Zahlen statt Hysterie: Was Russland wirklich kann – und was nicht
Seite 2: Die absurde "Mad-Man"-Theorie
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Vor allem unterstellen die Expansionsvertreter, dass die russische Führung suizidal-irrational veranlagt ist (also die Realität komplett ausblendet) und die eigene Zerstörung wie die der ganzen Welt in einem (atomaren) Schlagabtausch mit der Nato anvisiert. Denn das wäre die Folge eines russischen Feldzugs gegen das Bündnis.
Diese "Mad-Man"-Annahme (Putin ist ein unberechenbarer Psychopath, der zu allem fähig ist), unterfüttert mit "Putin-gleich-Hitler"-Vergleichen, verträgt sich aber nicht mit den Attacken auf diejenigen, die auf die Welt- und Atomkriegsgefahr im Ukraine-Krieg verweisen. Das wird als "Putin-Propaganda" abgetan, um die vom Westen ermöglichte Ukraine-Kriegseskalation von Kritik abzuschirmen.
Jetzt wird demgegenüber unterstellt, dass Putin nicht irrational handeln würde, wenn die Nato ihn in die Enge drängte und die russischen Truppen aus der Ukraine vertriebe – was ja das Ziel von Kiew sowie seinen militärischen Unterstützern ist. Nun geht man davon aus, dass die russische Führung nicht auf Eskalation um jeden Preis setzen würde (z.B. mit Angriffen auf Nato-Einrichtungen oder dem Einsatz taktischer Nuklearwaffen), sondern rational handelt und Putin friedlich seine Koffer packt.
Russland mit solch absurden, sich selbst widersprechenden Unterstellungen zu dämonisieren, um die sicherlich kriminelle Invasion zu einem Auftakt für einen Angriff auf ganz Europa zu stilisieren und den Kontinent gegen Russland massiv aufzurüsten, ist fatal.
Europäer sollten den USA folgen
Die Europäer sollten endlich die Realität zur Kenntnis zu nehmen und eine Chance darin sehen, dass die USA endlich wieder mit Moskau reden, und mithelfen, die Lage zu entspannen und Verhandlungen voranzutreiben.
Die Lösung wird, wie immer sie aussieht, Ungerechtigkeiten für die Ukraine in sich bergen und den Aggressor in gewisser Weise belohnen. Aber das ist kein Appeasement, sondern der einzige realistische Weg, die Gefahren zu bannen, den Konflikt zu entschärfen und das sinnlose Sterben zu beenden.
Durch die Neuausrichtung der Ukraine-Politik im Zuge der US-Regierung unter Trump hat sich die Verhandlungsposition, wie schon angedeutet, bereits verschoben und ein Fenster für Diplomatie geöffnet. Die Ukraine ist jetzt bereit zu Verhandlungen mit Russland und verlangt nicht mehr die vollkommene Kapitulation von Moskau.
Es gibt keine absoluten Sicherheitsgarantien
Beim Streit mit Trump und Vance wurde darüber hinaus klar, wo der aktuelle Streitpunkt liegt. Selenskyj, wie auch die "Koalition der Willigen" in der EU, verlangen absolute Sicherheitsgarantien für die Ukraine, dass Russland nie mehr in die Ukraine eindringen kann.
Es wird gefordert, dass westliche Truppen auch aus Nato-Staaten als Friedensarmee auf ukrainischem Boden stationiert werden. Das ist aber schlicht nicht umsetzbar und wurde von Moskau wiederholt abgelehnt. Daher wird es richtigerweise von der Trump-Regierung als unrealistisch eingestuft. Denn es würde für Russland einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine gleichkommen.
Schließlich war es gerade die Verhinderung einer möglichen Nato-Mitgliedschaft der Ukraine, für die Russland in den Krieg gezogen ist. Diesen Vorschlag nun als Bedingung für Verhandlungen einzubringen, ist daher entweder unbrauchbar oder ein Versuch, die Verhandlungen weiter zu boykottieren.
Bedingungen für Frieden
Das Quincy Institute hat in einer aktuellen Studie drei Bedingungen für einen nachhaltigen Frieden aufgelistet, die Russland akzeptieren könnte:
1. Weitere Unterstützung der Ukraine, wenn es um Verteidigungswaffen geht, aber keine Langstreckenraketen, die tief in Russland eindringen könnten.
