Zinsen steigen weiter – Wirtschaft dreht auf Rezessionskurs

Die steigenden Leitzinsen bescheren den Banken in Europa Rekordgewinne. Gleichzeitig greift die Inflation das Ersparte an. Immer mehr kommen mit ihrem Einkommen nicht über den Monat.

Es kam in der vergangenen Woche alles weitgehend so, wie es erwartet worden war. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Leitzinsen für den Euroraum zum fünften Mal in Folge erhöht und kündigt bereits für den März eine weitere Zinserhöhung an. Die Leitzinsen werden nun um 50 Basispunkte von 2,5 Prozent auf drei Prozent zu erhöht.

Das halten einige Ökonomen allerdings, wie Heiner Flassbeck, für eine "grandiose Fehlentscheidung". Flassbeck hatte die Lage schon im Dezember als "extrem gefährlich" eingestuft.

Klar ist, dass die EZB folgt einmal mehr den geldpolitischen Entscheidungen der britischen Notenbank und der US-Notenbank (Fed). Beide waren deutlich früher in die Inflationsbekämpfung eingestiegen, während die EZB die gefährliche Entwicklung lange Zeit auszusitzen versuchte. Da die Grundvoraussetzungen jeweils sehr unterschiedlich sind, sind aber auch die Ergebnisse der Geldpolitik der Bank of England (BoE) und der Fed sehr unterschiedlich.

Der Fed ist es mit ihrem aggressiven Kurs gelungen, die Inflation deutlich zu senken. Inzwischen ist die offizielle Teuerungsrate in den USA auf 6,5 Prozent im Dezember gesunken und dürfte im Januar noch niedriger gelegen haben. Sie hat sich vom bisherigen Höchststand im Juni 2022, als die Inflation mit 9,1 Prozent auf ein 40-Jahres-Hoch stieg, wieder deutlich entfernt.

Da sich die Inflationsrate wieder klarer der Zielmarke von zwei Prozent nähert, konnte die US-Notenbank nun auch das Tempo aus den Zinsschritten herausnehmen. Zwar hat die Fed die Leitzinsen zum achten Mal in Folge erhöht, doch da sie den Leitzins schnell und stark angehoben hat, folgte jetzt eine milde Anhebung um weitere 25 Basispunkte auf eine Zinsspanne zwischen 4,5 bis 4,75 Prozent. Allerdings liegt damit der Leitzins auf dem höchsten Niveau seit 2007.

Hohes Zinsniveau in den USA bleibt vorerst

Die US-Notenbank geht davon aus, dass "fortlaufende Anhebungen des Zielbandes angemessen sein werden, um einen geldpolitischen Kurs zu erreichen, der ausreichend restriktiv ist, um die Inflation im Laufe der Zeit auf zwei Prozent zurückzuführen", schreibt der geldpolitische Ausschuss. Der sieht weiter starke Inflationsrisiken.

Bei der Festlegung des Umfangs künftiger Erhöhungen werde er im Blick haben, dass sich die Geldpolitik erst mit Verzögerungen auf die Wirtschaftstätigkeit und die Inflation auswirkt. "Der Ausschuss ist fest entschlossen, die Inflation auf das Ziel von zwei Prozent zurückzuführen", wird bekräftigt. Somit ist eigentlich klar, dass bei den nächsten Zinssitzungen im März und Mai weitere Zinsanhebungen folgen dürften, allein die Höhe der Anhebungen steht wohl noch Debatte.

Auf einer Pressekonferenz erteilte Fed-Chef Jerome Powell Spekulationen eine Absage, dass angesichts einer konjunkturellen Abschwächung die Zinsen schon im laufenden Jahr wieder gesenkt werden könnten. "Ich sehe nicht, dass wir in diesem Jahr die Zinsen senken werden", sagte er.

Man sei in der Frage der Inflationsbekämpfung der Meinung, "dass es da noch einiges zu tun gibt", führte er weiter aus. "Unser Fokus liegt jetzt darauf, unsere Geldpolitik so zu gestalten, dass sie restriktiv genug ist, um eine Rückkehr der Inflation zu unserem Zwei-Prozent-Ziel im Laufe der Zeit zu gewährleisten, und nicht auf Zinssenkungen."

