YouTube und Co.

Das spektakuläre Comeback von viralen Videos

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„Viral“ ist ein Zauberwort, das schon lange durch die Online-Welt geistert. Wie bei einer Krankheit, die von Freund zu Freund, von Mitgliedern einer Gemeinschaft an ihre Mitmenschen weiter gereicht wird, sollen aus Sicht der Internet-Ökonomie auch die Anhänger der riesigen, weltweit verstreuten und vernetzten Internet Community sich gegenseitig nach dem Schneeballprinzip infizieren, so dass sich innovative Ideen und interessante Projekte auch jenseits klassischer Gatekeeper quasi basisdemokratisch durchsetzen.

Das Schlagwort „viral“ war um die Jahrtausendwende auch bei Online-Film-Produktion und Distribution in aller Munde – dann kam fast über Nacht der spektakuläre Einbruch der New Economy und niemand mehr wollte etwas von Filmdistribution über das Internet wissen geschweige auch nur einen Cent in weitere unsichere Projekte investieren. In den letzten drei Jahren zeigten jedoch schon einige Filmprojekte, dass es gerade für unbekannte Filmemacher möglich ist, über das Internet zu hoher Popularität zu gelangen und anschließend in den klassischen Medien kommerziell erfolgreich zu sein. In Deutschland wurde z. B. der im Stil der Instruktionsfilme der 1960er Jahre gehaltene Splatter-Kurzfilm „Staplerfahrer Klaus“ über Tauschbörsen auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt – trotzdem lief auch der anschließende DVD-Vertrieb des Films sehr erfolgreich.

Ausschnitt aus einem Screenshot der Eingangsseite von YouTube, dem bislang erfolgreichsten Video-Portal

Aber was bis vor kurzem nur einzelne Leuchttürme waren, hält nun Einzug auf breiter Front, denn aktuell erleben virale Online-Videos in Verbindung mit Buzzwords wie Community, sozialer Software oder Web 2.0 im Internet eine spektakuläre Neuauflage. Dieser Hype um Web 2.0 und soziale Software rekapituliert auch die Geschichte des Internets im Schnelldurchlauf: Was mit Texten begann (z. B. Xanga), wurde von Bildern ergänzt (z. B. Flickr), mit deutlich gestiegener Verbreitung von DSL kamen 2005 die Videos hinzu.

Ein Pionier dieser sehr jungen Entwicklung war iTunes, das seit Mai 2005 auch Videos verbreitet. Seit Oktober 2005 veröffentlichte das Portal mehrere Tausend Musikvideos und fünf Fernsehserien, darunter „Lost“ und „Desperate Housewives“, wo die vergangenen Staffeln ebenso wie die jeweils aktuellen Episoden 24 h nach Ausstrahlung verfügbar waren. Seither wurde das Angebot um Shows und Serien von NBC Universal, USA Network, Sci-Fi Channel, Fox, Viacom sowie aus dem Hause Disney erweitert. Der Erfolg von iTMS – laut eines Artikels in der New York Times - acht Millionen verkaufte Videos in den ersten drei Monaten (Pogue) – stärkte das Vertrauen in Online-Film.

Ende 2005 schossen zahllose Videoportale aus dem Boden, die häufig Amateur-, aber auch semi-kommerziellem oder kommerziellem Videomaterial eine Plattform bieten und die alle darum kämpfen, den hart umkämpften Markt zu beherrschen. Die Seiten heißen YouTube, GoogleVideo, Revver, Grouper oder Daily Motion. Zu den Veteranen, die schon in der ersten Phase vor sechs Jahren mit dabei waren, gehören iFilm und in Deutschland Bitfilm. Schätzungsweise 40- 45 virale Video Sites konkurrieren derzeit um die videohungrigen und um die sich in Form von Bewegtbildern präsentierenden User.

Viele dieser Video-Sites sind – wie es sich für Web 2.0-Anwendungen gehört - in einer ewigen Betaphase. Sie verfolgen alle das Ziel, ein Stückchen von dem großen Kuchen abzubekommen, der für die nächsten Jahre prognostiziert wird, nachdem Digitalkameras und schnelle Internetverbindungen weit verbreitet sein werden. Die Stimmung ist bei manchen ähnlich euphorisch wie im Jahr 2000, andere unken über eine „zweite Luftblase“. Trotzdem bleibt für Vorsichtige die Hoffnung, dass die Verantwortlichen, die sich in diesem Bereich tummeln, meist jahrelange Erfahrung im Online-Bereich vorweisen können, so dass dieses Mal Beteiligungskapital nicht ähnlich sinnlos verpulvert wird, wie das damals geschah. Nichtsdestotrotz kann niemand verlässlich prognostizieren, ob gerade die Video-Portale mit ihren immensen Traffic-Kosten Gewinne einfahren können. Eben diese Traffic-Kosten nähren auch Vermutungen, dass bislang vor allem diejenigen verdienen, die für die technische Übermittlung der Inhalte sorgen, nämlich Content Delivery Services wie Akamai oder Limelight. Somit ist das Ende dieser Diskussion - genau wie die Software - offen.

