Wohnen sie schon oder leben sie noch?

Übergangseinrichtung in Bremen Hemelingen. Der Wandaufbau der Container erfolgte nach Vorgaben der Architekten. Bilder: Kay Michalak / Architekten Feldschnieders + Kister

Wie die Gesellschaft Flüchtlinge aufnimmt, entscheidet sich am Wohnungsbau

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Der Berliner Senat klotzt mit "Modularen Unterkünften" für mindestens 24.000 Flüchtlinge. Was er da vorhat, liest sich wie eine neue Variante des "Plattenbaus", der in den 70er und 80er Jahren im Osten in Blüte stand. - In allen Großstädten wird heute die Parole "Nachverdichtung" ausgegeben, um durch Aufspüren von Brachen und Baulücken der neuen Wohnungsnot Herr zu werden. Es liest sich wie die Neuauflage der "Urbanität durch Dichte", wodurch in den 60er und 70er Jahren der Verkehr in die Städte hinein und die Urbanität dummerweise ausgetrieben wurde.

Zuletzt die 50er Jahre: Ein Unternehmer, der beweisen möchte, dass auch aus privatem Engagement Flüchtlingswohnungen finanziert werden können, errichtete im mittelfränkischen Eckenthal sechs Reihenhäuser, zu denen er sich "von den Nachkriegs-Reihenhausanlagen inspiriert" sah. Ist neues Bauen nichts als Cover-Version?

Auch der scheinbar gestoppte Trend zur Suburbanisierung wird durch die Verteilungsmathematik der Flüchtlingsströme wiederbelebt. Bei der nordholländischen Ortschaft "Ter Apel" wird auf einem Konversionsgelände nahe der deutschen Grenze eine Siedlung für die (nicht nur) Erstaufnahme von 2.000 Flüchtlingen angelegt, die dörflichen Charakter hat. Die zweigeschossigen Wohneinheiten werden um Innenhöfe herum zu acht Nachbarschaften gruppiert, die sich zum zentralen Bereich mit kompletter Infrastruktur wie Gesundheitszentrum und Schule öffnen. Die Ziegelfassaden bilden unterschiedliche Muster aus, welche den ethnischen Gruppen zur Orientierung dienen. Das Gelände ist gut durchgrünt. Nichts scheint zu fehlen.

Aufnahmelager Ter Apel. Um Höfe werden "Nachbarschafen" gebildet. Bild: De Zwarte Hond

Doch etwas wurde übersehen. Die Siedlung ist vollkommen abgeschlossen gegenüber der alten 9.500-Seelen-Gemeinde. In dieser Gegenüberstellung spiegelt sich "Winston Parva" wieder. Dieses Pseudonym wählten Norbert Elias und John L. Scotson1 für eine Vorortgemeinde in den Midlands, die schon vor dem Krieg um einen Ortsteil für Neu- und Aussiedler ergänzt wurde, der vom bestehenden Ort durch eine Bahnlinie getrennt war. Die Mittelschicht und die etablierten Arbeiter der vorhandenen Gemeinde fühlten sich von den Zuwanderern bedroht. Auf diese übertrugen sie ihre Angst vor Statusverlust. Die Neuankömmlinge wurden kriminalisiert. Die räumliche Segregation war die Bedingung einer Stereotypenbildung, die bis zu Rassismus gehen kann.

"Die Flüchtlinge sind nicht willig zur Integration", hört man an deutschen Stammtischen. Was trägt, der das sagt, zur Integration der Flüchtlinge bei? Was tragen die Architekten bei? Zunächst sind sie selbst ausgesperrt. Die harte Realität hinter der Willkommenskultur ist eine anonyme Abschreckungsarchitektur. Städtebauliche und raumplanerische Gesichtspunkte sind abgemeldet. Die Unterbringung bildet ab, wie die Flüchtlinge gesellschaftlich behandelt werden.

