ZDF-Serie "Concordia": Das Wokistan der Zukunft

KI-generiertes Bild zeigt eine Stadt mit einem prägnanten Hochhaus vor Bergen und  konzeptionellen Quer-und Längsachsen an der Seite des Bildes

"Concordia - Tödliche Utopie". ZDF und Serviceplan / KI-generiert. Bild: ZDF, Presseportal

Big Sister is watching you: Die Near-Future-Serie zeigt die Gefahr totaler Überwachung im Zeichen des Matriarchats aus dem grün-schwarzen Zeitgeist. Kritik.

Wir sind als Gesellschaft immer dann am stärksten, wenn wir unsere Schwächsten stützen.

Werbeclip innerhalb der Handlung

Eine schwedische Modellstadt

Eine schwedische Modellstadt, bei der alles sicher und gut funktioniert, weil sie sich von KI überwachen lässt: Concordia. Überall gibt es Kamera, sogar in Privatwohnungen. Allen geht es gut, solange nur alle Ihre Daten preisgeben.

Warum machen das die Leute mit?

Es gibt drei Gründe dafür. Der erste Grund ist ein sehr spezieller. Vor 20 Jahren hat es in der Stadt Concordia einen Amoklauf an einer Schule gegeben. Der hat die Leute bereit gemacht, sich auf völlig neue Methoden der Sicherheit einzulassen.

Der zweite Grund: Es guckt kein Mensch zu, sondern eine KI. Und erst wenn diese KI Auffälligkeiten bemerkt, dann setzt auf einer zweiten Ebene der polizeiliche, menschliche Sicherheitsmechanismus ein.

Der dritte Grund ist ein ganz profaner und menschlich-allzumenschlicher: Es ist bequem.

Frisch der Gehirnwaschmaschine entstiegen: "Inklusion! Gleichberechtigung!"

"Außerhalb von Concordia wird man überall überwacht."

"Sie sind ehrlich, was den Umgang mit den Daten angeht. Wie wir davon profitieren."

"In Concordia machen sie kein Geheimnis aus den Kameras."

"Das System unterstützt uns und wir unterstützen uns gegenseitig."

Zu Anfang jeder Folge fallen solche Sätze, hintereinander geschnitten wie in einem Werbeclip zur Gewinnung von Neumitgliedern für Concordia. Die Sprech-Haltung dieser Menschen ist leicht defensiv, latent rechtfertigend.

Gesprochen werden die Sätze von Durchschnittsbürgern von Concordia, unter denen (natürlich?) das schwule Paar mit Kind ebenso wenig fehlen darf, wie ein hoher Anteil nicht-weißer Menschen.

Denn wir befinden im Wokistan der nahen Zukunft, im "Wet Dream" der gegenwärtigen grün-schwarzen "Neuen Mitte", in einer Welt, in der alle Menschen so reden, als wären sie frisch der Gehirnwaschmaschine entstiegen:

"Inklusion! Perspektiven!! Gleichberechtigung!!!"
"Offenheit! Ich muss mich ausdrücken können."
"Chancengleichheit, egal, woher man kommt, wie man sein Leben führen will oder wie man lebt."
"Eine Gemeinschaft, die dafür sorgt, dass jede individuelle Entscheidung respektiert wird."
"Eine Gemeinschaft, der Gleichberechtigung am Herz liegt."
"Es geht einfach um den Schutz unseres Rechts auf persönliche Entscheidung und persönliche Freiheit."
"Das sind nicht nur Worte."
"Unsere Kultur ist das Fundament unserer Gemeinschaft."

Neoliberale Buzzwords wie "Empowerment" und "Achtsamkeit"

Diese Clips sind die interessantesten Passagen der ganzen Serie, denn sie strotzen von neoliberalen Buzzwords wie "Empowerment" und "Achtsamkeit". In ihnen dominiert der Neusprech der Gegenwart: "Sicherer", "gesünder", "umweltfreundlicher" – die neoliberalen Versprechen.

"Sicherheit", "abgesichert sein", "die KI beschützt den Mensch", "das geht alles Hand in Hand", "eine Gemeinschaft, wie wir sie noch nie erlebt haben" "Machtmissbrauch findet für gewöhnlich im Verborgenen stand. Aber in Concordia bleibt nichts verborgen." "Nennt uns ruhig crazy, verrückt, na gut, dann spinne ich wohl."

Gläubige einer neuen Religion

Offensichtlich stehen all diese Gläubigen einer neuen Religion unter einem seltsamen Bann:

"Es ist alles zu unserem Schutz."

"Die Anderen dachten, ich wäre irre geworden."

Die Leute wirken wie Angehörige einer Sekte, die vorher auswendig Gelerntes reproduzieren, schlechte Schauspieler, die ihre Texte können, aber nicht Authentizität vorspielen.

Das gute Gefühl, immer und überall "das Richtige zu tun"

Alles ist grün, sicher, superschön, alle kümmern sich um alle, niemand ist arm und obdachlos, und hässlich, Krankheiten werden rechtzeitig erkannt, öffentlicher Verkehr kostet nichts.

Totale Überwachung als Versprechen: Dies ist eine Serie, die wie gemacht scheint für unsere von untergründiger Angst durchzogene Gegenwart, eine Gegenwart in der man im Land auf öffentlichen Plätzen immer mehr Überwachungskameras aufstellt, und an Freibädern die Taschen auf Messer durchsucht, aber an der Grenze keine Grenztruppen dulden will.

Und in denen eine Utopie vor allem Sicherheit verspricht und das gute Gefühl, immer und überall "das Richtige zu tun", sich zu optimieren.