Nachdem „Blog“ Wort des Jahres 2004 von Merriam-Webster war; der Begriff „Podcast“ vom Oxford Dictionary zum Wort des Jahres im Jahr 2005 gekürt wurde, haben Wortschöpfungen wie „Vidcast“ oder „YouTube“ gute Chancen, es im Jahr 2006 zu werden.

YouTube, das mit Abstand erfolgreichste Video-Portal, hält aktuell Platz 20 bei den globalen Top 100 von Alexa und Platz 19 bei den Top 100 in den USA (29.6.06). Vermutlich sind diese Zahlen, sobald sie publiziert sind, auch schon wieder obsolet, denn YouTube wächst exponentiell. Täglich werden dort laut Aussagen des Unternehmens 40 Millionen Videos von sechs Millionen Usern angesehen und mehr als 35.000 Videos pro Tag hoch geladen. Und dass, obwohl das Start-Up erst im Dezember 2005 seinen offiziellen Launch erlebte und bei weitem nicht der einzige Filmanbieter in einem hart umkämpften Markt ist. Das Video mit den meisten, nämlich fast 25 Millionen Views, obwohl erst seit zwei Monaten online, ist übrigens die 6-minütige Tanzparodie „Evolution of Dance“, die den Komödianten Judson Laipply quer durch verschiedene Pop- und Rock-Stilrichtungen der letzten 50 Jahre Musikgeschichte tanzen lässt.

Marktanteile von Online-Video-Anbietern in den USA. Quelle: Hitwise

So ist laut einer Studie des US-amerikanischen Online-Marktforschers Hitwise allein der Marktanteil von Internet-Visits der führenden zehn Online Video Sites zwischen dem 25. Februar 2006 und dem 20. Mai 2006 um 164 Prozent gestiegen. LeeAnn Prescott, Datenanalystin bei Hitwise, sieht darin einen massiven Wandel beim Online-Nutzungsverhalten:

The rapid growth of online video sites in the past six months demonstrates a major shift in online behavior" urteilt LeeAnn Prescott. "The Internet is quickly moving from static web pages to an environment rich with interaction and user generated multimedia content.

Sämtlichen Videowebsites ist gemeinsam, dass sie Online-Video mit Social Networking verbinden, indem sie Usern eine einfach zu bedienende technische Infrastruktur zur Verfügung stellen und darauf hoffen, dass die User sie mit Inhalten füllen sowie kommunikative Beziehungen aufbauen und pflegen. Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Angebotsmenge und –struktur, ihrer Benutzerfreundlichkeit beim Hoch- und Runterladen, setzen auf unterschiedliche Geschäftsmodelle (Werbung, Sponsoring, kostenpflichtig oder kostenfrei), ihrer Funktionalitäten (nur Webspace zur Verfügung stellen oder bspw. Schnittfunktionen), ihrer Distributionsform (Download vs. Streaming), ihrer Suchstrategien, ob sie einen zentralen Server verwenden oder auf Peer-to-Peer-Technologie setzen, und nicht zu letzt hinsichtlich ihres Grads an Laissez-Faire und Kontrolle bei der redaktionellen Mitarbeit.

Insofern bietet dieser Artikel auch nur eine erste grobe Übersicht darüber, in welch rasantem Tempo sich Fakten und Zahlen bei Online-Film sich derzeit entwickeln. Eine Vertiefung einzelner Aspekte in weiteren Telepolis-Artikeln ist aber in loser Folge geplant, so z. B. ein Überblick über die aktuellen „Majors“, ihre Geschäftsmodelle und Angebot. Darüber hinaus wird es einen Versuch geben, wie man sich im überbordenden Angebot zwischen Karaoke singenden Koreanerinnen, fahrradfahrenden Dalmatinern und Müttern, die ihre Babys stillen, überhaupt noch orientieren kann. Der auf den ersten Blick unmöglich erscheinende Versuch, die Perlen im Heuhaufen zu finden, bedingt zwangsläufig, sich mit Such-, Vernetzungsstrategien und sozialer Software wie auch mit den urheberrechtlichen Problemen, mit denen die meisten dieser Sites zu kämpfen haben, auseinander zu setzen.