Koblenz: Gemischte Nutzung bei platz- und geldsparender Bauweise. Bild: Prof. Henner Herrmanns

Die neuen Ghettos suggerieren, dass die meisten sich in einer Warteschleife bis zur freiwilligen oder verfügten Abreise befinden. Die Lager der ersten Stufen, welche Flüchtlinge zu durchlaufen haben, sind auf Exklusion angelegt. Trotz vieler Bemühungen von Sozialarbeitern und Freiwilligen findet ein sozialer Austausch mit den einheimischen Milieus nicht statt. Wenn Integration "Näherung" heißt, bis einem das Fremde vertraut, aber auch das Vertraute selbstkritisch in Frage gestellt wird, sollte Architektur offen sein für solche emanzipatorischen Prozesse, ohne gleich die Differenzen zu verwischen.

Container als solche leisten das nicht. Wohn-Container sind Käfige, die nach starrem geometrischem Schema Raumvolumen ausschneiden. Der Raum ist dann nach innen wie nach außen als Grenze definiert. Dass es auch anders geht, demonstriert das Büro Feldschnieders + Kister in Bremen an bisher drei "Übergangswohneinrichtungen". Die Architekten stellten Container-Module zu zweigeschossigen Wohneinheiten zusammen, die kleine Höfe bilden und um einen zentralen Platz gruppiert sind.

Präfabrizierte Holzmodule in Hannover. Bild: MOSAIK architekten / Foto: Olaf Mahlstedt

Die Erschließung der Häuser für je 30 Bewohner erfolgt hofseitig über Laubengänge. Die Wohnungen garantieren Rückzugsräume bis zum eigenen Bad, denn Gemeinschaftsbäder werden von Frauen aus islamischen Ländern nicht angenommen. Die Laubengänge stellen nachbarschaftliche Austauschräume her, und der Hofraum ist, obwohl öffentlich, gleichwohl introvertiert. Integration kann nicht von einem auf den anderen Tag geschehen, zumal in vom römischen Atriumhaus geprägten Mittelmeerländern solche Innenhoftypologien Tradition haben. Noch aus Wien sind bis zu fünf Geschossen hohe Laubenganghäuser, sogenannte Pawlatschen, überliefert. Die biedermeierlichen Nachbarn hängten Körbe für Blumen sowie Kräuterbünde an die Geländer und spannten Wäscheleinen auf. Das 'Bauhaus' griff den Laubengang auf.

Stefan Feldschnieders sieht selbst die Gefahr, dass der Stadtraum beschädigt wird, wenn Container auf beliebigen freien Flächen aufgestellt werden und die weitere Infrastruktur vernachlässigt wird. Er sagt: Aus der Flickschusterei wird die Erkenntnis, dass wir Wohnraum brauchen. Er spielt auf die geringe Lebensdauer von auf Verschleiß produzierten Provisorien an, die als Sonderbauten firmieren. Behausungen zu bauen, die nach fünf Jahren wieder abgerissen werden müssen, blockiert städtebauliche Lösungen. Container sind außerdem rar und zu teuer geworden.

Vom Experiment zur Lebensperspektive

Die Alternative, die weit mehr Spielraum bietet, heißt Holzrahmenbauweise. Holz ist ökologisch und nachhaltig. Ein hoher Vorfertigungsrad eignet sich für schnellen Aufbau. Der Hochschullehrer Henner Herrmanns hat für Koblenz eine Art Superstruktur vor. Mit drei Obergeschossen "schwebt" das aufgeständerte Gebäude über dem Hochschulparkplatz. Der Flächenverbrauch ist minimiert. Apartments plus Gemeinschaftsräume stehen Flüchtlingen mit Bleiberecht sowie Studenten zur Verfügung. Die Raumpläne sind variabel. Ein partieller Rückbau wäre möglich, wenn sich bei geänderter Nachnutzung ein verringerter Bedarf ergäbe.

