Wohnen sie schon oder leben sie noch?

Seite 2: Vom Experiment zur Lebensperspektive

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Die Alternative, die weit mehr Spielraum bietet, heißt Holzrahmenbauweise. Holz ist ökologisch und nachhaltig. Ein hoher Vorfertigungsrad eignet sich für schnellen Aufbau. Der Hochschullehrer Henner Herrmanns hat für Koblenz eine Art Superstruktur vor. Mit drei Obergeschossen "schwebt" das aufgeständerte Gebäude über dem Hochschulparkplatz. Der Flächenverbrauch ist minimiert. Apartments plus Gemeinschaftsräume stehen Flüchtlingen mit Bleiberecht sowie Studenten zur Verfügung. Die Raumpläne sind variabel. Ein partieller Rückbau wäre möglich, wenn sich bei geänderter Nachnutzung ein verringerter Bedarf ergäbe.

Systembau in Holz. Die Raumpläne sind variabel (für Familien, alleinstehende junge Männer usw.). Bild: woodhousing swiss AG

Große Hersteller bieten Systemlösungen aus Holzmodulen an. Einen individuellen Weg wählte hingegen die Immobilienverwaltung der Hansestadt Bremen. Deren Mitarbeiter entwarfen ein "Bremer Modul" auf ca. 8x8 m2 Grundfläche. Die Module sind beliebig horizontal und vertikal kombinierbar, in L- oder H-Form oder auch wieder aufgelockert um einen Innenhof anzuordnen und per Laubengängen erschlossen. Sollten sie später einmal in eine Reihenhauslinie gesetzt werden, könnten die Treppen auch ins Haus verlegt werden. Beauftragt ist eine regionale Zimmerei. Die Teile passen ganz ohne ISO auf einen Lkw. So kommt die amerikanische Tiny-House-Bewegung allmählich in Deutschland an.

Wenn Wohneinheiten von grundsätzlich nicht mehr als 50 Bewohnern empfohlen werden, folgt daraus, dass dezentralen Einrichtungen zumindest für Flüchtlinge mit Bleibeperspektive der Vorzug zu geben ist. Erst eine stadträumliche Durchmischung fördert die Integration. Zu einem Binnenzentrum ausgerichtete Wohnanlagen und die Öffnung zum sozialen Kontext schließen einander nicht aus. An dieser Stelle wäre der Begriff des "Halboffenen" angebracht, wie ihn Bruno Taut etwa bei der Berliner Hufeisensiedlung umsetzte.

Hinterlassenschaft der EXPO 2000: der niederländische Pavillon. Bild: Axel Hindemith. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Hannoveraner Architekturstudenten begaben sich unter Anleitung von Jörg Friedrich auf die Suche nach Zwischenräumen für Zwischennutzungen.2 Sie wenden sich gegen eine unreflektierte Verdichtungsideologie, wenn sie mit kleinteiligen improvisierten Wohnformen an bestehende Nachbarschaften andocken oder aufgelassene Bestandsbauten für neue Nutzungen umwidmen. In ihren Entwürfen setzen sie bewegliche Module auf ungenutzte Parkdecks, schließen Baulücken durch Regalstrukturen, in welche Wohnraummodule nach Bedarf eingesetzt werden oder konstruieren leichte, lichte Holzhäuser in Messehallen. Der zur EXPO 2000 aufgebaute holländische Pavillon, der "Landschaften stapelte" und nun verrottet, bietet mit seinen Ebenen und Außentreppen Raum für konkrete Utopien, die auf die Verpflanzung ganzer Gesellschaften reagieren.

Der Haken ist, dass etliche der ausgesuchten Locations nicht mehr oder noch nicht nutzbar sind. Der für Wohnwaggons vorgeschlagene Güterbahnhof wurde inzwischen abgerissen. Die Studenten knüpfen an die Debatte über "Raumpioniere" an, die mangels Brachen in den Kernstädten gerade zum Erliegen kommt. Aber starke Ideen sind es allemal, und wenn die nicht wären, würde der Nachwuchs von vorneherein vor der schlechten Realität kapitulieren.

Von "Better Shelter" zusammen mit der UNHCR und der IKEA-Foundation für erste Hilfe vor Ort entwickelt. Bild: Better Shelter

Aus den Hannoveraner Entwürfen schält sich ein Grundmuster integrativen Wohnens und Arbeitens heraus, von dem nach einer Jury-Auswahl mehrere Prototypen u.a. auf dem Universitätsgelände gebaut werden sollen. Arbeitsplätze und Werkstätten für Studenten sollen mit Lernräumen für Flüchtlingen kombiniert werden, die im Obergeschoss wohnen. Was experimentell begann, könnte sich zur langfristigen Lebensperspektive ohne allzu feste Bindung entwickeln.

Im Augsburger Grandhotel Cosmopolis sind es Künstler und Asylbewerber, die unter einem Dach wohnen und, soweit sie dürfen, arbeiten. Ähnliches, ergänzt um studentisches Wohnen, wird für das Haus der Statistik vorgeschlagen, einem Dinosaurier aus DDR-Zeiten im Zentrum Berlins. Andernorts schon bestehende Beispiele von betreutem Wohnen in Wohngruppen aus Alten und Flüchtlingen sollen in diesem Berliner Alternativprojekt aufgegriffen werden.

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