Zentralrat der Juden will gegen Provider vorgehen
Unklar bleibt, ob man die Regierung und die Provider dazu bringen will, auch den Zugang zu Hassseiten in anderen Ländern für Deutsche nach Schweizer Vorbild zu blockieren
Der Erfolg der Schweizer Antifaschisten, große Schweizer Provider dazu gebracht zu haben, den Zugriff auf einen Server in den USA zu sperren, der Webhosting ausschließlich für Rassisten anbietet (Schweizer Provider sperren Zugang zu amerikanischer Website), könnte den Zentralrat der Juden in Deutschland dazu gebracht haben, wieder eine ähnliche Forderung zu stellen.
Auf der letzten Sitzung, so sagte der Vizepräsident des Zentralrats, Michael Friedman, gestern gegenüber der Presse, habe man beschlossen, gegen Internetprovider zu klagen, die, so stand es in einer Meldung der Frankfurter Rundschau, "Zugang zu so genannten Hass-Seiten mit rassistischem und rechtsextremem Inhalt ermöglichen", oder, so der Tagesspiegel, die "so genannte 'Hass-Seiten' anbieten". Der Unterschied wäre freilich nicht unerheblich, denn einmal ginge es darum, gegen Internetprovider vorzugehen, die selbst entsprechende Websites hosten, das andere Mal wären Internetprovider auch dann in der Ziellinie des Zentralrats, wenn sie nur einen Zugang auf Websites ermöglichen, die auf anderen Servern irgendwo in der Welt liegen. Hier ginge es also darum, das globale Web entweder zu kontrollieren, also zu einer unwahrscheinlichen weltweiten Rechtssprechung zu kommen, oder nationale Grenzen derart in das Web einzuführen, dass Provider durch Filter jeweils den Zugang zu Inhalten für die Bürger eines Landes sperren müssen, für die dies verboten ist.
Unklar bleibt an dem Beschluss des Zentralrats, zumindest wie die (Online)Presse diesen übermittelt, also einiges, wenn nicht gar das Wesentliche. Unbenommen und richtig ist es, wenn der Zentralrat Provider zur Rechenschaft ziehen würde, die bereits darauf hingewiesen wurden, dass sie nach deutscher Rechtssprechung verbotene Inhalte der Öffentlichkeit zugänglich machen. Das gute Recht des Zentralrats - oder jedes anderes Bürgers - ist auch der Versuch, Provider davon zu überzeugen, dass sie auch nicht verbotene Inhalte, die aber rassistischen oder antisemitischen Charakter haben, vom Netz nehmen sollen. Hier würde man freilich auch die Frage stellen müssen, ob das Verbannen von nicht verbotenen Inhalten tatsächlich eine Lösung bedeutet und aus demokratischer Sicht das richtige Mittel ist, um gefährliche Meinungen zu bekämpfen. Straßen und Plätze zu sichern, dass keine Übergriffe von rechten Gewalttätern erfolgen oder Pöbeleien verhindert werden können, ist richtig und wichtig, ebenso wie das Eingreifen, bevor etwas geschieht, und das harte Durchgreifen, falls eine Gewalttat passiert. Aber noch ist das Internet nicht der Ort, an dem reale Gewalt ausgeübt wird. Hier wird mit Worten, Bildern und Symbolen gekämpft, solange nicht zur Gewalt aufgerufen wird.
Einmal ganz abgesehen davon, dass unter den Bedingungen des Internet die in einem Land verbannten Inhalte auswandern und doch wieder zugänglich werden, verstärkt man durch ein solches Zensurvorgehen eher den Reiz am Verbotenen, gerade bei Jugendlichen, die vor allem davon - und nicht von den Ideologien - angezogen werden. Natürlich muss man sagen, dass man mit den meisten Rechten, wenn sie denn überhaupt eine politische Meinung haben, nicht argumentieren kann. Zu dumpf, zu unartikuliert und mit allzu viel Brettern gegen die Wirklichkeit unserer komplexen Welt abgeschottet ist das, was man dort lesen kann. Bleibt also doch nur Verbieten und Verbannen? Der Ratlosigkeit, wie sich gegen rechtsextreme und rassistische Meinungen, wie sie etwa auf Websites veröffentlicht werden, argumentativ vorgehen ließe, entspricht die Hilflosigkeit derjenigen, die nur nach Verboten schreien, als wäre das, was man nicht mehr als Veröffentlichung sehen kann, dann auch wirklich verschwunden.
