Zarenschlamm und ukrainische Gesänge

Blick auf den Hafen von Jalta. Bild: U. Heyden

Die Krim wird zum Magneten für russische Touristen. Auch Ukrainer kommen immer noch, als Urlauber und - wegen der höheren Löhne auf der Halbinsel - als Arbeitsmigranten

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Wer am Ostrand von Jalta wohnt hat es gut. Aus dem angrenzenden Park klingt ein ganzes Vogel-Orchester. Eine Nachtigall, oder sind es gar mehrere?

Von der Pension Massandra, einem preisgünstigen Hotel, sind es bis zum Strand nur 15 Minuten zu Fuß. Auf dem Weg komme ich mit einem jungen Bauarbeiter ins Gespräch, der Säcke mit Zement auf eine Schubkarre lädt. Er verdiene 800 Rubel am Tag, das sind im Monat 24.000 Rubel (320 Euro), sagt der etwa 28jährige. Das ist doppelt so viel wie der Durchschnittslohn in der Ukraine.

Der junge Mann kommt aus einem Ort in der Ukraine, der 300 Kilometer von der Krim entfernt liegt. Er habe nur einen ukrainischen Pass, wohne aber schon seit sieben Jahre in Jalta. Sein Aufenthaltsrecht auf der Krim müsse er nun vor Gericht erstreiten, erzählt der junge Mann. Zurück in die Ukraine wolle er auf keinen Fall. Seine Eltern erzählten Schreckliches, die Preise würde steigen, es gäbe keine Arbeit und junge Soldaten würden in ihren Panzern eingeschweißt, damit sie im Donbass für die Ukraine kämpfen.

Es ist noch früh. Touristen sind erst wenige zu sehen. Ich gehe das Steilufer hinunter zum Strand. In einem Café bekomme ich einen leckeren Espresso und ein paar Blinis (Pfannkuchen) mit Smetana (saurer Sahne). Es weht eine leichte Brise. Ich lausche den Wellen, die auf Kieselstrand aufschlagen. In der Ferne sieht man im Morgendunst den Hafen von Jalta.

Der Inhaber des Cafés ist, wie sich herausstellt Ukrainer und hat den Kaffee selbst zubereitet. Er schimpft ungeniert auf die neue Ordnung. Die Beantragung von Lizenzen dauere länger als früher, es gäbe viele neue Gesetze und ukrainische Touristen kämen nur noch wenige. Als ich ungläubig nachfrage, meint er, naja, reiche Ukrainer kämen noch.

Wenn die offizielle Touristenstatistik stimmt, sieht die Lage auf der Krim besser aus, als die Situationsbeschreibung des Café-Besitzers. Den Rückgang von Touristen aus der Ukraine konnte die Halbinsel mit Touristen kompensieren, die aus Russland kommen. 2015 waren 4,2 Millionen Touristen auf der Halbinsel. Dieses Jahr sollen es 4,9 Millionen werden. Zu Sowjetzeiten verbrachten auf der Krim bis zu zwölf Millionen Menschen im Jahr ihren Urlaub. Ähnlich hohe Zahlen hofft die Verwaltung der Krim bald wieder zu erreichen. Die Türkei und auch Ägypten wird nach dem Anschlag auf ein Passagierflugzeug von Russland als Urlaubsland boykottiert. So wird die Krim zur Urlaubs-Alternative.

Plakattext: "Krim. Russland. Für immer". Bild: U. Heyden

Phantomschmerzen der Ukrainer

Oleg (Name geändert) ist Mitarbeiter des Edel-Hotels Sosnowaja Roscha, südwestlich vom Stadtzentrum Jalta. Er erzählt, dass die ukrainischen Touristen "sehr politisiert" seien. "Sie schimpfen auf Russland. Sie denken, dass hier auf der Krim alle mit Maschinenpistolen rumlaufen und Panzer auf der Straße fahren. Die reichen Leute verstehen, was hier passiert, aber sie sind so politisiert. Sie denken, hier ist eine Diktatur. Doch wenn sie kommen wundern sie sich."