Gedämpfte Form von "Near Future"-Drama

Die ZDF-Serie "Concordia – Tödliche Utopie", die in dieser Woche ausgestrahlt wurde und in der ZDF-Mediathek abrufbar ist, wurde in Deutschland, Frankreich, den USA und Japan und in englischer Sprache mit internationalem Schauspielercast produziert. Regie führte die Österreicherin Barbara Eder. Die Serie zielt also erkennbar auf eine internationale Vermarktung.

Es handelt sich um eine gedämpfte Form von "Near Future"-Drama, also der Kombination von Science-Fiction mit Elementen des Paranoia-Thrillers und der Gegenwartskritik.

Dabei geht es in diesem Film weniger um die modische KI-Thematik, über die der Film gerade zum Serienstart vermarktet wurde, als um klassische Szenarien der Überwachungstechnologie und der Verunsicherung der Menschen durch sie. Es ist so, wie auch Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, im Vorfeld der Serie in einem Interview bemerkte.

Es geht hier gar nicht um KI, sondern es geht um den Missbrauch von Daten.

Und um den Gebrauch von Daten, der von Missbrauch heute kaum zu unterscheiden ist. Auch vollkommen ohne die großartigen neuen KI-Technologien und ihren Nutzen und Gefahr.

Datensätze sind Goldminen

Datensätze in riesigem Ausmaß sind die heiligen Hallen unserer Zeit. Information ist die Währung der Gegenwart und Zukunft.

Daten sind Goldminen. Die Feinde dieser Konzerne sind nicht die längst verbündeten Politiker aller Parteien, sondern Anti-Überwachungsgruppen, die auch hier vorkommen, aber zwischen irrem Fanatismus und sympathischer Schwäche recht blass bleiben.

Aber wie sicher kann die Sicherheit sein? "Community Offiziere" kontrollieren die Menschen:

"Wir beugen Verbrechen vor, statt sie aufzuklären."

Und die Überwachung ist total:

"Wir installieren eine Firewall. Glaub mir, durch die Firewall kommt niemand an deine persönlichen Daten."

Wir sehen einen Bildschirm. Und den Namen der beobachteten Person dazu.

Die Chefs des Ganzen behaupten: "Datenschutz ist existenziell. Wir dürfen keinesfalls Material freigeben, das die Privatsphäre irgendeiner Person verletzt."

Genau das passiert aber. Ein "Community Offizier" wird ermordet. Offenbar hat er Personen privat ausspioniert, und das Material an Überwachungsgegner weitergegeben.

Das ist der Kriminalplot, der die Handlung der sechsteiligen Serie vorantreibt.

Das neue Matriarchat: Kaum noch weiße Männer in dieser nahen Zukunftswelt

Am interessantesten ist aber wieder einmal der Blick, der hier über den Umweg über die Zukunft auf die Gegenwart geworfen wird.

Da ist zum einen das Feld der sogenannten "Diversität", zum anderen die sogenannte "Gleichberechtigung", die beide vor allem etwas über die Verkaufsgelüste und -erwartungen der produzierenden Sender aussagen: Es gibt nämlich kaum noch weiße Männer in dieser nahen Zukunftswelt.

Weiße Frauen allerdings sehr wohl. Gespielt von Christiane Paul, Ruth Bradley und Karoline Eichhorn beherrschen und regieren sie Konzerne wie Politik. Etwa "Sachsens Ministerpräsidentin Hanna Bremer", die in ihrer Mischung aus Härte und Empathie auch Annalena Baerbock heißen könnte.

Frauenmacht ist die Regel, längst hat das Patriarchat abgedankt, längst hat sich ein neues Matriarchat durchgesetzt, genauso wie die diverse Gesellschaft – oder sind das alles nur persönliche Fantasien der Macher?

Softies mit Hipsterbart

Die Männer haben mehrheitlich nicht-weiße Hautfarbe, heißen Azeem, Oba und Noah. Oder sie sterben. Die wenigen übrigen weißen Männer tragen dunkle Hipstervollbärte. Ein Ehegatte einer Chefin ist ein vorbildlicher (?) sensibler Softie, Hausmann und Vater, der sich selbstverständlich um die Kinder kümmertund mehr Zärtlichkeit einfordert, während die Frau Karriere macht.

Als er die erwünschte Zuneigung nicht bekommt, ist er vergebend und verständnisvoll. Soll das die neue Geschlechtergerechtigkeit im ZDF-Fernsehen sein? Traditionelle Frauenrollen auf Männer übertragen und umgekehrt, statt echte Gleichberechtigung?

Zugleich verdienen hier vor allem Asiaten und schwarze Männer Misstrauen.

Zum "besseren" Leben erziehen

So richtig geglückt ist das alles trotz guter Ansätze nicht. Zu viel Beflissenheit und Wokeness, zu wenig Mut gegen politische Korrektheit zu verstoßen und amoralisch zu sein. Und fast gar keine Ambivalenz. Schon gar nicht in den Figuren.

Auch die Süddeutsche Zeitung kritisiert: "die Macher versuchen so international, woke und weitsichtig zu sein, dass sie sich ordentlich verheben".

Zu viel "wichtige" Themen werden hier noch in die Handlung hineingequirlt: Demenz, gleichgeschlechtliche Liebe, Schulmassaker, Klimawandel und eben KI; nur getankt wird noch mit Benzin - das Publikum soll offenbar inmitten aller Unterhaltung noch zum "besseren" Leben erzogen werden. Aber man kann das inzwischen nicht mehr sehen.

So erzählt "Concordia - Tödliche Utopie" eigentlich davon, wie die neoliberale Utopie zur Dystopie wird, wie sich gut gemeinte Ideen in Horrorszenarien und Repression verwandeln.