Da die Inflation, trotz des deutlichen Rückgangs der letzten Monate, noch deutlich zu hoch sei, müsse die Geldpolitik weiterhin restriktiv bleiben. Das geringere Tempo der Zinserhöhungen erlaube es der Fed, die Auswirkungen ihrer geldpolitischen Maßnahmen zu beurteilen, so Powell.

Stagflation in Großbritannien und späte Reaktion der EZB

Während in den USA die Inflationsbekämpfung recht gut läuft, kann man das von Großbritannien nicht behaupten. Wie erwartet rutscht das Königreich tief in eine gefährliche Situation aus stagnierender oder schrumpfender Wirtschaft bei hoher Inflation ab, die man Stagflation nennt.

Wie auf Telepolis schon ausgeführt, befindet sich Großbritannien aber aus verschiedenen Gründen in einer schwierigen Situation. Neben dem Brexit hat auch das Regierungschaos der Konservativen deutlich zur weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage beigetragen.

Obwohl auch die BoE die Leitzinsen sogar schon acht Mal in Folge erhöht hat, bekommt die britische Notenbank die Inflation nicht in den Griff. Der Leitzins wurde nun erneut um 50 Basispunkte auf nun 4 Prozent erhöht.

Die offizielle Teuerungsrate lag zuletzt bei 10,5 Prozent, nur knapp unter dem Höhepunkt von 11,1 Prozent im vergangenen Jahr. So hoch war die Inflation dort in den vergangenen 41 Jahren nicht mehr. Zwar hat die BoE genauso oft wie die Fed die Zinsen angehoben, ist aber deutlich zaghafter vorgegangen.

Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass man mit einer solchen Politik die hohe Inflation nicht in den Griff bekommen kann. Allerdings ist das schwer einzuschätzen, weil besondere Faktoren die wirtschaftliche Lage im Königreich besonders belasten, wozu auch die Energieabhängigkeit von Frankreich und die verfehlte Energiepolitik gehört. Wie Frankreich setzt auch Großbritannien weiter auf die teure und unsichere Atomkraft.

Begrenzte Parallelen zwischen Großbritannien und der Eurozone lassen sich aber ziehen. Während die BoE wohl eher zu zaghaft vorgegangen ist, hat die EZB viel zu spät auf die andauernd hohe Inflation reagiert. Zwar ist die offizielle Inflationsrate im Euroraum im Januar weiter auf 8,5 Prozent gesunken – im Dezember lag sie noch bei 9,2 Prozent – doch damit liegt sie immer noch weit entfernt von der Zielmarke bei zwei Prozent.

EZB reagiert zu spät und zu zögerlich

Anders als die BoE hatten die Banker in Frankfurt schließlich aber auch ein schärferes Tempo vorgelegt und waren der Fed gefolgt. Zweimal in Folge hatte die EZB im September und Oktober den Leitzins jeweils sogar um 75 Basispunkte erhöht. Danach hatte auch sie wieder Tempo herausgenommen und wie zuletzt die Zinsen nur noch um 0,5 Prozentpunkte erhöht.

In Aussicht stellt der EZB-Rat nun eine weitere Anhebung um 50 Basispunkte im März auf dann 3,5 Prozent:

"Der EZB-Rat wird den eingeschlagenen Kurs fortsetzen, indem er die Zinsen deutlich und in einem gleichmäßigen Tempo anhebt und sie auf einem ausreichend restriktiven Niveau hält, das eine zeitnahe Rückkehr der Inflation zu seinem mittelfristigen 2 %-Ziel gewährleistet", wurde zur letzten Zinsentscheidung erklärt.

Der EZB-Rat geht zudem davon aus, dass er die Zinsen weiter erhöhen wird. "Angesichts des Drucks im Zusammenhang mit der zugrunde liegenden Inflation beabsichtigt der EZB-Rat, die Zinssätze bei seiner nächsten geldpolitischen Sitzung im März um weitere 50 Basispunkte anzuheben."