Hotel Sosnowaja Roscha. Bild: U. Heyden

Viele Ukrainer würden denken, "dass Russland in drei Tagen zusammenbricht und wir auf die Krim zurückkehren. So eine Information bekommen sie da über ihre Medien." Im letzten Jahr seien viele ukrainische Touristen in ihren Wischiwankis (Hemden im ukrainischen Stil) und mit ukrainischen Flaggen herumgelaufen. "Sie saßen abends in den Bars und sangen die ukrainische Nationalhymne. Irgendwie war das kein normales Verhalten", meint Oleg. Was man mit den Touristen mache, die sich mit ukrainischen Flaggen auf irgendwelche Bergspitzen stellen? "Wenn sie zu aggressiv werden, kann es schon sein, dass Jemand die Polizei holt."

Auf der Krim werde jetzt aufgeräumt, erzählt Oleg. "Die Schrauben werden angezogen." Jetzt könne "nicht jeder einen Palast am Meer bauen, in einem Stil, wie es ihm gerade gefällt".

Als krim-tatarische Nationalisten im November letzten Jahres alle vier Stromleitungen aus der Ukraine auf die Krim sprengten, hätten seine Verwandten in der Ukraine gesagt, "ohne die Ukraine überlebt ihr nicht". Aber Panik habe es nicht gegeben. Stromsperren kenne man auf der Krim noch aus der Zeit, als Julia Timoschenko Ministerpräsidentin war. "Damals wurde die Elektrizität bis zu fünf Stunden abgeschaltet." Nach dem Strom-Blackout habe das russische Notstandsministerium Feldküchen und Wärmezelte aufgestellt.

Die russische Regierung ließ im Dezember 2015 in Windeseile Unterseekabel für Stromlieferungen vom russischen Festland auf die Halbinsel verlegen. Es war eine technische Meisterleistung. Seit dem 12. Mai 2016 sind alle vier Kabel in Betrieb. Inklusive eigener Stromgenerierung verfügt die Krim jetzt über 1.270 Megawatt Strom, was den Bedarf deckt. Im Herbst sollen zusätzlich noch zwei Gaskraftwerke in Betrieb genommen werden.

Und es gibt noch eine weitere Großbaustelle: Für eine 19 Kilometer lange Auto-und Eisenbahnbrücke zum russischen Festland über die Meerenge von Kertsch werden Pfähle in den Meeresgrund gerammt. Die Brücke soll im Dezember 2018 in Betrieb gehen.

Ob es während des Strom-Blackouts Witze über Putin gab? "Nein", meint Oleg. "Die meisten sind für ihn. Naja, soviel Leute, so viele Meinungen. Ja, es gibt Leute, die auf ihn schimpfen. Aber ich bin der Meinung, wir werden alles überleben. Wir sind nach Hause gekommen." "Nach Hause" heißt in diesem Fall "nach Russland". "Man sagt, wir hätten unter den Gewehrläufen abgestimmt. Aber das stimmt nicht. Der 16. (März 2014, U.H.) war ein windiger Tag. Ein Feiertag. Alle gingen zu dem Referendum."

In der Innenstadt von Jalta. Bild: U. Heyden

Krankenschwester Lidia schwärmt von deutschen Rentnern

Ich bin neugierig geworden, welche Leistungen das Hotel Sosnоwajа Roscha so bietet. Oleg führt mich durch das Schwimmbad, die Sauna und dann zu Lidia. Die Krankenschwester arbeitet in der medizinischen Abteilung mit "Zarskaja Grjas" (Zarenschlamm). Das ist heilend wirkender, weltweit bekannter schwarzer Schlamm, der an der Westküste der Krim an einem See bei dem Ort Saki gewonnen wird.

Es ist vormittags und noch sind keine Patienten da. Alles ist pikobello sauber. Der Schlamm liegt bei 38 Grad in dicken Klumpen im Wärmeofen. 80 deutsche Rentner seien vor drei Jahren für zwei Wochen im Hotel gewesen. Sie seien extra wegen den Schlammpackungen gekommen.

Als Beweis holt Lidia ein Schild mit der Aufschrift "Moorbäder", hängt es an die Tür und lacht, als ob sie es kaum erwarten könne, dass bald wieder eine Horde deutscher Rentner vorbeikommt. Die Preise für die Schlammpackungen sind zivil und Lidia erklärt mit einem schelmischen Lächeln, der Schlamm helfe auch bei Männer- und Frauen-Leiden. Sie erzählt etwas von einer "Unterhose" aus Schlamm und dem Einführen der heilenden Masse in bestimmte Körperöffnungen. Dass die Russen nicht prüde und sehr praktisch veranlagt sind, ist mir schon länger bekannt. Aber Lidia setzte mich mit ihren Beschreibungen doch erneut in Erstaunen.