Zarenschlamm und ukrainische Gesänge

Seite 3: Minaretts und tatarische Restaurants

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Wer mit dem Bus über die Krim fährt sieht in vielen Orten Minarette und von Krim-Tataren geführte Cafés und Restaurants. Was die größte Änderung im Leben der Krim-Tataren in den letzten zwei Jahren war, will ich von Edip Gafarow, dem Vorsitzenden des Krim-Parlamentskomitees für zwischennationale Beziehungen wissen. "Wir haben die Rehabilitierung erhalten, auf die wir 25 Jahre gewartet haben. Unser Krim-tatarisches Volk ist offiziell rehabilitiert", erklärt Gafarow, der selbst Krim-Tatare ist und im usbekischen Samarkand geboren wurde. Im Mai 1944 waren 183.000 Krim-Tataren als "Verräter" nach Zentralasien deportiert worden.

Edip Gafarow. Bild: U.Heyden

Welche praktischen Auswirkungen die Rehabilitierung heute habe? "Jeder der die Bescheinigung hat, dass er rehabilitiert ist, hat Ansprüche auf Lgoty (soziale Vergünstigungen). Alle rehabilitierten Pensionäre bekommen einen monatlichen Zuschlag von 500 Rubel (6,75 Euro) auf ihre Rente. Die Rehabilitierten haben das Recht kostenlos Land und eine Wohnung zu bekommen."

Der 63 Jahre alte Gafarow vertritt als Parlaments-Komitee-Vorsitzender nicht nur die Interessen der 232.000 Krim-Tataren, die man 2015 bei der Volkszählung ermittelte, sondern auch alle anderen Minderheiten auf der Halbinsel, wie Armenier und Bulgaren. "Wir haben 175 Nationalitäten auf der Krim", erzählt Gafarow stolz.

Angesprochen auf die Spaltung zwischen gemäßigten und radikalen Krim-Tataren sagt Gafarow: "Es gibt keine Spaltung. Wer arbeiten und sich einrichten will, arbeitet. Wer nicht arbeiten und sich nicht einrichten will, für den ist es egal, an welchem Ort er lebt. Er kann sich an jedem beliebigen anderen Ort das finden, was er sucht."

Ob der neue krim-tatarische Fernsehsender "Millet" in Simferopol auch Diskussionen mit den Tataren führe, die Kiew unterstützen? Der Fernsehsender habe sich "gerade erst eingerichtet", meint Gafarow. "Wahrscheinlich wird es solche Diskussionen geben." Sehr bestimmt klingt das nicht.

Dass Putin mit der Rehabilitierung der Krim-Tataren ernst macht, zeigte sich auch am 18. Mai, als auf der Halbinsel dem 72. Jahrestag der Deportation der Krim-Tataren gedacht wurde. An der Eisenbahnstation Siren (Flieder) im Rayon Bachtschyssaraj im Südteil der Halbinsel wurde an dem Gedenktag der erste Abschnitt eines Gedenkkomplexes zur Deportation von 1944 eingeweiht, zu dem auch ein Viehwaggon gehört, in dem die Menschen 1944 nach Zentralasien deportiert wurden. Der Waggon wurde nach Originalunterlagen nachgebaut. Mullah Refat Sedljajew erklärte, er sei Wladimir Putin dankbar, dass er den Vorwurf des Verrats vom Volk der Krim-Tataren genommen habe. Heute könne er mit Stolz sagen, dass er Krim-Tatare ist.

Allgegenwärtiger Putin

Im Hafen von Jalta dümpeln Jachten, Barkassen und Ausflugsschiffe. Die Restaurants und Cafés sind voll. Gegen Abend, wenn hinter den Bergketten die Sonne untergeht, ist an der Hafenpromenade noch viel los. Rollschuhfahrer, Kinder auf Tretmobilen, Radfahrer und Fußgänger tummeln sich auf dem großen Platz zwischen Hafenbecken und Lenin-Denkmal.

Der Blick schweift über die Bucht und bleibt an einer Mauerfassade hängen. Da hat Jemand ein riesiges Gemälde angefertigt. Putin mit verspiegelter Sonnenbrille und aufgekrempelten Ärmeln steht hinter einem mächtigen Schiffssteuerrad. Daneben fliegt ein russisches Kampfflugzeug, das einen Schweif in den russischen Farben hinter sich herzieht.

Mitte: "Er gab die Krim - er nahm die Krim"; rechts: "Wir warten auf Sanktionen". Bild: U. Heyden

Putin ist auf der Krim allgegenwärtig. An den Straßen der Halbinsel hängen Plakate mit dem freundlich blickenden russischen Präsidenten. Darunter liest man den Slogan "Krim - Russland - Für immer". Ansonsten sind nur blaue Plakate mit der gelben Aufschrift LPDR zu sehen. Sie werben für die Partei des Ultrapatrioten Wladimir Schirinowski.

Das Gebiet rund um den Hafen von Jalta ist voller neuer oder frisch renovierter Hotels. Da ist das Hotel Oreandа, Baujahr 1907, mit seinen langgezogenen Balkons. Vor dem Hotel steht ein Denkmal des 1993 verstorbenen sowjetischen Schriftsteller, Julian Semjonow, der auf der Krim viele seiner Detektiv-Romane schrieb.

Auf der Krim arbeite es sich "leicht und mit Freude", soll Semjonow einmal gesagt haben. Im Hotel Oreanda leitete der Schriftsteller zu Lebzeiten Tagungen der Internationalen Assoziation der Schriftsteller für Detektiv- und politische Romane.

Berühmt wurde Semjonow unter anderem durch sein in den 1970er Jahren verfilmtes Buch "17 Augenblicke des Frühlings". Die fiktive Geschichte handelt von dem sowjetischen Spion Max-Otto von Stierlitz, der, getarnt als SS-Standartenführer im Berliner Reichsicherheitshauptamt arbeitete.

Vor dem prunkhaften Hotel Villa Jelena - Baujahr 1912, zu Sowjetzeiten genutzt als Krankenhaus - komme ich mit ein paar Taxifahrern ins Gespräch. Einer der Fahrer erregt sich über eine einseitige Berichterstattung des russischen Fernsehens. In den 1990er Jahren, als sich die Ukraine gerade unabhängig gemacht hatte, hätte das Moskauer Fernsehen berichtet, auf der Krim gäbe es "viele Kriminelle und schlimme Tataren". Jetzt, wo die Krim zu Russland gehörte, sei es nach Meinung des Moskauer Fernsehens auf der Krim ruhig und friedlich.

Die Beschreibung "ruhig und friedlich" entspricht allerdings der Realität, wenn da nicht ab und zu radikale Krim-Tataren, die den Anschluss an die Ukraine fordern, festgenommen werden.