Wort des Jahres 2015: Flüchtlinge bzw. Geflüchtete

Zum 40. Mal wurden die Ausdrücke gewählt, die das zu Ende gehende Jahr besonders gut charakterisieren sollen

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Das hätte man erwarten können. Die Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) kürte "Flüchtlinge" zum Wort des Jahres. Tatsächlich beherrschte der "Flüchtlingsstrom" mitsamt der politischen Erosion der EU, dem Bau der neuen Zäune und der Ausbreitung rechter Parteien und der Ausländerfeindlichkeit ab der zweiten Jahreshälfte die mediale und gesellschaftliche Öffentlichkeit mehr als alle andere Themen.

An sechster Stelle kommt noch "durchwinken", also die gerne geübte, EU-Recht verletzende Praxis, alle Flüchtlinge schnell durch das eigene Land reisen zu lassen, um damit nicht belastet zu werden. Auf Platz 10 wurde Merkels Satz "Wir schaffen das" gewählt. Man hätte aber auch Grenzzaun, besorgte Bürger, Willkommenskultur oder vieles andere noch wählen können.

Nach der GfdS sei auch das Wort Flüchtling sprachlich interessant: "Gebildet aus dem Verb flüchten und dem Ableitungssuffix -ling (›Person, die durch eine Eigenschaft oder ein Merkmal charakterisiert ist‹), klingt Flüchtling für sprachsensible Ohren tendenziell abschätzig: Analoge Bildungen wie Eindringling, Emporkömmling oder Schreiberling sind negativ konnotiert, andere wie Prüfling, Lehrling, Findling, Sträfling oder Schützling haben eine deutlich passive Komponente. Neuerdings ist daher öfters alternativ von Geflüchteten die Rede. Ob sich dieser Ausdruck im allgemeinen Sprachgebrauch durchsetzen wird, bleibt abzuwarten."

Die anderen Worte sind schon deutlich beliebiger. Auf Rang 2 ist "Je suis Charlie" gewählt worden, auf dem dritten Platz "Grexit", womit an das Topthema der ersten Jahreshälfte erinnert werden soll, das allerdings vom Flüchtlingsthema oder, politisch korrekt, Geflüchtetenthema fast völlig beiseite gedrängt wurde.

Die berüchtigte und streng geheime "Selektorenliste", die die NSA dem BND übergeben hat, damit dieser für den Großen Bruder auch Politiker und Behörden ausspäht, liegt vor dem "Mogel-Motor" für den VW-Skandal. Mit dem "Selfie-Stab" auf Platz 7 wollte man wohl auch nicht irgendwas Technisches dabei haben, um mit der Zeit zu gehen. "Schummel-WM" hat es auf Platz 8 geschafft, die nicht mehr ganz frische Neuschöpfung "Flexitarier" auf Platz 9: "Gemeint sind Personen, die bewusst wenig Fleisch essen, ohne aber ganz darauf zu verzichten. Auf den Trend, weniger Fleisch zu verzehren, reagiert inzwischen auch die Gastronomie. Nicht nur in Szenerestaurants, sondern auch in Kantinen und Mensen gibt es heute immer mehr vegetarische und auch vegane Angebote."

*** Die Wörter des Jahres werden 2015 zum vierzigsten Mal bekannt gegeben. Traditionell suchen die Mitglieder des Hauptvorstandes und die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der GfdS nicht nach den am häufigsten verwendeten Ausdrücken, sondern wählen solche, die das zu Ende gehende Jahr besonders gut charakterisieren. In diesem Jahr standen rund 2500 Belege zur Wahl.