Oft entsteht da der Eindruck, dass man mit der Bekämpfung von Inhalten in dem offenbar noch immer unheimlichen Medium - "rechtsfrei" - nur die eigene Handlungsfähigkeit unter Beweis stellt, die ansonsten eher versagt. Dass auf den Straßen und Plätzen Deutschlands das Recht herrscht, nützt denjenigen herzlich wenig, die gejagt, geschlagen und ermordet werden. Wörtlich sagte Friedman, will man dem Tagesspiegel glauben: "Die scheinbare Hilflosigkeit deutscher Verantwortlicher führt zu einem rechtsfreien Raum, der nicht mehr länger hinnehmbar ist." Kinder, Jugendliche und jüngere Erwachsene müssten vor einer solchen Überschwemmung mit Hass-Propaganda geschützt werden. Dies sei "die klare Aufgabe des Staates und damit der Politik". Hier würden klärende Worte von Friedman gut sein, denn ansonsten wird ein Popanz vom Internet als rechtsfreier Raum aufgebaut, der gleich auch der Welt entsprechen würde, in der es unterschiedliche Gesetzgebungen und Regime gibt. Davon abgesehen wäre derjenige, der in Deutschland etwas Verbotenes im Internet macht, auch strafrechtlich verfolgbar.
Das Problem scheint also doch zu sein, dass der Zentralrat die deutsche Regierung dazu bringen will, das nationale Recht auch so umzusetzen, dass deutsche Bürger nicht über das Internet auf das zugreifen können, was hierzulande verboten ist (allerdings müssen auch hier nach der Verfassung nicht unbedingt alle Hassseiten verboten sein). Vielleicht denkt der Zentralrat aber auch nur daran, dass Kinder und Jugendliche diese Propaganda nicht im Internet sehen können sollen. Da ließen sich zwar an den Schulen oder in Bibliotheken entsprechende Filter anbringen, Zuhause würde es aber den Eltern obliegen, ob sie solche Filter für ihre Kindern installieren.
Zu vermuten ist freilich, dass der Zentralrat weiter denkt, denn Friedman hat mit der Ankündigung des Beschlusses auch auf das Urteil des französischen Gerichts gegen Yahoo hingewiesen. Gesagt habe er, dieses Urteil zeige, dass die vom Zentralrat geforderten Maßnahmen möglich und wirksam seien. Noch ist dieser Rechtsstreit nicht ausgestanden, gleichwohl hat Yahoo bereits Seiten mit Nazi-Inhalten gesperrt, da man offensichtlich mit Frankreich weiter Geschäfte machen will. Aber das französische Gericht hatte nicht das Urteil gefällt, dass alle französische Provider den Zugang zu den verbotenen Inhalten für französische Bürger blockieren müssen, sondern lediglich Yahoo dazu verurteilt, den Zugang zu den in den USA durchaus erlaubten Auktionsangeboten für französische Bürger zu sperren.
Allerdings bleibt wiederum unklar, was Friedman gemeint hat, was sowohl auf die mangelnde Kenntnis von diesem als auch auf die verwirrte Berichterstattung des Mediums zurückführbar sein könnte. So soll Friedman gesagt haben, dass "die Zahl der aus Frankreich ins Internet gebrachten 'Hass-Seiten' nach dem Urteil um zwei Drittel zurückgegangen" sei. Das wäre erstaunlich, denn die aus Frankreich ins Internet gestellten Seiten waren sowieso nicht das Thema des Prozesses, weil die für sie Verantwortlichen, sofern es sich um Verbotenes handelt, sowieso der französischen Gerichtsbarkeit unterstellt wären. Friedman habe weiter gesagt, dass die Internetprovider in Deutschland keine erkennbaren Initiativen ergriffen hätten: "Offensichtlich sind empfindliche Strafandrohungen notwendig, um eine Bewusstseinsänderung zu erzielen." Noch allerdings können Internetprovider nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass sie ihren Kunden die Möglichkeit bieten, auf Inhalte zuzugreifen, die auf Servern in anderen Ländern liegen.
Wenn allerdings das Schweizer Modell Schule macht und sich auch der Zentralrat durchsetzen kann, Internetprovider zu zwingen, die nationale Rechtssprechung durch Filter durchzusetzen, kommt nicht nur das Problem auf alle Provider zu, die unterschiedlichen Rechtssprechungen der Länder dieser Erde zu berücksichtigen, sondern man würde auch damit gutheißen, dass autoritäre Staaten das, was sie gerade ihren Bürgern vorenthalten wollen, auch sperren können. Dann würde der "rechtsfreie" Zustand des Internet in die vielen Rechtssysteme der Nationalstaaten und wiederum in den rechtsfreien Raum der Welt übergehen. Solange es kein Weltrecht gibt, könnte aber gerade der freie Fluss der Informationen, der von den demokratischen Staaten auch bis in unerwünschte, aber noch nicht verfassungswidrige Extreme hinein getragen werden müsste, langfristig zur Durchsetzung eines weltweit verbindlichen Minimalrechts führen, das Rassismus ächtet und Menschenrechte auch durch Sanktionen durchsetzen kann.