbreiten. Insofern ist beim Maßstab "Gerechtigkeit" bzw. bei der Kritik an Ungerechtigkeiten Vorsicht geboten. Es handelt sich häufig um trojanische Pferde.14

Corneos Perspektive orientiert sich an zentralen Maßstäben des Kapitalismus: dem Wohlstand des Geldeinkommens und der profitablen Kapitalverwertung. Bei allem Gegensatz zur SED meint Corneo wie sie, eine Alternative zum Kapitalismus müsse ihn einholen und überholen. Der Corneo'sche "Bundesaktionär" soll dadurch überzeugen, dass er profitabler wirtschaftet als im gegenwärtigen Kapitalismus üblich.

Ich plädiere für ein Experiment. Von einigen wenigen Großunternehmen und Banken wird 51 Prozent des Kapitals verstaatlicht und in die Verwaltung des noch zu gründenden Bundesaktionärs überführt. Dann schauen wir, welcher Sektor der rentablere ist: der marktsozialistische oder der kapitalistische. Liefert der Bundesaktionär nicht die marktübliche Rendite, schaffen wir ihn wieder ab. Ist er aber den kapitalistischen Unternehmen überlegen, bauen wir das Wirtschaftssystem allmählich um.

Die mit "Verschwendung" und "Entfremdung" sehr allgemein beschreibbaren Folgen und Voraussetzungen der profitablen Verwertung des Kapitals halten Corneo nicht vom Votum für möglichst profitable Kapitalverwertung ab. Das ähnelt einem Votum für Atomkraftwerke ohne Radioaktivität.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.