Danach wolle man eine Bewertung des darauffolgenden geldpolitischen Pfads vornehmen. Ein restriktives Zinsniveau werde im Laufe der Zeit die Inflation senken, indem es die Nachfrage dämpft, und gleichzeitig dem Risiko vorbeugen, dass sich die Inflationserwartungen dauerhaft nach oben verschieben.

Ob das angesichts der viel zu späten Reaktion der EZB noch gelingt, steht in Zweifel. Die Entwicklung der Kerninflation ist jedenfalls bedenklich, aus der Energie und verarbeitete Lebensmittel herausgerechnet werden. Die Kerninflation stagniert derzeit auf dem enormen Niveau von 5,2 Prozent in der Eurozone. Vor einem Jahr lag sie noch bei 2,3 Prozent.

Damit ist klar, dass die Inflation im Euroraum längst stark in die Breite gegangen. Im viertgrößten Euroland Spanien "explodiert" sie bereits, stellen Beobachter fest. Sie ist inzwischen sogar auf 7,5 Prozent angewachsen, während die allgemeine Inflationsrate mit 5,8 Prozent angegeben wird. Auch die ist im Januar gegenüber dem Vormonat wieder leicht gestiegen. Eine Kerninflation in dieser Höhe hat das Land seit etwa vier Jahrzehnten nicht gesehen.

Enteignung der Sparer

Obwohl die Inflation weiter hoch und das zukünftige Verhalten ungewiss ist, halten einige Ökonomen wie Flassbeck den Kurs der Notenbanken nicht nur für falsch, sondern er nennt sie mit Friederike Spiecker eine "grandiose Fehlentscheidung".

Die Zinsen erneut "um 0,5 Prozentpunkte anzuheben und auch für den März eine gleich große Erhöhung anzukündigen, wird als eine große Fehlentscheidung in die Geschichte eingehen", meinen die beiden Ökonomen. Sie behaupten, dass sich "die Preisentwicklung in Deutschland und Europa im Verlauf dieses Jahres rasch Normalwerten nähern wird". Die Notenbank riskiere eine "weitere Verschlechterung der Wirtschaftsentwicklung" und "unterschätzt die derzeitige Dynamik des Preisrückgangs".

Sie meinen, dass auch die "Kernrate" noch durch die hohen Energiepreise aufgebläht ist. Argumentiert wird mit Zahlen aus dem dritten Quartal 2022, wonach die europäischen Arbeitskosten nur um 2,9 Prozent gestiegen seien. Die "Lohnentwicklung im gesamten Euroraum bietet keinen Anhaltspunkt für die Vermutung, es könne zu einer Beschleunigung der Lohnsteigerungen kommen, die inflationär wirken würde."

Das mag für Deutschland mit recht handzahmen Gewerkschaften stimmen, allerdings wurde im Metallbereich in Spanien gerade ein großer Schluck aus der Pulle genommen. Die baskischen Gewerkschaften haben eine Lohnsteigerung bis 2025 um 15 Prozent durchgesetzt, zudem ist eine Anpassung an die Inflationsrate vorgesehen. In anderen Arbeitskämpfen wurden zum Teil noch höhere Lohnsteigerungen durchgesetzt.

Passiert das nicht, bedeutet das, dass die Menschen enorme Kaufkraftverluste hinnehmen müssen. Das haben, wie Telepolis schon mehrfach berichtet, sogar die deutschen Statistiker auf Basis von stark aufgehübschten Daten festgestellt.

So hatte auch das Statistische Bundesamt (Destatis) einen Kaufkraftverlust festgestellt, der "so hoch wie nie zuvor" ausgefallen sei. Dass es eine starke "Gewinninflation" bei großen Unternehmen über Spekulationsgewinne gibt, sucht man bei Flassbeck und Spiecker auch vergeblich. Sogar eine Studie des ifo-Instituts hatte deutlich gemacht, dass Unternehmen die hohe Inflation als Ausrede nutzen, um "Gewinne zu maximieren".

Das geschieht über Spekulation, die aber wie die Gewinninflation auch bei dem sozialdemokratischen Ökonomen nicht vorkommt. Klar ist, dass über die hohe Inflation die Umverteilung von unten nach oben weiter an Fahrt aufgenommen hat. Deshalb ist die Lohnentwicklung ein Problem. Die wird das alsbald noch stärker die Konjunktur belasten, da den Menschen immer mehr Geld fehlt, welches sie zur Stützung der Konjunktur ausgeben könnten.

