Worauf die Welt gewartet hat

Seite 2: Verflüssigte Demokratie

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Bei Wikipedia gibt es übrigens einen Beitrag zum Thema "Verflüssigte Demokratie", bzw Liquid Democracy. Es geht da um die Frage: Kann das Internet ein Land wie Deutschland demokratischer machen? "Liquider" sicher nicht - und "liquidieren" hoffentlich auch nicht. Gemeint ist also nicht, dass da mehr Geld fließt (z.B. in die Taschen korrupter Unterlinge — obwohl sich in dem Bereich Deutschland nicht mehr sehr von Indonesien unterscheidet). Sondern eben: Macht das Internet die Politik bürgernäher, reaktiver, bringt es sie näher an die Wünsche der Bürger?

Zitat aus dem Wiki-Essay:

50 Prozent der Bevölkerung interessierten sich sehr wenig für Politik. Sie sähen allenfalls die Fernsehnachrichten und gingen zur Wahl. Daran habe auch der Siegeszug des Internets nicht das Geringste geändert. Die 'Passiven Mainstreamer' sprächen weder mit Freunden über Politik noch läsen sie den Politikteil der Tageszeitung. Sie steuerten auch nie einen politischen Blog an und unterschrieben nie eine Online-Petition. Bildungsferne Schichten partizipierten auch im Netz kaum am politischen Dialog, und zwar auch dann nicht, wenn sie jung und Youtube-erprobt seien.

Hier darf man also die Schlussfolgerung ziehen, dass der Normalbürger, der täglich auf Maloche geht, mit Sicherheit am Abend keine "Avaaz" Aufrufe anklickt und das Gefühl hat, jetzt zu einer Welt-Demokratie dazuzugehören. Oder ob es ihn wurmt, dass er Herrn Patel leider nur maximal 5.000 EURO schicken darf.

Das hätten wir geklärt. Was war nun also die Bewegung, auf die Frau Ruby-Sachs zu Beginn dieser Story mit Stolz blickte, weil hierauf "die Welt gewartet" hätte? Na, "Avaaz" natürlich, denn "Avaaz", so Frau Ruby-Sachs, hätte ja die ganze Welt in Bewegung gesetzt, um den Klima-Gipfel in Paris zustande zu bringen. Und dazu gab es Fotos vom Klima-Demos global, alle quasi bewirkt durch den "Avaaz"-Zauberstab.

Das kam mir doch ein wenig übertrieben vor, oder sagen wir: nicht 100 Prozent ehrlich. Auf den vielen Fotos aus aller Welt fehlte denn auch überall ein Banner mit der Aufschrift "Avaaz". Das scheint den Leuten im New Yorker Hauptquartier auf aufgefallen zu sein. Nachdem der Klima-Gipfel vorbei war, gab es denn doch ein Foto mit irgendwelchen Demonstrateuren zum Thema "Klima" - und am unteren Bildrand - bitte, vielleicht nicht hineingephotoshoppt - auch ein paar Leutchen mit einem "Avaaz"-Banner.

Was die "Avaazer und Avaazerinnen" in Paris allerdings doch geschafft haben, war dieses: Da ja in Paris keine Demos erlaubt waren, wegen der Terror-Gefahr, riefen sie ihre "Mitglieder" dort auf, jeder möge ein paar Schuhe oder Stiefel stiften, die sollten dann stellvertretend für die Demonstratenten dort stehen. Ein symbolträchtiges Foto, um nicht zu sagen: ein künstlerischer Event - insbesondere auch, wenn ich daran denke, dass hier in Neuseeland viele Kinder sogar im Winter ganz ohne Schuhe zur Schule gehen. Ich hoffe, dass die "Avaazer" von Paris anschließend die herrenlosen Schuhe nicht einfach in den Müll entsorgt haben, sondern sie vielleicht an die herrenlos durch Europa ziehenden Flüchtlinge abgegeben oder ans nächste Zigeunerlager gebracht haben.

Ich fühle mich dabei trotz allem Wohlfühl-Bestreben an die alte Dylan-Zeile erinnert:

I wish that for just one time you could stand inside my shoes — You'd know what a drag it is to see you

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