2. Stationierung von Friedenstruppen der Vereinten Nationen, deren Soldaten aus Ländern des Globalen Südens kommen sollten, die Putin als "globale Mehrheit" bezeichnet. Es würde der Ukraine dadurch Sicherheit garantieren. Denn Russland würde kaum das Risiko eingehen, auf Streitkräfte aus den befreundeten Brics-Staaten Brasilien, Indien, China und Südafrika zu schießen und sie zu töten.
3. Die Friedensregelung muss die Bedürfnisse von der Ukraine und Russland in Verhandlungen vermitteln und Kompromisse diplomatisch erarbeiten. Der Glaube der Europäer, Russland einen Frieden aufzuzwingen, der nicht mit Moskau verhandelt wird, ist zum Scheitern verurteilt.
Der langjährige UN-Berater Jeffrey D. Sachs verweist zudem darauf, dass man an die Friedernsvereinbarung von März 2022 zwischen Russland und der Ukraine, das sogenannte Istanbul Communique, anknüpfen könnte. Darüber hinaus müsste ein ständiger Dialog und Diplomatie zwischen Russland und den USA, aber auch mit Europa eingerichtet werden, wie Zachary Paikin und Thomas Graham vom Better Order Project erklären. Mit einem Krisenkonsultationsmechanismus könnte die internationale wie europäische Sicherheitsarchitektur wieder stabilisiert werden.
800 Milliarden für Kriegstüchtigkeit
Die Europäer sind bisher nicht bereit, die gangbaren Wege zu einer diplomatischen Beendigung des Kriegs anzuerkennen. Bei Gesprächen in Brüssel am Donnerstag wurde im Angesicht der US-amerikanisch-russischen Gespräche hingegen ein massives EU-Aufrüstungsprogramm angekündigt im Wert von 800 Milliarden Euro, um Russland die Stirn zu bieten.
Dafür sollen selbst die ansonsten ehernen Grenzen fürs Schuldenmachen aufgeweicht werden. In Deutschland will man ebenfalls die Schuldenbremse, allerdings nur für Aufrüstung, aufheben, um mehr Geld fürs Militär ausgeben zu können. CDU/CSU und SPD haben sich dabei auf die Einrichtung eines Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro geeinigt, dass insbesondere der Bundeswehr zufließen soll.
Im Rüstungsrausch
Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) spricht gleichzeitig davon, dass sich die Militärausgaben in den nächsten Jahren verdoppeln müssten auf drei Prozent des BIP. Das wären dann 100 Milliarden Euro jedes Jahr für Panzer, Kampjets, Waffen und Soldaten, weil Russland angeblich Deutschland und Europa bedroht.
Innerhalb der Nato benötige man für die "Kriegstüchtigkeit" in Zukunft nicht mehr zwei, sondern 3,6 Prozent des BIP von jedem Nato-Bündnisstaat, so der Verteidigungsminister. Wen wundert es, dass die Aktien von Rüstungskonzernen wie Rheinmetall, die seit dem Ukraine-Krieg immer neue Rekordhöhen erreicht haben, "kein Halten mehr" kennen, seit Europa den "Rüstungsturbo" endgültig eingeschaltet hat.
Wie Entspannungspolitik entsorgt wird
Statt auf Diplomatie, Deeskalation, die Errichtung einer inklusiven Sicherheitsarchitektur für ganz Europa, setzt die EU auf "full metal jacket". Es scheint so, als ob Aufrüstungs- und Kriegshardliner die Konfliktsituation nutzen können, um die Reste von Entspannungspolitik auf dem Kontinent zu entsorgen und Europa zu einem aggressiven Player auf der Weltbühne aufzubauen. Es sind die Träume von militarisierten Geopolitikern, die nun in Erfüllung gehen.
Dass sich die EU von den USA abnabeln wollen, ist ein an sich zu begrüßender Schritt. Aber doch nicht, um eine Kopie der US-Militärmaschine mit konfrontativer Ausrichtung auf dem Kontinent zu errichten. Es ist erschreckend zu sehen, wie wenig Einspruch in der breiteren Öffentlichkeit gegen diesen historischen Vorgang in Deutschland und Europa zu vernehmen ist.
Der erste Teil der Analyse ist: "Verkehrte Welt: Die USA wollen Entspannung, die Europäer Krieg". Darin wird gezeigt, wie die Diplomatie-Blockade anhält, obwohl das schwere Folgen nach sich zieht.