Einkommen reicht vielen nicht mehr zum Leben

Das hat sich, anders als von der Bundesregierung erwartet, schon im vierten Quartal 2022 gezeigt. Die Wirtschaftsleistung stagnierte nicht, sondern sie ist auch nach Destatis-Angaben um 0,2 Prozent gesunken. Deshalb ist die Rezession nicht "abgesagt", wie Bundesfinanzminister Robert Habeck erst kürzlich erklärt hatte.

Dabei darf erwartet werden, dass die Inflation wie auch in Spanien nun vermutlich sogar wieder steigt, da Hilfsmaßnahmen auslaufen oder ausgelaufen sind. Zum Jahreswechsel wurden auch etliche Verträge für Strom- und Gaslieferungen deutlich nach oben angepasst, womit den einfachen Menschen weiter Kaufkraft entzogen wird.

Das schlägt sich längst darin nieder, dass immer mehr Menschen ihre Konten überziehen (müssen). Das hat eine Umfrage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) ergeben, über die auch die Tagesschau berichtet hat. "Jeder Siebte in Deutschland hat innerhalb von drei Monaten das Konto überzogen oder seinen Dispokredit in Anspruch genommen", wird berichtet.

Die Bundesverbands-Vorsitzende Ramona Pop erklärte: "Insofern sehen wir mit Sorge, dass die gestiegenen Lebenshaltungskosten von Energie- bis Lebensmittelpreisen Menschen in die Kredite treiben, weil das normale Einkommen nicht mehr ausreicht."

Steigende Gewinne für Banken

Demgegenüber stehen die Gewinner. Das sind nicht mehr nur große Firmen, sondern zunehmend auch Banken. Die Deutsche Bank, die noch vor drei Jahren zu den Sorgenkindern gehörte, schreibt inzwischen einen Rekordgewinn.

Die Deutsche Bank hat 2022 den höchsten Gewinn seit 15 Jahren erwirtschaftet. Vor Steuern erhöhte er sich gegenüber 2021 um 65 Prozent auf rund 5,6 Milliarden Euro. Nach Steuern belief sich das Ergebnis auf fast fünf Milliarden Euro. Das ist ein Zuwachs um fast 160 Prozent. Die Bank hat die Dividende für die Aktienbesitzer um 50 Prozent von 20 auf 30 Cent pro Aktie angehoben.

Allein ist die Bank in der EU damit nicht. Die Großbanken in Spanien haben die Gewinnrekorde "pulverisiert" und haben im vergangenen Jahr gemeinsam einen Gewinn von über 20 Milliarden Euro gemacht, 28 Prozent mehr als im Vorjahr. Allein die beiden großen Banken Santander und BBVA haben einen Gewinn von 16 Milliarden Euro eingefahren.

Ein Grund dafür ist auch, dass die Leitzinserhöhungen nicht an die Sparer weitergegeben werden. Obwohl die Leitzinsen nun auf drei Prozent angehoben wurden, bieten die Finanzinstitute nur 0,71 Prozent Zinsen auf Tagesgeld, hat die Finanzberatung FMH errechnet.

So ist klar, dass auch die Enteignung der Sparer angesichts der offiziellen Inflationsrate von 8,6 Prozent voranschreitet, womit den Menschen weiter Kaufkraft entzogen wird. Auch das wird sich negativ auf die Konjunktur auswirken, bleibt bei der Betrachtung von Flassbeck und Spiecker aber ebenfalls unberücksichtigt.

Bei der Ampel-Regierung sieht man darüber geflissentlich auch weiter hinweg, anstatt wie andere Länder einen solchen Missbrauch von marktbeherrschenden Stellungen wenigstens über Übergewinnsteuern zum Teil abzugreifen, wie es sogar die Konservativen in Großbritannien jetzt verstärkt tun. Das Geld könnte an Menschen aber ausgereicht werden, die unter der hohen Inflation leiden, was die Konjunktur wieder stützen würde.

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