Systembau in Holz. Die Raumpläne sind variabel (für Familien, alleinstehende junge Männer usw.). Bild: woodhousing swiss AG

Große Hersteller bieten Systemlösungen aus Holzmodulen an. Einen individuellen Weg wählte hingegen die Immobilienverwaltung der Hansestadt Bremen. Deren Mitarbeiter entwarfen ein "Bremer Modul" auf ca. 8x8 m2 Grundfläche. Die Module sind beliebig horizontal und vertikal kombinierbar, in L- oder H-Form oder auch wieder aufgelockert um einen Innenhof anzuordnen und per Laubengängen erschlossen. Sollten sie später einmal in eine Reihenhauslinie gesetzt werden, könnten die Treppen auch ins Haus verlegt werden. Beauftragt ist eine regionale Zimmerei. Die Teile passen ganz ohne ISO auf einen Lkw. So kommt die amerikanische Tiny-House-Bewegung allmählich in Deutschland an.

Wenn Wohneinheiten von grundsätzlich nicht mehr als 50 Bewohnern empfohlen werden, folgt daraus, dass dezentralen Einrichtungen zumindest für Flüchtlinge mit Bleibeperspektive der Vorzug zu geben ist. Erst eine stadträumliche Durchmischung fördert die Integration. Zu einem Binnenzentrum ausgerichtete Wohnanlagen und die Öffnung zum sozialen Kontext schließen einander nicht aus. An dieser Stelle wäre der Begriff des "Halboffenen" angebracht, wie ihn Bruno Taut etwa bei der Berliner Hufeisensiedlung umsetzte.

Hinterlassenschaft der EXPO 2000: der niederländische Pavillon. Bild: Axel Hindemith. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Hannoveraner Architekturstudenten begaben sich unter Anleitung von Jörg Friedrich auf die Suche nach Zwischenräumen für Zwischennutzungen.2 Sie wenden sich gegen eine unreflektierte Verdichtungsideologie, wenn sie mit kleinteiligen improvisierten Wohnformen an bestehende Nachbarschaften andocken oder aufgelassene Bestandsbauten für neue Nutzungen umwidmen. In ihren Entwürfen setzen sie bewegliche Module auf ungenutzte Parkdecks, schließen Baulücken durch Regalstrukturen, in welche Wohnraummodule nach Bedarf eingesetzt werden oder konstruieren leichte, lichte Holzhäuser in Messehallen. Der zur EXPO 2000 aufgebaute holländische Pavillon, der "Landschaften stapelte" und nun verrottet, bietet mit seinen Ebenen und Außentreppen Raum für konkrete Utopien, die auf die Verpflanzung ganzer Gesellschaften reagieren.

Der Haken ist, dass etliche der ausgesuchten Locations nicht mehr oder noch nicht nutzbar sind. Der für Wohnwaggons vorgeschlagene Güterbahnhof wurde inzwischen abgerissen. Die Studenten knüpfen an die Debatte über "Raumpioniere" an, die mangels Brachen in den Kernstädten gerade zum Erliegen kommt. Aber starke Ideen sind es allemal, und wenn die nicht wären, würde der Nachwuchs von vorneherein vor der schlechten Realität kapitulieren.

Von "Better Shelter" zusammen mit der UNHCR und der IKEA-Foundation für erste Hilfe vor Ort entwickelt. Bild: Better Shelter

Aus den Hannoveraner Entwürfen schält sich ein Grundmuster integrativen Wohnens und Arbeitens heraus, von dem nach einer Jury-Auswahl mehrere Prototypen u.a. auf dem Universitätsgelände gebaut werden sollen. Arbeitsplätze und Werkstätten für Studenten sollen mit Lernräumen für Flüchtlingen kombiniert werden, die im Obergeschoss wohnen. Was experimentell begann, könnte sich zur langfristigen Lebensperspektive ohne allzu feste Bindung entwickeln.

Im Augsburger Grandhotel Cosmopolis sind es Künstler und Asylbewerber, die unter einem Dach wohnen und, soweit sie dürfen, arbeiten. Ähnliches, ergänzt um studentisches Wohnen, wird für das Haus der Statistik vorgeschlagen, einem Dinosaurier aus DDR-Zeiten im Zentrum Berlins. Andernorts schon bestehende Beispiele von betreutem Wohnen in Wohngruppen aus Alten und Flüchtlingen sollen in diesem Berliner Alternativprojekt aufgegriffen werden.

Gebäude müssen Mobilität lernen

Niemand weiß, wie sich die Flüchtlingszahlen entwickeln werden. Im Spektrum zwischen Massenunterkünften und abgeschlossenen Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus werden sich die Flüchtlinge auf viele Umzüge gefasst machen müssen. Wenn es aber Häuser und Siedlungen gäbe, die mit dem Bedarf wachsen oder schrumpfen, könnten die Zugereisten an einem Ort verbleiben. Sowohl an die Zahl der Bewohner als auch an ihre schwankende Kaufkraft könnten sich die Wohnungen anpassen.

Wohnbauten dieser prozesshaften Art hat Ralf Pasel, der an der TU Berlin "Entwerfen" lehrt3, für einen Slum in Temuco/Chile realisiert. Erstellt wurden Rohfassungen, welche die sukzessive aus ihren Hütten umziehenden Bewohner weiterbauen können.

Upgrading eines Slums. Temuco/Chile. Bild: Pasel.Künzel Architects

Im Abstand von 3 Metern wird eine Serie von "Sicherungskästen" erstellt, 1,20 x 8 m in den Grundmaßen und drei Geschosse hoch. Sie enthalten alle technischen Installationen, die von Laien nicht zu bewerkstelligen sind, dazu Treppe, Küche und Bad. Zwischen diese Scheiben können beliebig bis zu drei Raumzellen übereinander gesetzt werden. Unten würde auch ein kleiner Laden hineinpassen. Die aus den Parzellen zusammengewachsenen Cluster können ihrerseits so kombiniert werden, dass für jeweils 20 Familien eine Hofsituation entsteht. Die Wurzeln des informellen Weiterbauens bewusst unfertig überlassener Wohnhäuser hat Stewart Brand in seinem Buch "How Buildings Learn" beschrieben.

Das Prinzip ist, wie das Büro von Pasel mit sogenannten Starter Houses in Holland demonstriert, auf Europa übertragbar. Die westlichen Gesellschaften werden immer mobiler und die Gebäude müssen "Mobilität lernen". Bauen für Flüchtlinge und Bauen für - auch wohlsituierte - Einheimische treffen sich auf einer strukturellen Ebene. Und der Begriff der "Teilhabe", der in entwickelten Ländern großgeschrieben wird, bekommt endlich auch für die Migranten Aktualität, wenn die Bewohner in den Prozess der Vervollständigung einbezogen werden. In Chile waren sie schon bei der Planung dabei.

Konzept des stufenweisen ("inkrementellen") Weiterbauens in Temuco. Bild: Pasel.Künzel Architects

Auf der einen Seite greift die Betonbauindustrie Großaufträge ab. Es wird "gemetert", und der Berliner Stadtentwicklungssenator wird nicht müde zu betonen, man werde keinen Preis für Baukultur gewinnen. Auf der anderen Seite richten Architekturstudenten einen Kitchen-Hub ein, eine Gemeinschaftsküche in einem Ladenlokal. Die angestammte Nachbarschaft und die Neuankömmlinge auf Augenhöhe zusammenzubringen, verstehen sie als Beitrag zur Stadtgestaltung.

Das eine ist brutal, das andere ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Die zahlreichen Vorschläge zum Thema zerlegen sich entlang der Parameter Tempo - Menge - Qualität - Ästhetik jeweils in die Extreme. Die Aufgabe, die Form auf das Notwendige zu reduzieren und dadurch kostengünstig, seriell und ästhetisch zugleich zu bauen, hatte sich bereits vor knapp hundert Jahren gestellt.

Was lehrt uns das "Bauhaus"? Dass der Schlüssel zur Lösung der Flüchtlingsfrage in der sozialen Frage liegt. Das betrachteten die Architekten und Planer damals als Herausforderung. Sie besteht heute wieder.

Wohnen sie schon oder leben sie noch? (9 Bilder)

Übergangseinrichtung in Bremen Hemelingen. Der Wandaufbau der Container erfolgte nach Vorgaben der Architekten. Bild: Kay Michalak / Architekten Feldschnieders + Kister

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